Am Mittwochabend präsentiert ZDFneo den inhaltlich missglücktesten Serienneustart seit langem: eine intellektuell armselige Polit-Serie, herumgeschrieben um diffuse Gefühle, die auch Trump und Le Pen bedienen. Ein Armutszeugnis für das ZDF.
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Rosalie Thomass als Eva Blumenthal
Bernhard Schir als Wolfgang Zielert
Daniel Aichinger als Holger Thomas
Thomas Sarbacher als Hugo von Bergen
Klaus Dieter Klebsch als Robert Paulsen
René Geisler als Gustav Hahn
Stefan Haschke als Stefan Link
Hinter der Kamera:
Produktion: Warner Bros. ITVP Deutschland GmbH
Drehbuch: Mika Kallwass und Sven Nagel
Regie: Sven Nagel
Kamera: Marco UggianoIch habe eine Fantasie. In dieser Fantasie versammle ich alle Personen, die mit der Produktion der neuen ZDFneo-Serie «Die Lobbyistin» in einem wie auch immer gearteten Zusammenhang stehen, und zeige ihnen alte Folgen von «The West Wing», einer der intelligentesten, am besten erzählten und gespielten Serien, die es je gegeben hat. Sie spielt im titelgebenden Westflügel des Weißen Hauses in der Regierung des fiktiven amerikanischen Präsidenten Jed Bartlett. In ihr tun intelligente Menschen intelligente Dinge, ihre schnellen Dialoge sind voll von klugem Subtext und weitsichtigen Referenzen, und obwohl in ihr gerne dramatische Dinge passieren, erzählt sie doch nah an einer gewissen Realität des (amerikanischen) Polit-Betriebs. Wichtige Themen, von komplexen außenpolitischen Entwicklungen über Steuerreformen bis hin zu sicherheitspolitischen Krisen werden intelligent und lebensnah, einnehmend, faszinierend und persönlich ergreifend vorgestellt. Ihre Figuren haben Haltungen, und die sind nicht einfach-versimpelt, sondern vielschichtig, höchstdifferenziert und manchmal widersprüchlich. Obwohl die Dialoge zackig und prägnant sind, sprechen die Charaktere nicht in
Soundbites, sondern lassen sich gerne zu schwierigen, langandauernden, aber trotzdem
snappy geschriebenen Ausführungen hinreißen. Die Konflikte, die sie austragen, sind manchmal von Zu- und Abneigungen zu ihren Verbündeten, Gegnern, Freunden und Feinden geprägt, aber entspringen doch immer: der Sache.
Ich möchte eine solche Serie den Machern von «Die Lobbyistin» gerne zeigen, weil sie mit diesem sechsteiligen Format alles falsch gemacht haben, was man an einer politischen Serie falsch machen kann.
Eva Blumenthal (Rosalie Thomass) ist Abgeordnete des Deutschen Bundestags, spezialisiert auf das Gebiet der Energiepolitik. Eigentlich soll bald ihr Gesetzesentwurf eingebracht werden, der eine strenge Regulierung großer Energiekonzerne vorsieht. Doch in letzter Minute pfeift der Wirtschafts- und Energieminister das Vorhaben zurück und ersetzt es durch ein industriefreundliches. Kurz zuvor hatte ein bekannter Lobbyist versucht, Blumenthal in sein Beratungsunternehmen zu holen. Blumenthal, die Integrität in Person, hat natürlich abgelehnt. Und das, obwohl sich der Mann richtig ins Zeug gelegt hat: „Bayern München kauft auch immer die besten Spieler“, säftelt er. Aber nein, sie wolle nicht auf der falschen Seite stehen. „Falsche Seite, gibt’s die überhaupt?“, entgegnet der Lobbyist da scharfsinnig.
Donnerwetter. Dialogzeilen sind das, Aaron Sorkin würde wohl eher das Tipp-Ex aussaufen, als sie niederzuschreiben. Doch die Einfachheit und Borniertheit sind hier Konzept. Völlig unmöglich ist also auch, dass die Freund- und Feindschaften und persönlichen Verflechtungen in dieser Serie aus politischen Anschauungen, strategischen Konstellationen oder einer intellektuellen Sympathie erwachsen. Stattdessen muss der Konflikt zwischen der führenden Abgeordneten Blumenthal und dem hinterlistigen Wirtschaftsminister dadurch unterfüttert werden, dass die Beiden eine alte Bettgeschichte verbindet.
