Wenn «Blade Runner 2049» in die Kinos kommt, erklingt nicht die Musik des ursprünglich angeheuerten Komponisten. Sowas geschieht in Hollywood häufiger als man denkt …
Vergangenen Sonntag eroberte Hans Zimmer mit seinem eigenen Konzertfilm zahlreiche deutsche Kinos – und bereits am Donnerstag meldet sich der Komponist mit seinen neusten Stücken zurück: Zusammen mit seinem Schützling Benjamin Wallfisch («A Cure For Wellness», «Es») steuerte der Oscar-Preisträger die Musik zum Science-Fiction-Film «Blade Runner 2049» bei. Geplant war das ursprünglich jedoch nicht. Zunächst heuerte Regisseur Denis Villeneuve für den Job seinen erprobten Kollaborateur Jóhann Jóhannsson («Prisoners», «Sicario», «Arrival») an. Dies galt für einen Löwenanteil des Produktionszeitraums als gesetzt. Im Juli dieses Jahres kam dann jedoch ans Licht, dass Villeneuve kurzfristig Hans Zimmer mit ins Boot geholt hat, um Jóhannsson unter die Arme zu greifen. Als weitere Hilfe stieß auf Zimmers Anraten außerdem Wallfisch zum Team hinzu.
Seither hat sich in der Klangwelt von «Blade Runner 2049» allerdings noch mehr getan. Jóhann Jóhannsson ist raus aus dem fertigen Film, der endgültige Score stammt von Zimmer und Wallfisch, die ursprünglich bloß "zusätzliche Themen" schreiben sollten. Laut Interview gegenüber
Al Arabiya kam es nicht zum Ausfall zwischen Jóhansson und Villeneuve – es stellte sich bloß heraus, dass die von Vangelis inspirierte Klangtapete, die Villeneuve vorschwebte, mehr Zimmers und Wallfischs Ding war.
Damit darf sich Jóhansson endgültig als Teil der oberen Komponistenelite betrachten. Denn wie Hans Zimmer von mehreren seiner Schützlinge zitiert wird, hat der Oscar-Preisträger einen wichtigen Merksatz für Filmmusikschaffende parat: "Du hast es in Hollywood als Komponist erst geschafft, wenn du bei einem deiner Projekte durch jemanden ersetzt wirst." Zimmer kennt diese Situation von beiden Perspektiven. In seinen Anfangsjahren wurde er gelegentlich der Tür verwiesen, dafür ersetzte er unter anderem einen aufgrund von Terminkonflikten überlasteten Jack White bei «Lone Ranger» (wobei Teile seiner Kompositionen im fertigen Film Verwendung fanden), zuvor holte man ihn zur Hilfe, als Alan Silvestris Arbeit für «Fluch der Karibik» abgelehnt wurde.
Alan Silvestri kann weitere Lieder über das Ersetztwerden schreiben. Er wurde für den ersten «Mission: Impossible»-Film mit Tom Cruise angeheuert und erst relativ spät durch Danny Elfman ausgetauscht, er war die erste Wahl für die Instrumentalstücke in Disneys «Tarzan», ehe die Disney-Künstler auf Mark Mancinas percussionlastigen Stil umschwenkten, bei der Adam-Sandler-Komödie «Klick» wurde er wiederum für Rupert Gregson-Williams ausgebootet. Dafür war es Silvestri, der während der Produktion der wilden Gore-Verbinski-Komödie «Mäusejagd» den Platz des zunächst angeworbenen Bruce Fowler übernahm – und bei «Zauberhafte Schwestern» wurde Silvestri so kurzfristig dazugeholt, dass eine erste Soundtrack-CD-Pressung versehentlich noch verworfene Stücke des ursprünglichen Komponisten Michael Nyman präsentierte.
Ähnliches erlebte Danny Elfman bei «Spider-Man 2»: Während der Arbeiten an der Musik zu diesem Superheldenabenteuer kam es wiederholt zu Streitigkeiten zwischen ihm und Regisseur Sam Raimi. Diese explodierten endgültig, als es um die ikonische Szene ging, in der Spider-Man einen führerlosen Zug stoppt. Elfman komponierte ein Stück, das die Geschwindigkeit des allmählich stoppenden Zuges widerspiegelt, was Raimi missfiel. Die Beiden konnten sich nicht einigen, woraufhin Raimi Elfman kickte, durch Christopher Young ersetzte und ihn nicht nur an diese Szene, sondern auch an diverse weitere Sequenzen ansetzte. Die Soundtrack-CD zu «Spider-Man 2» beinhaltet aber noch Elfmans Version der Zug-Actionszene. (Raimi und Elfman haben sich Jahre später ausgesöhnt, nur so als kleine, frohe Randnotiz …)
Das Karma gab Danny Elfman dafür 2015 einen sehr eiligen Einsatz bei einem anderen Marvel-Film: Regisseur Joss Whedon holte Elfman relativ spät im Arbeitsprozess an «Avengers: Age of Ultron» hinzu, um in vereinzelten Sequenzen Brian Tylers Filmmusik zu ersetzen – vor allem bat Whedon ihn um Neuarrangements des Original-«Avengers»-Motivs, das für den Vorgängerfilm von Alan Silvestri geschrieben wurde. Dieses Jahr lockte Whedon erneut Elfman zu einer Comicadaption – dieses Mal zu «Justice League», und dieses Mal nicht in der Rolle eines zusätzlichen Komponisten. Elfman ersetzt den Monate zuvor für die Aufgabe angeheuerten «Mad Max: Fury Road»-Komponisten Junkie XL vollauf. Und schon wieder bearbeitet Elfman die Musik eines Vorgängers – nämlich John Williams' «Superman»-Thema. Und wie würde wohl «Air Force One» mit Melodien von «Toy Story»-Musiker Randy Newman klingen? Das werden wir wahrscheinlich nie erfahren – aber das Studio hat dies tatsächlich zwischenzeitlich versucht und womöglich noch ein paar von Newmans Ideen im Archiv.
Und es ist nicht so, als sei nur das heutige Hollywood so fahrig. Auch vor der Explosion des Blockbuster-Kinos kam es zu solchen Anekdoten. So verwarf Stanley Kubrick den von Alex North verfassten «2001: Odyssee im Weltraum»-Score komplett – und verzichtete darauf, Ersatz anzuheuern. Stattdessen nahm er die ursprünglich als Behilfstonspur gedachte Zusammenstellung klassischer Musikstücke. Der legendäre Jerry Goldsmith wiederum wurde in allerletzter Minute als Phillip-Lambro-Ersatz an «Chinatown» herangelassen, dafür flog er kurzfristig aus «Ein Schweinchen namens Babe» und Ridley Scotts «Legende» raus. Und Lalo Schifrins Musik zu «Der Exorzist» wurde der Legende nach von Regisseur William Friedkin in einem Wutanfall wortwörtlich aus dem Fenster geschmissen – als Ersatz kam Mike Oldfield an Bord, der prompt einen der ikonischsten Horror-Scores verfasst hat.