Dreißig Jahre nach Ridley Scotts wegweisendem Science-Fiction-Film «Blade Runner» wagt sich Visionär Denis Villeneuve mit «Blade Runner 2049» an eine Fortsetzung.
Filmfacts: «Blade Runner 2049»
- Kinostart: 05. Oktober 2017
- Genre: Science-Fiction
- FSK: -
- Laufzeit: 165 Min.
- Kamera: Roger Deakins
- Musik: Benjamin Wallfisch, Hans Zimmer
- Buch: Hampton Fancher, Michael Green
- Regie: Denis Villeneuve
- Darsteller: Ryan Gosling, Harrison Ford, Robin Wright, Jares Leto, Ana de Armas, Dave Bautista, Sylvia Hoeks, Carla Juri
- OT: Blade Runner 2049 (UK/USA/CAN 2017)
Es wäre nicht das erste Mal, dass sich Filmschaffende viele Jahre lang gegen das Prinzip der in Hollywood so beliebten Fortsetzung aussprechen, nur um bei der richtigen Bezahlung dann doch irgendwann einzuknicken. Der bislang mit einer fast schon unverschämt hochwertigen Vita ausgestattete Kanadier Denis Villeneuve («Enemy», «Prisoners» «Sicario», «Arrival») untermauerte seine Vorbehalte bislang damit, selbst die prestigeträchtigsten Sequels abzulehnen, deren Inszenierung man ihm anbot. Auch die Fortführung des Science-Fiction-Meilensteins «Blade Runner» winkte er bereits dankend ab, eh er sich – auch nach Gesprächen mit dem Regisseur des Originals, Ridley Scott und dem mehrfachen Studieren des Skripts – schließlich doch der Aufgabe annahm um damit jene Fortsetzung mit der bislang größten Zeitspanne zwischen zwei aufeinander folgenden Teilen zu inszenieren. Die 1982 mit selbst für damalige Verhältnisse erstaunlich wenig Computertricktechnik inszenierte Dystopie erarbeitete sich im Laufe der Jahrzehnte einen Kultstatus ähnlich solcher wegweisenden Projekte wie «2001: Odyssee im Weltraum» (Denis Villeneuves Lieblingsfilm), der zwei Jahre später erschienene «Terminator» oder «Alien» – und gerade bei genreähnlichen Produktionen, die nach «Blade Runner» erschienen sind, erkennt man die Wichtigkeit von Scotts Arbeit als Ideenlieferant und Inspiration für das Segment des Science-Fiction-Films an sich.
Noch nicht einmal eine schlechte Alterung könnte man ihm vorwerfen. «Blade Runner» könnte in seinem virtuos-futuristischen Stilwillen ebenso gut ein Film aus den späten Zweitausendern sein, was die Anforderungen an das Sequel – zumindest aus inszenatorischer Sicht – in schier unermessliche Höhen schnellen lässt. Wenn schon das Original vor über dreißig Jahren in einer nie da gewesenen, technisch wegweisenden Perfektion daherkam, was eröffnet uns dann erst der ohnehin auf berauschende Bildgewalten spezialisierte Villeneuve mit «Blade Runner 2049»?
Dreißig Jahre sind vergangen
30 Jahre nach den folgenschweren Ereignissen im Los Angeles des Jahres 2019 fördert ein neuer Blade Runner, der engagierte LAPD-Polizeibeamte K (Ryan Gosling), ein lange unter Verschluss gehaltenes Geheimnis zu Tage, welches das Potential hätte, die noch vorhandenen gesellschaftlichen Strukturen des dystopischen Molochs ins Chaos zu stürzen. Die Entdeckungen von K führen ihn auf die Suche nach dem untergetauchten, offiziell längst für tot erklörten Rick Deckard (Harrison Ford), der selbst jahrelang als LAPD-Blade-Runner unterwegs war. Gemeinsam könnten sie dafür sorgen, dass die Ordnung im System wiederhergestellt und die Menschheit gerettet wird.
In den USA begann nach den ersten Pressevorführungen ein regelrechtes Wettbieten um das euphorischste Urteil. Prädikate wie
„Meisterwerk“,
„Bester Film des Jahres“ oder andere Lobhudeleien gingen den professionellen Betrachtern über die Lippen; und wenn sich vereinzelte Kritikpunkte unter die Stimmen mischten, gingen diese zumeist in Richtung der erzählerischen Komponente. Damit hätte Villeneuve den Geist des Vorgängers sogar noch einmal umso perfekter getroffen, denn – so ehrlich muss man sein – trotz diverser philosophischer sowie moralischer Ansätze und haufenweise aufgeworfenen Fragen zur Existenz der Menschheit, stellte der erzählte Inhalt einschließlich der Figurenzeichnung schon immer den Schwachpunkt von «Blade Runner» dar. Doch schon die Veröffentlichungspolitik gab erste Hinweise darauf, dass das Sequel hier möglicherweise gar besser aufgestellt sein könnte, als das Original, denn die sehr späten Vorstellungen für die Presse resultierten nicht etwa daraus, dass man aufgrund der Qualität Angst vor negativer Berichterstattung habe, sondern aus Furcht vor Spoilern (Villeneuve:
„Die Verantwortlichen sagten, sie hätten in der Vergangenheit bei anderen Filmen schlechte Erfahrungen mit Spoilern gemacht. Es gibt wohl eine Art Wettkampf unter Filmblogs: Wer weiß mehr, wer kann mehr Details liefern?“).
