Regisseur Ralf Huettner inszeniert zwar regelmäßig «Kommissarin Lucas»-Fernsehkrimis, dennoch klagt er das Krimi-Überangebot an und wünscht sich mehr Experimentierfreude im Fernsehen.
Zur Person
- Ralf Huettner wurde am 29. November 1954 in München geboren
- 1987 kam mit «Mädchen mit den Feuerzeugen» seine erste Kinoarbeit heraus
- Zu seinen Regiearbeiten zählen so unterschiedliche Filme wie «Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem», «Die Musterknaben», «Vincent will Meer» und «Der Koch»
- Drehte bereits mehrere «Kommissarin Lucas»-Folgen, zuletzt «Löwenherz»
Gibt es bei «Kommissarin Lucas» eine Showbibel, so dass die wechselnden Regisseure stets auf dem Stand der Dinge sind?
Nein, es gibt es keine Showbibel, auch keinen Showrunner, wie es neuerdings heißt. Das ist schade, aber dafür geht «Kommissarin Lucas» zu selten auf Sendung. Es ist eine Reihe und keine Serie.
Ab welchem Punkt werden Sie in «Kommissarin Lucas»-Folgen involviert? Steigen Sie beim fertigen Drehbuch ein und planen ab da, wie die Inszenierung aussehen könnte?
Nein, das ist nicht meine Art und Weise, zu arbeiten, ich muss mir die Skripts schon zu eigen machen. Das gefällt zwar manchen Autoren nicht, aber nach fünf Folgen weiß ich in etwa, was man mit den Figuren und dem Format machen kann und was nicht. Da muss man eingreifen, wenn man als Regisseur seine Arbeit gut machen will.
Wieso "muss" ein Regisseur dann eingreifen?
Naja, ich denke, ich hab einen gewissen Stil gefunden, wie ich die «Lucas» erzähle. Und natürlich auch um die Kontinuität der Reihe zu halten. Es gibt zum Beispiel bei «Kommissarin Lucas» sehr häufig Personalwechsel. Assistentinnen kommen und gehen, müssen eingeführt werden und rausgeschrieben werden. Die Verträge sind nicht so fest gezurrt wie bei einer Serie. Da müssen die Drehbücher entsprechend angepasst werden. Die fehlende Planung ist wohl die größte Schwierigkeit bei dieser Filmreihe. Wenngleich es auch gewisse Vorteile mit sich bringt: Da es keinen Plan gibt, kann oder könnte man sich bei jeder einzelnen Folge viel mehr trauen.
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Wenn man nicht weiß, wie viel Folgen noch produziert werden, kann man nicht groß horizontal erzähle, sondern nur kleine Schritte machen. Als Ausgleich wird sehr viel Wert auf die Krimiplots gelegt. Man will um jeden Preis spannend sein und ist stolz auf jede Wendung. Was das mit den Figuren macht, ist eher zweitrangig. Das ist ein harter und oft undankbarer Kampf, den man da als Regisseur führt.
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Ralf Huettner
Gibt es dennoch Widerstände, denen Sie sich bei «Kommissarin Lucas» zu stellen haben?
Eine große Schwierigkeit ist, dass es keine verbindliche Zusage gibt, ob und wie lange es mit der Reihe nach dem jeweils jüngsten Film weitergeht. Man hangelt sich so von Jahr zu Jahr, was eine kreative perspektivische Auseinandersetzung, was innerhalb dieser Reihe noch möglich wäre, verhindert. Wenn man nicht weiß, wie viel Folgen noch produziert werden, kann man nicht groß horizontal erzählen, sondern nur kleine Schritte machen. Als Ausgleich wird sehr viel Wert auf die Krimiplots gelegt. Man will um jeden Preis spannend sein und ist stolz auf jede Wendung. Was das mit den Figuren macht, ist eher zweitrangig. Das ist ein harter und oft undankbarer Kampf, den man da als Regisseur führt.
Wenn ich mir Ihre Vita vor Augen führe: In jüngeren Jahren kamen vermehrt Fernsehprojekte hinzu, darunter vermehrt «Kommissarin Lucas»-Filme. Machen Sie Ihre Kinofilme, wann immer Sie zwischen zwei «Kommissarin Lucas»-Filmen Zeit haben, oder ist «Kommissarin Lucas» Ihr Lückenbüßer zwischen zwei Kinofilmen?
