Die Multitalente haben wieder zugeschlagen: Von den Duplass-Brüdern kommt «Room 104», eine Serie über ein Hotelzimmer, in dem sich Horror, Romantik, Drama abspielen. Jede Folge erzählt eine komplett neue Geschichte.
Cast & Crew «Room 104»
- Idee: Jay und Mark Duplass
- Regie: Patrick Brice, Sarah Adina Smith u.a.
- Drehbuch: Mark Duplass, Ross Partridge u.a.
- Musik: Julian Wass
- Ausf. Produzenten: Mark Duplass, Jay Duplass, Xan Aranda
- Produktion: Duplass Brothers Television für HBO
- Folgen: 12 in S1 (je ca. 25 Min.)
Jay und Mark Duplass kann man als Visionäre bezeichnen. Als Multitalente. Als Geschichtenerzähler. Und, wenn man nach der konkreten Berufsbezeichnung gehen will: als Regisseure, als Schauspieler, Produzenten, als Musiker und Autoren. Die Brüder bewegen sich an den unterschiedlichsten Rändern der Entertainment-Kultur. Ihr bekanntester Kinoerfolg ist «Jeff, der noch zuhause lebt», eine Dramedy, dem vorrangig von Jay und Mark Duplass bespielten Genre. Sie zauberten aber auch schon Horror («Creep») und Romance («6 Years») auf den Bildschirm, waren als Produzenten und Darsteller an SciFi-Filmen (u.a. «The Lazarus Effect») beteiligt. Ihre HBO-Serie «Togetherness» – mittlerweile eingestellt – ist ein Vertreter solcher Zeitgeist-Formate wie «Master of None» oder «Girls». Das Format erzählte von Themen wie Freundschaft und Liebe, Sinnsuche der
thirtysomethings.
Mit ihrer neuesten Idee, «Room 104», machen die Brüder wieder alles anders. Und gleichzeitig auch nicht. Die HBO-Serie ist als Anthologie konzipiert, erzählt in jeder neuen Folge eine komplett neue Story mit anderen Figuren. Die einzige Konstante ist der titelgebende Raum 104, ein Motelzimmer. Es ist Schauplatz jeder Folge und wird nicht verlassen. Jay und Mark Duplass erlegen sich also bewusst eine visuelle und narrative Grenze auf, die sie gekonnt ausloten. In einer Folge beispielsweise spielt die eigentlich spannende Handlung außerhalb des Zimmers – und wir hören nur über ein Telefongespräch, was sich dort abspielt. Für den Zuschauer ist diese „Nicht-Seherfahrung“ faszinierend, da er die Bilder der Handlung im Kopf entwirft, wie beim Bücherlesen. Gleichzeitig aber sieht er auch die reduzierten Bilder aus dem Zimmer.
«Room 104» destilliert konsequent den narrativen Fähigkeitenschatz der Duplass-Brüder in einer kleinen Serie. Jede Folge ist unterschiedlich, nicht nur storytechnisch, sondern auch stilistisch, tonal, audiovisuell. Man wechselt munter die Genres durch und erlebt dementsprechend andere Kameraführung, andere musikalische Untermalung, andere Farbgebung, andere Montage. Die Brüder haben dafür einen Pool von Regisseuren um sich versammelt, die diese Abwechslung kunstvoll umsetzen.
«Room 104» bei HBO: Nicht ein Kunstwerk, sondern viele
Die Spannung von «Room 104» speist sich aber vorranging aus dem Unbekannten: Nie weiß man, was als nächstes passiert, und wenn es dann passiert, ist es auch fast schon wieder vorbei. In der nächsten Folge beginnt wieder eine ganz neue Geschichte. Dass wir auf das Unberechenbare gepolt werden, liegt auch an der allerersten Folge: Die Babysitterin Megan soll im Motelzimmer auf den kleinen Ralph aufpassen, der etwas schüchtern und eigensinnig scheint. So zumindest deutet es sein Vater an, der bei Megans Eintreffen mit ungewöhnlicher Hast das Zimmer verlässt. Langsam kann sie Ralph aus der Reserve locken, und bald erzählt er gruselige Geschichten – unter anderem von Ralphie, einem bösen anderen Kind, das im Badezimmer des Raum 104 lauern soll.
Als Zuschauer bekommen wir dieses Badezimmer nie zu sehen, es bleibt ein leerer Raum im Raum. Und gehört damit paradoxerweise zur abgeschlossenen Außenwelt, die uns visuell verborgen bleibt und die wir nur in unserer Phantasie ausmalen können. Es ist einer der kleinen Geniestreiche dieser Folge – und er steht stellvertretend für diese großartige Serie. «Room 104» ist der radikale Gegenentwurf zu den groß und komplex erzählten TV-Dramen unserer Zeit, in denen jeder Handlungsstrang wichtig ist, in denen sich die Story über mehrere Staffeln lang komplex zusammenfügt. Und in denen wir eine lange Beziehung zu den Charakteren aufbauen. Bei «Room 104» ist nach 25 Minuten Schluss mit der Geschichte und den Figuren. Das führt dazu, dass wir uns auch zwangsweise kaum auf die Charaktere einlassen oder gar eine emotionale Bindung eingehen.
Wir betrachten die Handlung distanzierter, und damit reflexierter – wir denken mehr über das Gesehene nach. Dies ist auch einer der Gründe für den Erfolg der Anthologie-Reihe «Black Mirror», deren Geschichten im Kopf intensiv nachhallen. «Room 104» schafft diesen Zustand in einem noch radikaleren Setting und somit noch reduzierter. Diese Serie ist nicht ein Kunstwerk, sondern viele.
In Deutschland ist jede Woche eine neue Folge von «Room 104» bei den Sky on Demand-Diensten abrufbar.