Und tatsächlich ist «Blade Runner 2049» nicht bloß das erwartbare Film-Noir-Gemälde, das in seiner fast schon erschlagenden Schönheit und akkuraten Inszenierung regelrecht dazu animiert, die existenziellen Fragen rund um die Menschheit anhand des Gezeigten beantworten zu wollen, sondern ein typischer Denis-Villeneuve-Film; und wer «Arrival» oder «Enemy» gesehen hat, der weiß, dass der Regisseur es versteht, sein Publikum mit erzählerischen Kabinettstückchen (und trotzdem ganz ohne Effekthascherei) emotional zu überrollen.
Während er in seinem letzten großen Film «Arrival» noch so virtuos mit verschiedenen Zeitebenen spielte, dass sich das oscarnominierte Sci-Fi-Drama den Begriff „Mindfuck“ mehr als verdient hatte, zaubert das Autorenduo um den bereits am Original-«Blade Runner» beteiligten Hampton Fincher und Michael Green («Logan») hier überraschenderweise nicht die ganz großen Turn-Arounds aus dem Hut. Dass Denis Villeneuve vorab trotzdem darauf pochte, das Publikum mit möglichst wenig Wissen um die Story ins Kino zu entlassen, liegt in einer Handvoll Storywendungen begründet, die die Macher akkurat vorbereiten. Kontinuierlich streuen Villeneuve und seine Crew Brotkrumen aus inhaltlichen Hinweisen, die dafür sorgen, dass viele spätere Erklärungen den Zuschauer zwar vor den Kopf stoßen, jedoch nicht aufgrund der Absurdität beeindrucken, sondern vielmehr durch die erzählerische Konsequenz und Raffinesse.
Der Geschichte von «Blade Runner 2049» geht man gern auf den Leim, der man übrigens auch dann weitgehend mühelos folgen kann, wenn man mit dem Original nicht mehr ganz so vertraut ist. Gleich zu Beginn ordnet eine ausführliche Texttafel das Geschehen in einen zeitlichen wie inhaltlichen Kontext ein; wer dennoch über mehr als bloß rudimentäres Wissen verfügt, entdeckt viele Links und Querverweise im Hinblick auf die handelnden Figuren und kann sich so ein wenig besser zusammenreimen, was in der im Film angewandten Zeitspanne von dreißig Jahren in dem heruntergekommenen LA passiert ist (weiteren Aufschluss darüber geben indes auch die drei vorab veröffentlichten Prequel-Kurzfilme «2036: Nexus Dawn», «2048: Nowhere to Run» sowie «Black Out 2022»).
Ein visueller Rausch, der seinesgleichen sucht
Höchst entschleunigt und in fast schon lethargisch-melancholischen Bildern (Kameralegende Roger Deakins dürfte seine nächste Oscar-Nominierung hiermit sicher haben), schleicht Hauptdarsteller Ryan Gosling («La La Land») durch das berauschende Setting aus virtuos erbauten (echten) Gebäuden, vortrefflich realistisch animiertem CGI, das einem das Gefühl gibt, sämtliche Fahr- und Flugzeuge sowie Computerspielereien würden so tatsächlich existieren, und handgemachten Effekten, die in ihrer Brillanz ebenfalls aus dem Computer zu kommen scheinen, jedoch oftmals das Ergebnis eines ausgeklügelten Zusammenspiels verschiedener haptischer Elemente sind. Als Paradebeispiel dafür gelten die diversen Hologramme in der City von Los Angeles, die nur zum Teil auf Basis von CGI-Effekten entstanden sind. Mithilfe von gezielten Licht- und Schattenspielen (Stichwort: Wasser), künstlichem Nebel und Kunstinstallationen entstanden große Teile des visuellen Bombasts von «Blade Runner 2049» direkt am Set; das Ergebnis ist ein optisches Spektakel, das im Jahr 2017 seinesgleichen sucht.
