Mit «Detlef Soost» versucht RTL II das Daily Talks in Deutschland wiederzubeleben. Hinter dem Genre liegt eine wilde, erfolgreiche, aber auch vergleichsweise kurze Geschichte. Eine Chronik.
Der Begriff „Talkshow“ hat in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten einen großen Bedeutungswandel erfahren. Während sich die US-Amerikaner als Urheber des Wortes auf allerlei Fernseh- oder Radio-Formate beziehen, in denen ein Moderator verschiedenste Themen mit einem Gast oder einer Gruppe von Gästen diskutiert, haben in Deutschland Polit-Talks den Talkshow-Begriff mittlerweile für sich beansprucht. Der Grund liegt auf der Hand, denn die politischen Gesprächsrunden dominieren klar in Sachen Präsenz und Zuschauerinteresse. In den 1990er Jahren hatte noch ein anderes Genre die Bezeichnung Talkshow für sich abonniert: Die Daily Talks, die in besagtem Jahrzehnt aus den USA nach Deutschland herüberschwappten und rasant an Popularität gewannen.
Mit
«Detlef Soost» bringt RTL II ab dem 18. September 2017 Daily Talks, dieses fast vergessene Genre, zurück ins deutsche Fernsehen. Dann werden werktags ab 15 Uhr wieder allerlei Alltagsprobleme thematisiert werden. Vaterschaftstests, Mobbing, Luxus vs. Armut oder Beziehungsprobleme – all diese Themen kündigt RTL II im Rahmen seines neuen Talks nach altem Konzept an, der vom einst als «Popstars»-Tanzlehrer bekannt gewordenen Soost moderiert wird. Ist der Daily Talk überhaupt noch zeitgemäß? Zumindest in Deutschland wurde das Genre eigentlich bereits vor einigen Jahren zu Grabe getragen, andererseits waren einige deutsche Daily Talks einst unwahrscheinlich erfolgreich. Wir blicken zurück auf die deutsche Daily Talk-Geschichte im Privatfernsehen.
RTL: Wie «Hans Meiser» die Daily Talks aus der Taufe hob
RTL-Talkshows
- «Hans Meiser» (1992-2001)
- «Ilona Christen» (1993-1999)
- «Barbel Schäfer» (1995-2002)
- «Birte Karalus» (1998-2000)
- «Sabrina» (1999-2000)
- «Die Oliver Geissen Show» (1999-2009)
- «Natascha Zuraw» (2008)
In den USA, wo in den 1950er Jahren bereits die ersten Late-Night-Formate als Talkshow-Subgenre entstanden, kennzeichneten die 1970er Jahre den Aufstieg der sogenannten „Tabloid-Talkshows“, aus denen später die heute besonders bekannten Vertreter wie «Die Oprah Winfrey Show» oder die «Jerry Springer Show» entstanden. Bis diese Machart von TV-Formaten in Deutschland Fuß fasste, dauerte es eine ganze Weile. Den ersten deutschen Daily Talk als Pendant zu den US-Tabloid-Talks brachte am 14. September 1992 RTL mit
«Hans Meiser» auf Sendung, das nach kurzer Zeit zum Mega-Erfolg avancieren sollte. Bis zu 40 Prozent Marktanteil generierte «Hans Meiser» zu Spitzenzeiten. Dass weitere Formate folgen mussten, war von dort an klar.
Sehr umtriebig zeigte sich dabei besonders RTL, das die Daily Talks nach Deutschland brachte. Bis zu fünf Sendungen betrieb der Kölner Sender zwischenzeitlich in seinem Programm um die Jahrtausendwende. Ein Jahr nach dem Start von «Hans Meiser» debütierte beispielsweise
«Ilona Christen» mit der titelgebenden vorigen Moderatorin des «ZDF-Fernsehgartens». 1995 folgte
«Bärbel Schäfer», weitere Formate hießen
«Birte Karalus» und
«Sabrina». Schnell übersättigte sich der Markt. Auf RTL liefen Ende der 90er Jahre nicht nur vier Formate am Nachmittag, sondern mit «Sabrina» auch eine Sendung am Vormittag. Unterdessen etablierte auch die Konkurrenz im Privatfernsehen massig Daily Talks.