Die Frage können Sie ja wohl selber beantworten, oder? (lacht)
Naja, jetzt auf jeden Fall (lacht).
Ganz ehrlich: Fernsehen ist momentan etwas mühsam. Die kreative Kraft der Redaktionen wird etwas überschätzt, die Quote ist der Maßstab, überall Angst, man will alles richtig machen, die Budgets sinken und was das Schlimmste ist: wir unterschätzen die Zuschauer. Krimis laufen, also machen wir Krimis. Was ist das für ein Plan, immer mehr Sendeplätze mit Krimis zu verstopfen? Deswegen haben mich auch «Tatorte» nie wirklich gereizt. Bei «Kommissarin Lucas» habe ich noch eine gewisse Gestaltungsmöglichkeit. Und Ulrike Kriener, die sehr genau weiß, was die Lucas ausmacht und die Arbeit, die ich mir mit der «Lucas» mache, schätzt.
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Fernsehen ist momentan etwas mühsam. Die kreative Kraft der Redaktionen wird etwas überschätzt, die Quote ist der Maßstab, überall Angst, man will alles richtig machen, die Budgets sinken und was das Schlimmste ist: wir unterschätzen die Zuschauer. Krimis laufen, also machen wir Krimis. Was ist das für ein Plan, immer mehr Sendeplätze mit Krimis zu verstopfen?
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Ralf Huettner
Ich hätte dem «Tatort» durchaus zugetraut, ebenfalls in diese Sparte zu fallen. Zumindest manche der «Tatort»-Unterreihen …
Das mag sein. Bei der Folge «Kommissarin Lucas – Löwenherz» zum Beispiel konnte ich das Drama rund um die Brüder Marc und Theo erzählen, dafür war Platz, obwohl es den Krimiplot nach hinten drückt. So etwas wäre in vielen anderen Krimireihen nicht möglich, bei «Kommissarin Lucas» darf ich das.
Da Sie ja vorhin meinten, ich könnte die Präferenzfrage "Kino gegen Fernsehen" selber beantworten: So naheliegend fand ich die Antwort nicht. Sonst hätte ich ja nicht fragen müssen. (lacht) Es gibt immer mehr Kreative und Zuschauende, die sagen: Fernsehen ist besser als Kino …
Was heißt denn besser? Kino ist auf Zuschauer zugeschnitten. Was für ein Genre? Für wen ist der Film genau, welche Zuschauer soll der Film erreichen? Das erfordert ein anderes, viel sorgfältigeres Erzählen, man muss Bilder finden, kleine oder auch größere Welten schaffen. Dafür ist auch mehr Geld da. Und natürlich sind Kinofilme damit auch automatisch kommerzieller ausgerichtet. Das kommerzieller gleich schlecht sein soll, darüber brauchen wir nicht zu reden.
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Im Kino muss man einfach anders erzählen. Der Zuschauer muss sich aktiv für einen Film entscheiden, muss von seinem Sofa aufstehen, aus dem Haus gehen, einen Parkplatz suchen oder eine Fahrkarte kaufen und dann auch noch Eintritt zahlen. Der Film muss diese ganze Mühe wert sein, sonst kommt keiner, oder zu wenige. Der Fernseher ist letztlich ein Möbelstück, auch wenn er immer mehr an der Wand hängt. Man schaltet ein und dann läuft halt irgendwas. Man kann essen nebenher, telefonieren, sich unterhalten. Da ist ein Kinosaal schon der hohe Tempel für Filme.
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Ralf Huettner
Mir kam neulich die These unter: Leute, die Kino dem Fernsehen vorziehen, sind einfach nur verklärte Nostalgiker …
Das ist Quatsch! Im Kino muss man einfach anders erzählen. Der Zuschauer muss sich aktiv für einen Film entscheiden, muss von seinem Sofa aufstehen, aus dem Haus gehen, einen Parkplatz suchen oder eine Fahrkarte kaufen und dann auch noch Eintritt zahlen. Der Film muss diese ganze Mühe wert sein, sonst kommt keiner, oder zu wenige. Der Fernseher ist letztlich ein Möbelstück, auch wenn er immer mehr an der Wand hängt. Man schaltet ein und dann läuft halt irgendwas. Man kann essen nebenher, telefonieren, sich unterhalten. Da ist ein Kinosaal schon der hohe Tempel für Filme.