Vertrauen in eine erzählerische Stärke, in einen starken Plot, interessante, einnehmende, intelligente, glaubwürdige Figuren kann der Stoff also – immerhin das ist folgerichtig – gar nicht entwickeln. Nach der deutschen Fernsehlogik bleibt also nur eine Möglichkeit: Er muss zum Krimi werden.
Das geht so: Blumenthal soll von dem Lobbyisten, der sie abwerben wollte, geschmiert worden sein. Davon existieren nicht nur (gefälschte?) kompromittierende Fotos, sondern auch Mailverläufe, die Blumenthal nie abgeschickt haben soll. Jemand muss sich in ihren Rechner gehackt haben, aber die Polizei findet nichts. Ihr einziger Ausweg: Sie legt ihr Mandat nieder und heuert in der Lobbyistenfirma an – um herauszufinden, wer ihr das alles anhängen wollte.
Diese Serie hat zahlreiche Probleme. Das wohl größte: ihre intellektuellen Zumutungen. Die speisen sich hauptsächlich aus dem plakativen Duktus, den man gewählt hat, um diese hanebüchene Geschichte und diese depperten Figuren zu erzählen. Der Untertitel fragt pathetisch gestelzt: Auf welcher Seite stehst du?
Ohne vereinfachen zu müssen, geht es in dieser Serie um eine penetrant integere, aufrichtige, mitfühlende Parlamentsabgeordnete und gemeine, rücksichtslose, gewinnsüchtige und menschenverachtende Lobbyisten, die die Demokratie aushebeln wollen, um die Interessen von Geld und Macht gegen die des Volkes durchzusetzen. So ähnlich wie die Autoren Sven Nagel und Mika Kallwass den Polit-Betrieb auffassen, hören sich auch die Ausführungen von Marine le Pen an. Ihre Argumente sind im Kern dieselben: dümmliche Vereinfachungen, zynische Überspitzungen, falsche Schlussfolgerungen. Auch die Zielsetzungen sind wohl ähnliche: Ein einfach gestrickter Zuschauer soll eifrig nicken und sich empören, und er soll ja nicht merken, dass ihm gerade die Hucke vollgelogen wird.
Natürlich üben Interessensvertretungen in der Realität einen in Teilen unbotmäßigen Einfluss auf den politischen Betrieb aus. Doch während die Wirklichkeit komplex ist, voll widerstreitender Interessen und ausladender Verwicklungen, ist die Welt von «Lobbyistin» die einfachste: Lobbyisten sind kaltherzige Menschen, die lügen, betrügen, „das Volk“ zum Narren halten, um ihm schädliche Dinge aufzuzwingen, die es nicht will. An sachlicher oder psychologischer Komplexität hat diese Serie nicht das geringste Interesse, im Gegenteil: Sie muss um jeden Preis vermieden werden. Der Zuschauer soll sich nicht auf eine geistvolle Art an den hier verhandelten Themen beteiligen, er soll stattdessen pathetisch entsetzt sein und mit der gebeutelten Hauptfigur mitfühlen, die zudem intellektuell deutlich schwerfälliger auftritt, als das glaubhaft oder einem solchen Thema zuträglich wäre.
Das Gegenteil wäre der richtige Ansatz gewesen: Im politischen Berlin ist der Interessensausgleich jeden Tag ein zäher, aber unheimlich spannender, hochinteressanter Prozess. Die Polit-Welt ist voller Intrigen, Winkelzüge, ausgeklügelter Machtspiele und ideologischer Konfrontationen. All das ist aber in «Lobbyisin» völlig egal. Stattdessen wird der Stoff mit unglaubwürdigen Albernheiten und törichten Dummheiten vollgepfercht – und er verkennt, dass ein Polit-Stoff ohne die komplexe Welt der Politik in etwa so gut funktioniert wie ein «Tatort», der kein Krimi ist, oder ein Thriller ohne Gefahr oder eine Komödie voller Traurigkeit: nicht im Geringsten, denn das Oxymoron ist perfekt. Ebenso dieses Armutszeugnis des ZDF.
ZDFneo zeigt sechs Folgen von «Die Lobbyistin» mittwochs ab dem 15. November um 21.45 Uhr. Alle Episoden sind ab dem selben Tag in der ZDF-Mediathek abrufbar.