«The West Wing», wohl eine der besten Serien, die das amerikanische Fernsehen je hervorgebracht hat, leistete Großes für die Vermittlung demokratischer Werte und des Verständnisses von demokratischen Strukturen. Eine Folge sollte sich Präsident Trump einmal besonders aufmerksam ansehen.
Während im Roosevelt Room des Weißen Hauses hohe Regierungsbedienstete mit Vertretern der chinesischen Botschaft letzte Details des anstehenden Staatsbesuchs von US-Präsident Josiah Bartlett in der Volksrepublik besprechen, nimmt Barlett selbst beim
National Prayer Breakfast eine grüne Flagge entgegen, die ihm von der taiwanesischen Delegation überreicht wurde, und die als Symbol für die Unabhängigkeitsbestrebungen Taiwans steht.
Der Vorfall löst freilich einiges aus: Die chinesische Botschaft verlangt die Rückgabe der Flagge und eine blumig formulierte Entschuldigung. Doch das ist erst der Anfang: Beim baldigen Staatsbesuch soll Präsident Bartlett auf dem Platz des Himmlischen Friedens empfangen werden – das käme einer erniedrigenden Blamage gleich – und die umfangreichen Handelsgespräche sollen zugunsten einer detaillierten Erörterung des Themas Taiwan von der Agenda genommen werden. Zeitgleich will ein US-Senator im Plenum eine Resolution zur Unterstützung der taiwanesischen Unabhängigkeitsbestrebungen einbringen, und auf das Parkett auch gleich die grüne Flagge mitnehmen. In Taiwan selbst kommt es zu Kundgebungen euphorisierter Anhänger der Unabhängigkeit, die ungeahnte politische Möglichkeiten wittern. Bartletts Stabschefin C.J. Cregg fragt vorsichtig beim Präsidenten nach, ob sie einen Termin mit dem US-Außenminister in die Wege leiten soll, für den Fall, dass Bartlett eine Wende in der amerikanischen Taiwan-Politik vollziehen will. Bartlett selbst widerspricht all dem vehement und beteuert, die Flagge schlicht nicht richtig gesehen zu haben, als sie ihm überreicht wurde. Am Schluss der Folge erklärt er seiner Frau den dahinterstehenden Grund: Seine Multiple Sklerose habe ihn vor einigen Tagen auf dem rechten Auge erblinden lassen.
Man sollte diese Folge unbedingt einmal Donald Trump vorführen. Wenn es sein muss, zwangsweise. Denn sie verdeutlicht etwas, das er entweder nicht versteht, oder das ihm schockierenderweise egal ist: Nämlich dass selbst die kleinste, unbedachteste Äußerung eines Präsidenten, selbst eine minimale, gar unverschuldete Unachtsamkeit gravierende Folgen nach sich ziehen kann: für das Land, für seine Politik, vielleicht gar für die nationale Sicherheit. Deshalb muss ein Präsident bedacht formulieren, müssen seine öffentlichen Auftritte sorgsam geplant werden, von den diffizilen protokollarischen Rahmenbedingungen bi- und multilateraler Gipfel ganz zu schweigen.
In Donald Trump haben wir dagegen einen Mann, der – möglicherweise auch aus pathologischen Gründen – vollständig unfähig ist, in dieser Form sein Leben zu organisieren. Der Außenpolitik in unbedachten, dahingesagten Nebensätzen macht. Der auch von den fundamentalen juristischen und verfassungsrechtlichen Begrenzungen seines Amtes nicht einmal das Wesentliche verstanden hat. Dessen außenpolitische Grundsätze zu jedem beliebigen Thema mit 140 Zeichen vollumfänglich und detailgetreu darstellbar sind. In seinem Wahlsieg ist eingetreten, was nach den Gesetzen jedweder Narrative nie eintreten darf: der Triumph des Hazardeurs über den Maßvollen, des Idioten über den Begabten, des Desinteressierten über den Experten. «The West Wing» zeigt uns ein leicht idealisiertes, aber nicht utopisiertes Gegenmodell: das Modell der amerikanischen Demokratie in einem realistisch erscheinenden Soll-Zustand. Nie war die Exekutive von ihm in der modernen Geschichte weiter entfernt als heute – und «The West Wing» ein wichtigeres Lehrstück.