Man kann erwidern: Im Kino gibt es aber keine Serien, und somit insgesamt weniger Erzählzeit für komplexe Figuren und Geschichten. Das stimmt. Fernsehserien haben sich zu einem neuem Genre entwickelt. Ich freue mich, dass durch die neuen Mitbewerber wie Amazon, Netflix, Sky, etc. gerade eine Konkurrenz entsteht, die die Branche wachrüttelt. Man kann über Schweighöfer viel sagen, aber «You Are Wanted» war etwas ganz anderes, das man so im klassischen Fernsehen derzeit nicht zu sehen bekommt.
Warum sehen Sie das so?
Von welchen abgedrehten Figuren erzählen die Ami-Serien zu Zeit? «Breaking Bad», «Dexter», «The OA» und, und, und ... Und wir? Wir nehmen Rücksicht auf einen Zuschauer, den es so sowieso nicht mehr gibt. Wir sind zu brav. Auch was Erzählgeschwindigkeit, Komplexität, Storytelling betrifft. Die Amerikaner trauen ihrem Publikum viel mehr zu und erzählen deshalb auch härter, mit anderen Hauptfiguren und schrägeren Geschichten, haben keine Angst, dass der Zuschauer mal etwas nicht versteht und nicht gut findet. Bei uns muss immer alles allen gefallen. Alles soll möglichst positiv gestimmt sein, ja keine negativen Figuren im Mittelpunkt. Selbst unsere Mörder müssen noch verständlich sein. Das ist auf Dauer nicht nur langweilig, sondern viel schlimmer: So ist die Welt nicht mehr.
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Das deutsche Kino braucht leider das Fernsehen als Finanzierungshilfe. Fernsehleute sitzen in Fördergremien und fördern natürlich verstärkt Filme, die sie später auch senden können. Es gibt Ausnahmen, aber das ist ein Teufelskreis, aus dem die Branche gerade nicht herauskommt. Da es um öffentliches Geld geht, muss die Zusammensetzung der Gremien der Filmförderung wahrscheinlich so sein. Da sind einfach zu viele Köche mit unterschiedlichen Interessen am Herd.
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Ralf Huettner
Frech nachgefragt: Wieso machen Sie dann aktuell so viel mehr Fernsehen als zu Beginn Ihrer Karriere?
Das ist so einfach wie traurig: Dem deutschen Kino geht’s nicht gut. Es gibt vereinzelte Erfolgsfilme, Komödien, die den Schnitt nach oben reißen – «Fack Ju Göhte», Schweiger, die «Hartmanns». Aber sonst...? Viele Erstlinge, die Mitte, der "Bauch" an Filmen fehlt. Es gibt kaum noch deutsche Verleiher und Produzenten, die wirklich große und mutige Dinger raushauen. So einer wie Eichinger fehlt schon sehr.
Rückblickend: Was hat die Blase zum Platzen gebracht? Ist es die so gern beschuldigte Filmpiraterie?
Nein, das glaube ich nicht. Das deutsche Kino braucht leider das Fernsehen als Finanzierungshilfe. Fernsehleute sitzen in Fördergremien und fördern natürlich verstärkt Filme, die sie später auch senden können. Es gibt Ausnahmen, aber das ist ein Teufelskreis, aus dem die Branche gerade nicht herauskommt. Da es um öffentliches Geld geht, muss die Zusammensetzung der Gremien der Filmförderung wahrscheinlich so sein. Da sind einfach zu viele Köche mit unterschiedlichen Interessen am Herd. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es gibt noch immer großartige Filme, aber es sind Ausnahmen und sie werden immer weniger.
Die Debatte um folgenden Vorschlag ist zwar versiegt, aber wenn wir hier schon theoretisieren: Wäre eine Deutschquote im Kino hilfreich?
Ja! Super! Ich bin dafür, her damit. Ist zwar schade, dass wir das brauchen, aber was will man machen? Ohne Frauenquote ändert sich ja leider auch nichts. Also muss die her. Manche Dinge kommen nur vorwärts, wenn man sie durchdrückt. Ich bin gespannt, was mit dem Elektroauto passiert...
