Jubiläum für Charlotte Lindholm: Die Kommissarin, die 2002 ihr Debüt feierte, knöpft sich ihren 25. Fall vor. Doch bei diesem handelt es sich um eine ebenso reale wie harte Nuss …
Cast und Crew
- Regie: Anne Zohra Berrached
- Darsteller: Maria Furtwängler, Aljoscha Stadelmann, Susanne Bormann, Ernst Stötzner, Hedi Kriegeskotte, Stephan Grossmann, Annika Martens, Moritz Jahn, Adam Bousdoukos
- Drehbuch: Jan Braren
- Kamera: Bernhard Keller
- Schnitt: Denys Darahan
- Musik: Jasmin Reuter
- Produktionsfirma: Nordmedia
Der niedersächsische «Tatort» mit Charlotte Lindholm alias Maria Furtwängler feiert Jubiläum: Zum 25. Mal wird die Kriminalhauptkommissarin auf das Verbrechen losgelassen. Partystimmung kommt – nach den ersten paar Augenblicken dieses Neunzigminüters – allerdings nicht auf: Lindholm schleppt sich verkatert, übermüdet und emotional verletzt durch einen kniffligen Fall. Und der frustrierende Verlauf der Ermittlungen knüppelt Lindholm nur immer weiter nieder …
Die eigentlich kühle, distanzierte Charlotte Lindholm gönnt sich endlich einmal einen Abend der Freude und Sorglosigkeit. Doch die Spitzenstimmung im hannoverschen Nachtleben findet ein abruptes Ende, als sie dringend austreten muss und die Schlange vor der Frauentoilette ellenlang ist. Also verschwindet Lindholm auf den dunklen Parkplatz des Clubs ihrer Wahl – wo sie von drei fremden Männern beim Pinkeln gefilmt wird. Lindholm schnauzt sie an, die Datei zu löschen, wird aber von den Mistkerlen niedergeschlagen, bespuckt und getreten. Die Täter fliehen, die gedemütigte und verletzte Lindholm fährt mit dem Taxi heim, streitet sich am Telefon mit Henning, mit dem sie im Club geflirtet hat.
Am nächsten Tag will Lindholm einfach nur ausschlafen. Stattdessen wird sie aber von ihrem Vorgesetzten wachgeklingelt. Ja, sie mag sich krankgemeldet haben, aber der Entführungsfall der Bankiers-Gattin Julia Holdt dulde keinen Aufschub. Der ungeduldige, emotional instabile Ehemann macht nämlich gerade einen von der Polizei nicht gestatteten Alleingang und will das Lösegeld übergeben. Kontakt zu ihm besteht nicht mehr … Es folgt ein absurd hektischer polizeilicher Ablauf, bei dem die überforderte, unfitte Kriminalhauptkommissarin unentwegt Patzer macht, ihre junge Kollegin Frauke Schäfer unentwegt abkanzelt und sich obendrein auf unprofessionelle Weise in den Fall verbeißt …
Obwohl es sich bei «Der Fall Holdt» um eine fiktionale Erzählung handelt, nährt sich dieser neunzigminütige Kriminalfilm aus realen Umständen. Die lose Inspiration ereignete sich Mai 2010 im baden-württembergischen Heidenheim an der Brenz. Bankiersgattin Maria Bögerl wurde aus ihrem Haus entführt, eine Stunde später ging beim Ehemann die Lösegeldförderung von 300.000 Euro ein. Die Geldübergabe misslang, die Frau blieb verschollen. Die groß angelegte, öffentliche Fahndung, die es in die ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY … ungelöst» schaffte, blieb erfolglos: Am 3. Juni 2010 fand ein Spaziergänger die Leiche des Entführungsopfers. Ihr Witwer wählte ein Jahr später den Freitod. Die Bögerl-Hinterbliebenen kritisierten im Anschluss medienwirksam die Verfahrensweise der Polizei …
Regisseurin Anne Zohra Berrached,
die schon mit dem Kinofilm «24 Wochen» ein langsam erzähltes, sehr emotionales Drama ablieferte, nähert sich dem Thema mit einer gebührend-unaufgeregten Inszenierung: Ohne Effekthascherei fängt sie die nassforsche, beengende Atmosphäre des herbstlichen Waldes ein, in dem sich ein Gros der Handlung abspielt. Wenn es zu Gewalt kommt, etwa in den Szenen, die Maria Bögerl Entführung anreißen, scheut die Regisseurin nicht davor, klar zu machen, was gerade passiert – gleichwohl schwenkt sie rechtzeitig weg, um keinen von Gewaltspitzen dominierten «Tatort» aus diesem Suspense-Film zu formen.
Im Mittelpunkt des von Jan Braren («Homevideo») geskripteten Films stehen unmissverständlich die Performances dreier Akteure: Furtwängler als eine aus ihrem Element der sicheren Distanziertheit gerissene Lindholm. Susanne Bormann als engagierte, vielleicht nicht genug erfahrene, in diesem Fall aber ganz klar in der gesünderen Position stehende Jungermittlerin Frauke Schäfer, die aber immer wieder ausgebremst wird. Und Aljoscha Stadelmann als hysterischer Gatte des Entführungsopfers, der unentwegt zwischen liebevoll besorgt und total übertrieben sowie wütend wechselt.
Anhand dieser drei Charaktere hangelt sich «Der Fall Holdt» an einer (im Mittelteil etwas zäh geratenen) Reihe von dramatischen Missgeschicken entlang. Diese machen die unterkühlte Lindholm menschlich, gehen auf systembedingte Verfahrensfehler sowie Sexismus innerhalb der Polizeibehörde ein und machen die emotionale Intensität eines Entführungsfalls nahbar.
Wem der Horror-«Tatort» der Vorwoche zu aufregend war, findet vielleicht an diesem besonneneren atypischen «Tatort» mehr Gefallen.
Lindholms Jubiläums-«Tatort» ist am 5. November 2017 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.