Mit deutlichen Referenzen an die Zustände um ersten «Blade Runner»-Film spinnen die Verantwortlichen die dato schon wegweisenden Ideen kontinuierlich weiter und machen aus der Stadt L.A. ein von Werbung, Lieb- und Leblosigkeit sowie Triebbefriedigung dominiertes Moloch, in dem nie die Sonne scheint. Lediglich die neonfarbene Reklame und Schnee sorgen für vereinzelte Farbnuancen und heben die Tristesse dieser dystopischen Welt umso mehr hervor. Für Roger Deakins («Sicario») ist diese Szenerie ein gefundenes Fressen, um sich auszutoben. Seine präzise Bildsprache ist wie gemacht für die langen Kameraeinstellungen, die unter Zuhilfenahme sorgsam platzierter Schnitte eine regelrechte Sogwirkung entfalten. Obwohl die Geschichte selbst nur äußerst gemächlich voranschreitet, ist auf der Leinwand immer irgendwas zu sehen, sodass sich nahezu jede Einstellung von «Blade Runner 2049» als Gemälde an die Wand hängen ließe.
Ein Meisterwerk
So passt es dann auch, dass «Blade Runner 2049» anders als sein Vorgänger zu großen Teilen auf Action verzichtet. Im Zentrum der Erzählung steht vielmehr Ks Ermittlungsarbeit, die nach einer Weile auch seine eigene Person betrifft. Was für eine bahnbrechende Entdeckung er macht, inwiefern er in diese involviert ist und was Jared Letos Figur des ebenso undurchsichtigen wie visionären Neander Wallace mit der Sache zu tun hat, sei an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Dafür offenbart ein Blick auf die namhaft besetzte Darstellerliste, wie viele verschiedene Charaktere in dieser Geschichte ihre Finger im Spiel haben. Neben dem erst sehr spät auftauchenden Harrison Ford («Star Wars: Das Erwachen der Macht»), «House of Cards»-Star Robin Wright als Ks resolute Chefin Joshi und Sylvia Hoeks («Whatever Happens») als verführerische Luv legt Denis Villeneuve großen Wert auf die Betrachtung der Beziehung zwischen K und Joi (Ana de Armas, «War Dogs»); die Liebelei des Mannes mit der virtuellen Schönheit erinnert stark an jene in Spike Jonzes Drama «Her» und reichert den Film mit einer passenden Portion Emotionalität an, ohne dabei den Fokus von der eigentlichen Geschichte zu nehmen.
Sämtliche Darsteller fügen sich in das große Gesamtkonstrukt des Films, das von einer Soundkulisse (Benjamin Wallfisch, Hans Zimmer) untermalt wird, die ähnlich des Scores von «Arrival» weniger als Musik denn vielmehr als dauerhaftes Dröhnen wahrzunehmen ist. Sie unterstreicht das Dasein von «Blade Runner 2049» als Fest für die Sinne, in dessen Rausch die vielen angerissenen Themen und Fragen fast unterzugehen drohen.
Eines muss sich «Blade Runner 2049» – ebenso wie der erste Teil – dann nämlich doch gefallen lassen: Trotz der betont ruhigen Erzählweise und des Weglassens von möglichst viel charaktisierendem Ballast (allen voran Hauptfigur K bleibt bis zuletzt unterbelichtet) genügt kein einmaliges Sehen, um sämtliche erzählerischen Aspekte von Denis Villeneuves neuestem Meisterwerk zu erfassen. Aufgrund des gezielten Spielens mit verschiedenen Gedanken- und Handlungsebenen bleibt bis zuletzt in vielen Momenten unklar, was Realität ist und was nicht. Darüber hinaus legen die Macher den Grundstein dafür, in einem weiteren Film diverse offen gelassene Erzählstränge fortzuführen. Nichts desto trotz lässt sich «Blade Runner 2049» auch als allein stehender Film betrachten. Die Welt, in die uns Denis Villeneuve in seinen nie langatmigen, sondern vielmehr gezielt ruhigen 165 Minuten (!) entführt, bietet eben keine eindeutigen Antworten auf so viele Fragen zur menschlichen Existenz.
Fazit
«Blade Runner 2049» ist ein berauschendes Fest für die Sinne und legt die visuelle Messlatte für das Science-Fiction-Kino der kommenden Jahre hoch. Erzählerisch passt sich Denis Villeneuve der entschleunigten Attitüde seiner Inszenierung an und spielt hier mit weniger offensichtlichen Twists, als noch in seinem letzten Film «Arrival». Dafür liefert auch dem Zuschauer einmal mehr diverse Rätsel an die Hand und macht aus Ryan Gosling einen melancholischen Helden, an dessen Reise das Publikum über 165 Minuten gern teilhat. Mehrmaliges Sehen unbedingt notwendig!
«Blade Runner 2049» ist ab dem 5. Oktober bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen!