RTL II-Single-Spaß hat begonnen. Drei Wochen lang soll geflirtet und gefeiert werden. Nach der ersten Episode stellt sich die Frage: Verdient ein oberflächliches Format eine tiefgründige Kritik?
Der Job eines Fernsehkritikers könnte so einfach sein. Oberflächlich betrachtet ist der vielleicht wichtigste Showneustart von RTL II in diesem Herbst belangloses Fernsehen mit Singles, die hauptsächlich Oberflächlichkeit propagieren, Selbstdarstellung betreiben und dabei wenig Sinnvolles von sich geben.
Tiefgründig betrachtet gibt es aber Gründe, dass «Love Island» in dieser Zeit in dieser Form das deutsche Fernsehen erobert. In England wurde der Erfolg des Formats längst erprobt und auch in Deutschland sind diverse Versatzstücke des RTL II-Formats schon bekannt. Man nehme quasi Events wie «Ich bin ein Star» und «Promi Big Brother», einige Zutaten von «Adam sucht Eva», eine Prise von «Naked Attraction» und verrühre alles mit «Der Bachelor». Es gilt auch zu wissen, dass zahlreiche Privatsender mit zu Events stilisierten TV-Ideen ihre besten Quoten überhaupt einfahren. Der Dschungel bei RTL und «Promi Big Brother» in Sat.1 mit ihren jeweils zwei Wochen Laufzeit lassen grüßen. All das also kommt in den Mixer - das Ergebnis könnte ein Format sein, wie es RTL II mit «Love Island» nun drei Wochen lang immer abends um 22.15 Uhr präsentieren möchte.
In der ITV Studios-Produktion geht es um eine Gruppe Singles, die auf eine Trauminsel ziehen. Da wären zunächst einmal fünf Mädels, die unter dem Einsatz peppiger Disco-Musik (ein cooler Remix von “Sweet Dreams”) vorgestellt werden und sich vor malerischer Kulisse an einem Pool kennenlernen. Fast alle sind mehr oder weniger großflächig tättoowiert, strotzen vor Selbstbewusstsein und sprechen sehr gerne über Sex. Schon in den ersten Minuten wird darüber debattiert, wie gut oder schlecht Brustbehaarung ist und was den perfekten Po ausmacht. Nur wenige Minute später geht es um Schönheits-OPs und die Tatsache, ab welcher Brustgröße Frau “okay” ist. Es wird laut gelacht, sich dargestellt und in Szene gesetzt.
Die fünf Jungs, die teilnehmen und wie Kandidat Andre (einst «Newtopia») auch schon TV-Erfahrung haben, stehen den Mädels in kaum etwas nach. Einer ist ein Player, der früher alles getan hat, um Mädels ins Bett zu kriegen, ein anderer erzählt, er würde wissen wen er heiraten wolle, ohne dass sie dazu ein Wort sprechen müsse. Alle Teilnehmer bestechen durch ziemlich genaue Vorstellungen, was die Optik ihres potentiellen Objekts der Begierde angeht. Ich mag keine Blonden, ich mag keine Kleinen, ich mag Tattoos.
Nach etwa der Hälfte der Folge haben die fünf Männer ihre gewünschte Frau fast wie an der Wursttheke ausgewählt. Fortan geht es für die fünf Paare gemeinsam durch die Sendung. Und natürlich muss Moderatorin Jana Ina Zarrella, die wirklich eine perfekte Wahl für das Format ist, betonen, dass es nun glückliche und weniger glückliche Gesichter geben wird. Sie betont, dass die Paare fortan in einem Bett schlafen müssen und dass man dann auch “spüren” werde, “wie das so ist.” Wer das Format im Ausland gesehen hat, weiß, dass es von großen Schlagzeilen lebt.
Sex auf der Insel unter den Islandern, Liebeskummer, Zickenkrieg und mehr war beim Vorbild an der Tagesordnung. Und große Schlagzeilen sind letztlich das, was derzeit alle Privatsender in einer sich immer weiter fragmentierenden TV-Landschaft brauchen. Die Flop-Rate bei Neustarts hatte zuletzt mehr und mehr zugenommen. Formate, die dabei von Beginn an einer öffentlichen Debatte (wenn auch klar negativ) unterliegen, könnten da Wettbewerbsvorteile haben.
Es ist vermutlich eine Wahrheit, dass die junge Zielgruppe zu großen Teilen nicht über die in der Show gezeigten Inhalte intellektuell gefordert werden möchte. Es ist auch legitim, dass man sich von einem Unterhaltungsformat - gerade in politisch schwierigen Zeiten - mal ausnahmslos unterhalten lassen möchte. Es stimmt aber auch, dass man sein Gehirn, um wirklich Spaß an der neuen RTL II-Sendung zu haben, im Vorfeld besser auf Minus drei Grad herunterkühlen muss. «Love Island» ist letztlich eine Show ohne Inhalt. Das Optische schreit so laut, dass man den Ton auch komplett abstellen könnte, und trotzdem verstehen würde, was auf dieser Insel der Sünde gerade so vorgeht. Teilweise übrigens darf dies sogar als Rat verstanden werden.
Die komplette erste Folge über begegnen den Zuschauern also weitere Belanglosigkeiten, Gespräche über heiße Bodys, Granaten, Luxusvillen, gewichtige Argumente, Blond vs. Brünett und noch viel mehr. Es mag sein, dass sich in den kommenden Tagen, wenn es darum geht, welche Paare auch als Team funktionieren, mehr auch auf charakterliche Dinge konzentriert wird. Allein dem neutralen Beobachter fehlt der Glaube daran, dass dieses Format mehr liefern will als ein Kratzen an der obersten Oberfläche.
Bilanz der ersten Folge: Ein handfester Skandal blieb aus, auf sozialen Plattformen wurde - wie auch bei anderen Hitformaten wie «Der Bachelor» oder «Germany’s Next Topmodel» - geätzt und gelästert. Die Bedingungen für Gesprächsstoff scheinen also noch vorhanden zu sein. Nur wird sich «Love Island» nicht 21 Tage lang über Belanglosigkeiten in den Schlagzeilen halten können. Es
muss quasi Spektakuläreres passieren als das, was der Zuschauer nun am Montag zu sehen bekam. Denn: Allein die hochwertige Optik, schöne Landschaften, eine nette Villa und eine Prise Sonne, reichen 2017 nicht zum Quotenerfolg.
«Love Island» wird in den nächsten Wochen im besten Fall von vielen Kritikern verhauen, vom Volk aber dennoch geschaut. Im schlechtesten Fall bleibt das Format überflüssiger Unsinn. Es ist halt eine Frage der Betrachtungsweise: Wer gucken will, der mag richtig sein. Wer denken will, weicht besser aus.