Carolin Haasis: 'Die Themenentwicklung verläuft bei uns nicht dogmatisch'

ARD-Degeto-Redakteurin Carolin Haasis über ihre Aufgabe, die Regieförderung innerhalb der ARD Degeto und die Frage, wie sich die Degeto ihre Filmthemen aussucht.

Die Grundlage eines jeden Films ist erstmal ein Drehbuch, welches wiederum auf einer Idee basiert – sei es fiktional oder eine Vorlage oder ein Ereignis, das dazu inspiriert, sich eine filmische Adaption vorzunehmen. Wir als Redaktion haben die Aufgabe, diese Projekte zu finden und Produzentinnen und Produzenten mit Autorinnen und Autoren interessanter Ideen an uns zu binden.
Carolin Haasis
Frau Haasis, erklären Sie bitte für alle, die sich unter Redakteurinnen und Redakteure nur die Verantwortlichen einer journalistischen Publikation vorstellen können, in eigenen Worten: Was macht eigentlich eine Degeto-Redakteurin?
Die Aufgabe besteht vor allem darin, in Absprache mit unserem Redaktionsleiter Sascha Schwingel, die Projekte für unser Programm auszuwählen. Die Grundlage eines jeden Films ist erstmal ein Drehbuch, welches wiederum auf einer Idee basiert – sei es fiktional oder eine Vorlage oder ein Ereignis, das dazu inspiriert, sich eine filmische Adaption vorzunehmen. Wir als Redaktion haben die Aufgabe, diese Projekte zu finden und Produzentinnen und Produzenten mit Autorinnen und Autoren interessanter Ideen an uns zu binden. Ganz wichtig dabei: Film ist immer Teamarbeit. Dies ist der erste Schritt, im zweiten sind wir dafür verantwortlich, diese Stoffe weiterzuentwickeln. Wenn die grobe Idee steht, welchen Stoff wir erzählen und senden wollen, liegt es an uns, die Drehbuchentwicklung konkret zu betreuen. Bei «Willkommen bei den Honeckers» kam der Produzent Christian Rohde mit dieser tatsächlich passierten Geschichte einer Einzelperson zu uns und gemeinsam haben wir dann mit Matthias Pacht einen renommierten Drehbuchautor gefunden und die Ereignisse einer filmischen Struktur angepasst.

Generell gilt es im nächsten Schritt gemeinsam mit der Produzentin oder dem Produzenten, die Partner für einen Film zu finden. Wir stellen uns gemeinsam die Frage, welche Regisseurin oder welcher Regisseur in unseren Augen der richtige für den Film ist? Denn jeder Regisseur oder jede Regisseurin macht aus demselben Drehbuch einen anderen Film, und wir entscheiden mit den ProduzentenInnen, welche Handschrift und Tonlage für das jeweilige Projekt reizvoll sein könnte. Andere Entscheidungen, die wir gemeinsam treffen müssen: Wer sind die Darsteller, wo spielt der Film, wie viel darf er kosten, wie sorgen wir dafür, dass der Kostenrahmen eingehalten wird? Wer steht hinter der Kamera, wer macht die Maske, Ausstattung und das Kostüm, die Musik. … das alles sind Entscheidungen, die beeinflussen, wie der Film letztlich aussieht, den wir am Ende zeigen werden.

Nach diesen Schritten geht es weiter, denn im Schneideraum entsteht der Film nochmal neu – man sagt nicht ohne Grund, dass ein Film drei Mal Gestalt annimmt: Auf den Drehbuchseiten, beim Dreh und dann im Schnitt. Da gilt es, vieles zu beachten: Welchen Rhythmus soll der Film haben, wird er eher komisch oder dramatisch? Wie erzählt sich der Humor in der Inszenierung? Was davon passt ins Programm, und was wollten wir ursprünglich mit dem Film aussagen? Die letzten Diskussionen führen wir gemeinsam über die Richtung der Musik, die Titelauswahl und wir begleiten die Tonmischung.

Bildlich gesprochen klingt es so, als seien die Redakteure die Eltern des Films. Sie bringen die Idee auf die Welt, können sie anfangs etwas stärker steuern und auch bis zum Schluss Ratschläge geben, aber nach und nach wird die Kontrolle mit anderen Einflüssen geteilt …
(lacht) Ja, das kann man so sagen. Ein anderes Bild unserer Arbeit, das ich sehr stimmig finde, ist folgendes: Sascha Schwingel und wir geben gemeinsam die Leitplanken vor, zwischen denen sich der Film bewegen darf. Man muss darauf achten, dass der Film während der Entwicklung nicht über sie hinausgeht – aber man verpflichtet kreative Leute, die sich selbstredend in einem Rahmen frei entfalten sollen.