Ich kann mir aber vorstellen, dass Teile des Publikums sich bei einer Deutschquote erst recht sperren, weil sie nichts aufgezwungen haben wollen …
Gut möglich, dass es so Leute geben wird. Aber es würde für mehr Geld sorgen, für mehr Experimente im Kino, Geld für mehr und besseres Marketing. Der deutsche Film hat gegen die US-Blockbuster und deren Marketing keine Chance. Wir können kein «Dunkirk», wir können kein «Fast & Furious», haben nicht das Budget für vergleichbare Action oder Special Effects. Wir können nur mit schrägen Einfällen, Figuren und Geschichten punkten, wir müssen mit unserem Herzen, ja jetzt werde ich pathetisch, ein Gegenprogramm liefern. Aber auch dafür brauchen wir Geld. Und wir müssen unbedingt aufhören, rum zu jammern. Dann muss man halt Fernsehen machen, wenn man kein Kino machen kann.
Kündigt sich nicht langsam auch ohne Deutschquote eine Renaissance an? «Toni Erdmann» und «Victoria» sind von der Kritik respektierte Programmkinoprojekte, die auch gute Besucherzahlen geschrieben haben …
Das sind zwei Ausreißer. Zwei in wie vielen Jahren? Daran allein kann sich die Branche nicht festhalten.
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Die Leute vom kleinen Fernsehspiel denken wunderbar un-fernseh-haft und investieren in mutige und riskante Filme wenig Geld.
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Ralf Huettner
Wobei zum Beispiel im Vorspann einiger sehr kantiger, andersartiger Kinofilme wie etwa «Tore tanzt» gerne Mal "ZDF – Das kleine Fernsehspiel" steht.
Die Leute vom kleinen Fernsehspiel denken wunderbar un-fernseh-haft und investieren in mutige und riskante Filme wenig Geld. Wo und wann laufen die Filme dann im ZDF? Wo findet das deutsche Kino überhaupt im Fernsehen statt? Es gibt keine eingeführten Sendeplätze, keine Spielwiese, wo man den Zuschauer an den deutschen Film heranführt. Sobald die Filme für das Hauptabendprogramm vorgesehen sind, sieht sowieso alles ganz anders aus. Dieser Druck schränkt die Themenauswahl und die Kreativität dann schon sehr ein. Und den Mut. Im Hauptabendprogramm muss jeder erreicht werden – von 14 bis 90 Jahre. Das schafft Filme, die vielleicht viele gucken, aber letztlich belanglos und austauschbar sind. Warum gucken denn immer weniger Menschen Fernsehen?
Wie gehen sie aus ihrer Position als Regisseur gegen all diese Blockaden vor?
Indem ich versuche, die Geschichten, die mir angeboten werden, auf meine Art zu erzählen. Wenn ich keinen Zugang zu der Geschichte habe, lasse ich es. Aber Filmprojekte werden einem ja nicht angeboten, weil man blonde Haare hat. Es gibt schon eine gewisse Erwartung. Bei «Löwenherz» habe ich den Fokus verlegt, weg von der Ermittlung, hin zum Familiendrama.
Ich stelle mir den Castingprozess für Theo sehr schwer vor.
Es gibt durchaus mehr Darsteller mit Trisomie, als man gemeinhin mitbekommt. Diese Schauspieler sind mehr am Theater tätig. Dort sind wir auch auf Jonas Sippel gestoßen, und als wir uns mit ihm unterhalten haben, stand schnell der Entschluss fest, dass er perfekt für die Rolle ist. Trisomie 21 ist eine starke Behinderung, also mussten wir die Drehzeiten an das anpassen, was Jonas stemmen kann und ich musste lernen, meine Form der Schauspielführung auf ihn anzupassen. Es war zwar ein ungewöhnlicher Dreh, aber auch ein sehr erfüllender und ich bin Jonas sehr dankbar, dass er sich auf mich eingelassen hat und auch stolz auf mich, auf das Ergebnis und dass wir das alles im Rahmen eines Samstagabendkrimis hingekriegt haben.
Vielen Dank für das spannende Gespräch.
Ralf Huettners jüngste Regiearbeit, «Kommissarin Lucas – Löwenherz» ist am 9. September 2017 um 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.