Ab dem Jahr 2002 hielt RTL schließlich nur noch an der
«Oliver Geissen Show» fest, nachdem selbst «Hans Meiser» (Foto) nach 1.700 Episoden in den Ruhestand ging. Bis 2009 sendete Geissen von dort an im RTL-Programm und überrundete dabei sogar noch «Hans Meiser» hinsichtlich der Episodenzahl. Eine hohe Aufmerksamkeit erhielt «Die Oliver Geissen Show» vor allem im Rahmen solcher Ausgaben, die Vaterschaftstests enthielten – eine Praktik, die in den USA in derlei Formaten Gang und Gäbe ist, in Deutschland aber stets kritisch kommentiert wurde. Letztlich gab «Die Oliver Geissen Show» jedoch viele Marktanteile an seine direkten Konkurrenzformate von ProSieben und Sat.1 ab, sodass die Sendung letztlich aufgrund ausbleibenden Erfolgs abgesetzt wurde. Mit dem 19 Episoden umfassenden
«Natascha Zuraw» hatte 2008 nur noch ein Format ein kurzes RTL-Gastspiel, das beim Publikum jedoch nicht mehr ankam.
Sat.1: «Kerner», Zietlow & Pilawa – früher bei Daily Talks, heute große Namen
Sat.1-Talkshows
«Herrmann» (1993)
«Kerner» (1996-1998)
«Vera am Mittag» (1996-2006)
«Sonja» (1997-2001)
«Jörg Pilawa» (1998-2000)
«Ricky!» (1999-2000)
«Peter Imhof» (2000-2001)
«Franklin - Deine Chance um 11» (2000-2004)
«Britt - Der Talk um eins» (2001-2013)Schon kurz nach dem Erfolg von «Hans Meiser» versuchte sich Sat.1 erstmals mit
«Herrmann» an einem eigenen Daily Talk. Der titelgebende Frühstücksfernsehen-Moderator Wolf-Dieter Herrmann verzeichnete mit seinem Talk zwischenzeitlich bis zu 18 Prozent Marktanteil, hielt sich jedoch nicht lange im Sat.1-Programm. Noch im gleichen Jahr war Schluss und es dauerte bei Sat.1 bis zum Jahr 1995, ehe der Unterföhringer Sender es wieder mit Daily Talks versucht. «Kerner» feierte seine Premiere im Januar 1996, zwei Wochen später folgte
«Vera am Mittag». Auch nach Johannes B. Kerner und Vera Int-Veen schlossen sich dem Sat.1-Aufgebot Personalien an, die später als Moderatoren große Erfolge feiern sollten.
Sonja Zietlow übernahm 1997 mit
«Sonja» einen der erfolgreichsten Sat.1-Talks, der zu seinen Bestzeiten mit Quoten über 20 Prozent «Hans Meiser» auf RTL den Rang ablief. Anders als andere Formate, die sich mit einem bunten Themen-Mix befassten, konzentrierte sich «Sonja» auf Konflikte zwischen ihren Gästen, die es zu lösen galt. Vielleicht auch aufgrund der leichten Andersartigkeit sanken die Marktanteile von «Sonja» entgegen denen anderer Daily Talks kaum. Durch Zietlows Wechsel zu RTL im späten Jahr 2000 endete jedoch auch «Sonja». Ein weiterer großer Name kam 1998 mit
«Jörg Pilawa», das ab 1999 eine von vier Talkshow darstellte, die den Sat.1-Nachmittag besiedelten. Es folgten 1999 mit
«Ricky!»,
«Peter Imhof» und
«Franklin – Deine Chance um 11» weitere Formate, auf die Sat.1 insgesamt etwas länger setzte als Konkurrent RTL. «Peter Imhof», der kurzlebigste Sat.1-Talk, stellte dabei einen Guinness World Record auf, als der ehemalige MTV-Moderator, der der Sendung ihren Titel verlieh, 24 Stunden ununterbrochen durchmoderierte und dabei sechs Sendungen aufnahm. Sogar in Werbe-, Umbau- und Schminkpausen moderierte Imhof weiter.