Von Beginn der Filmentwicklung bis zur Ausstrahlung vergehen zwei oder mehr Jahre – ein Jahr für die Drehbuchentwicklung und eines für Dreh und Schnitt. Manchmal geht es natürlich auch schneller. Viele bei der Ideenfindung noch aktuelle Dinge sind dann in Vergessenheit geraten. Oder aber man wird von der Aktualität eingeholt.
Carolin Haasis
Wie darf ich mir die Stoffsuche vorstellen? Wie sieht der Entscheidungsprozess aus, welches Jubiläum, welche Schlagzeilenthemen in einem Spielfilm verarbeitet werden?
Aktuelle Schlagzeilen sind schwierige Fälle. Von Beginn der Filmentwicklung bis zur Ausstrahlung vergehen zwei oder mehr Jahre – ein Jahr für die Drehbuchentwicklung und eines für Dreh und Schnitt. Manchmal geht es natürlich auch schneller. Viele bei der Ideenfindung noch aktuelle Dinge sind dann in Vergessenheit geraten. Oder aber man wird von der Aktualität eingeholt.

Die Themenentwicklung verläuft bei uns nicht dogmatisch. Wir schauen in der Redaktion auch auf gesellschaftliche Strömungen. Dabei stößt man dann auf Themen, die interessant sind, weil sie die Lebenswirklichkeit der Menschen abbilden oder auf Entwicklungen eingehen, die kontrovers behandelt werden. Wir haben etwa das Drama „Mein Sohn Helen“ gemacht, das die Transgenderthematik behandelt hat. Solche Ideen rücken schleichend durch gesellschaftspolitische Diskussionen ins Bewusstsein der Masse.

«Mein Sohn Helen» ist ein sehr gutes Beispiel: Damit waren Sie der Zeit sogar leicht voraus, was die breite Öffentlichkeit angeht. Probleme von Transgendern wurden 2015 noch nicht auf so prominenter Bühne debattiert wie heute.
Umso spannender und erfreulicher war für uns die Resonanz auf diesen Film in den sozialen Medien. Ein anderer Film, der ein noch wenig behandeltes Thema anpackte, aber ein großer Erfolg war, ist «Mein Sohn, der Klugscheißer». Er handelt von einer Busfahrerin, die erfährt, dass ihr Sohn hochbegabt ist. Inszeniert wurde «Mein Sohn, der Klugscheißer» übrigens von Pia Strietmann, ihr zweiter Fernsehfilm, nachdem wir mit ihr schon bei Ihrem Debüt zusammengearbeitet haben.

Wie werden bei der Degeto neue Regietalente gefördert, wo finden Sie Regienovizen?
Wir arbeiten immer wieder und gerne mit jungen, talentierten Regisseurinnen und Regisseuren zusammen – seien es Quereinsteiger oder Newcomer von den entsprechenden Filmhochschulen, die ihren ersten Film außerhalb des Studiums verwirklichen. Sascha Schwingel und wir als Redaktion haben keine interne Maßgabe, welchen Hintergrund jemand haben muss, damit sie oder er für uns Regie führen kann.

Wir arbeiten immer wieder und gerne mit jungen, talentierten Regisseurinnen und Regisseuren zusammen – seien es Quereinsteiger oder Newcomer von den entsprechenden Filmhochschulen, die ihren ersten Film außerhalb des Studiums verwirklichen.
Carolin Haasis
Haben Sie Empfehlungen für Regieanfänger, wie es ihnen leichter fällt, eine Chance erteilt zu bekommen? Ist es besser, sein Debüt mit dem Drehbuch eines etablierten Talents zu absolvieren oder soll man mit seiner eigenen Idee zu Ihnen kommen?
Da haben wir keine Präferenz. Wenn jemand mit seiner eigenen bestechenden Idee zu uns kommt, und sie als Regiedebütant unbedingt selber umsetzen will, braucht er in jedem Fall eine starke Produzentin/einen starken Produzent, der das Vorhaben unterstützt.

Gibt es bei der Degeto Überlegungen, eine interne Regel einzuführen, wie viele Regiedebütantinnen und -debütanten im Jahr einen Auftrag erhalten sollen?
Wir haben 2014 den Degeto-Impuls-Preis ins Leben gerufen. Die ersten Gewinner waren Nadine Gottmann und Sebastian Hilger. Die beiden haben nicht nur das Drehbuch für einen Freitagsfilm geschrieben, sondern Sebastian hat als Debütant «Familie ist kein Wunschkonzert» inszeniert. Talente zu fördern ist für uns als Redaktion eine zentrale Aufgabe, mit der wir uns sehr leidenschaftlich beschäftigen.

Vielen Dank für das Gespräch. «Willkommen bei den Honeckers» ist am 3.Oktober 2017 um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
03.10.2017 12:17 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/96218