Ab 2005 strahlte Sat.1 neben «Vera am Mittag» (Foto) allerdings nur noch das 2001 gestartete
«Britt – Der Talk um eins» aus. Letzterer Talk sollte sich im deutschen Fernsehen insgesamt am längsten halten und wurde noch bis 2013 fortgesetzt, nachdem «Vera am Mittag» in Sat.1 2006 nach knapp zehn Jahren beendet wurde. «Britt» mit Moderatorin Britt Hagedorn wies dabei eine besondere Nähe zu US-Talkshows auf und setzte auf reißerische Formulierungen, Beschimpfungen, Lügendetektor- oder Vaterschaftstests. Lediglich körperliche Gewalt wurde untersagt. Weitere Testballons platzten mit «Annica Hansen - Der Talk» und «Ernst-Marcus Thomas - Der Talk» im Jahr 2012.
ProSieben: Die ewige «Arabella»
ProSieben-Talkshows
- «Lindenau» (1994)
- «Arabella» (1994-2004)
- «Andreas Türck» (1998-2002)
- «Nicole» (1999-2001)
Vergleichsweise wenige Formate betrieb ProSieben. Mit
«Lindenau» reagierte die rote Sieben 1994 im Vergleich zu RTL und Sat.1 am spätesten auf den Daily-Talk-Boom. Schon dort sollte Arabella Kiesbauer den Anfang machen, die allerdings aufgrund einer Stimmbandentzündung kurzfristig ausfiel. Der Journalist Michael Lindenau übernahm den ersten ProSieben-Talk vorübergehend, weshalb die Sendung ab April 1994 zunächst seinen Namen trug. Im Juni löste schließlich Kiesbauer mit
«Arabella» «Lindenau» ab und feierte auf Anhieb deutlich größere Quotenerfolge, die ab Februar 1996 sogar eine knapp einjährige Spätabendvariante namens «Arabella Night» nach sich zogen.
Bis 2004 hielt sich «Arabella» (Foto) im ProSieben-Programm, ehe auch bei ihr der Quoten-Einbruch folgte. Ein Engagement von Laiendarstellern zur höheren Sensationalisierung des Formats lehnte Kiesbauer gegen Ende der Sendung öffentlich ab, als Pseudo-Doku-Soaps bereits ihren Weg ins deutsche Fernsehen gefunden hatten. Ab Februar 1998 gesellte sich
«Andreas Türck» zum Talk-Line-Up ProSiebens hinzu, das im März 1999 um
«Nicole -Entscheidung am Nachmittag» mit Nicole Noevers ergänzt wurde. «Arabella» überlebte beide Formate, denn «Nicole» endete im Dezember 2001 und «Andreas Türck» im Januar 2002. Davor bat Türck erfolglos darum, seinen Talk selbst produzieren zu dürfen, wie es viele deutsche Talkshow-Hosts ebenfalls praktizierten, darunter beispielsweise «Hans Meiser» oder Vera Int-Veen. Den «Andreas Türck»-Sendeplatz übernahm danach Tobias Schlegl, der mit «Absolut Schlegl» jedoch nur etwa ein Jahr durchhielt. So fing ProSieben nicht nur am spätesten mit Daily Talks an, sondern beendete diese Programmfarbe auch am ehesten wieder.
Eruptionsartig schossen in den 1990er Jahren die Daily Talks aus dem Boden, die sich aufgrund der Vielzahl der Formate um die Jahrtausendwende schließlich gegenseitig zerfleischten, sodass der kurze Hype vergleichsweise schnell wieder vorüber war. Dass RTL II mit «Detlef Soost» dieses Genre nun wiederbeleben will, kennzeichnet eine mutige Entscheidung angesichts der Tatsache, dass ähnliche, dem Affektfernsehen zuzuordnende Formate in der jüngeren Vergangenheit weder von Kritikern noch von Fernsehzuschauern positiv aufgenommen wurden. Der Ankündigung nach will «Detlef Soost» in Sachen Daily Talks keine neuen Akzente setzen, sondern auf die bewährte Gangart setzen, die sich deutsche Daily Talks schon von ihren US-Vorbildern abschauten. Springen Zuschauer wieder an? Eventuell werden sie einige Fernsehende vermisst haben, berühmte Sätze wie: „Du bist nicht der Vater!“