Serdar Somuncu: ‚Toleranz predigen, in dem ich Intoleranz praktiziere‘

Schauspieler, Autor, Moderator und Politiker: Serdar Somuncu ist ein Tausendsassa. Im Sommer machte er Wahlkampf für Die Partei, seit Herbst ist er wieder in n-tv’s «So Muncu!» zu sehen. Ein Gespräch über Jamaika, die AfD, das Anecken und Martin Sonneborn.

Zur Person: Serdar Somuncu

Somuncu wurde 1968 in Istanbul geboren, ist Autor, Schauspieler, Regisseur und Moderator. Im Sommer war er "Kanzlerkandidat" der Partei. Im Fernsehen moderiert er regelmäßig seinen n-tv-Talk «So Muncu!» (seit über zwei Jahren), zudem tritt er in der erfolgreichen ZDF-«heute Show» auf. Zuvor war er auch Teil des inzwischen beendeten «neoParadise». Bei Radio Eins hat er sonntags eine zweistündige Sendung namens «Die blaue Stunde». Gemeinsam mit Niels Ruf macht er auch einen Podcast namens "Tischgespräche".
Herr Somuncu, über weite Teile dieses Jahres war Wahlkampf. Wie empfanden Sie den eigentlich?
Ich bin nicht eine der Stimmen, die sagt, dass der Wahlkampf langweilig war. Bei genauer Betrachtung war er das nämlich nicht. Ich frage mich, welche Art von Wahlkampf solche Stimmen spannend gefunden hätten? Einen wie von Trump, wo Beleidigungen und falsche Vorwürfe an der Tagesordnung waren? Das wäre für Deutschland keinesfalls der richtige Weg. Man kann dem Wahlkampf ankreiden, dass manche Inhalte nicht richtig gesetzt waren. Die SPD hat dafür auch einen Denkzettel bekommen. Maßgebliches Thema war ohne Frage die Zuwanderung und die Flüchtlingspolitik. Ich persönlich kann verstehen, wieso die SPD so stark über soziale Gerechtigkeit gesprochen hat, aber vielen Menschen ist das nicht zu vermitteln.

Was hat gefehlt?
Mir fehlt immer ein bisschen die eigene Reflexion. Die SPD war ja lange genug in der Regierung, da muss man auch mal über die eigene Arbeit nachdenken. Ansonsten ist natürlich die AfD als einzige Partei wirklich aus der Reihe gefallen. Entweder durch skandalöse Aussagen oder in ihrer Rolle als beleidigte Leberwurst.

Aus Unionsreihen kam Kritik am TV-Duell (Flüchtlinge hätten im Themenfeld einen übergroßen Platz eingenommen), allgemein hieß es sogar, ARD und ZDF hätten die AfD dadurch groß gemacht. Gehen Sie bei diesem Vorwurf mit?
Zum Teil ist er schon richtig. Letztlich aber haben sich die Parteien selbst von der AfD an der Nase herumführen lassen. Die AfD konnte dem Wahlkampf ihren eigenen Stempel aufdrücken – das muss man so sagen. Sehen Sie, 2015 gab es in unserem Land einen gewaltigen Einschnitt. Kanzlerin Merkel hat die Grenzen für offen erklärt, rund eine Million Menschen sind in unser Land gekommen. Es war doch klar, dass das organisiert werden muss und dass es da Konflikte gibt. Die Menschen kamen ja aus unterschiedlichen und anderen Kultur-Kreisen. Aber es ist auch richtig, dass die Zuwanderung nicht das einzige Thema ist, das uns bewegt. Soziale Gerechtigkeit ist wichtig, die Digitalisierung war eher ein FDP-Thema – ich finde auch, dass das Verkehrswesen und die Maut wichtige Debatten sind. Heißt: Eigentlich haben wir breit gefächerte Themen, die letztlich aber zu einseitig bearbeitet wurden.

Wie bezeichnen Sie sich eigentlich selbst? Satirischer Journalist?
Ach, das wechselt. Ich war ja eigentlich Schauspieler, wenn ich Bücher schreibe, dann nenne ich mich auch Autor. Grundsätzlich aber bin ich Künstler.

Und Sie waren in diesem Sommer auch Politiker – machten Wahlkampf für Die Partei.
Naja, das Engagement hat sich im Rahmen gehalten. Eigentlich war es Zufall, dass mich Martin Sonneborn gefragt hat, ob ich die Kampagne unterstützen könnte. Da es um einen begrenzten Zeitraum ging, war das auch machbar. Ich habe natürlich eine Nähe zu politischer Satire, auch zur Titanic. Und letztlich waren wir sehr erfolgreich. Im Wahlkreis im Berlin hatten wir 7,2 Prozent der Stimmen, übrigens deutlich mehr als die AfD. Die Grünen und die Linken sind dort via Direktmandat in den Bundestag eingezogen.

Wie viel Spaß aber verträgt Politik in Zeiten, in denen es um sehr ernste und zukunftsweise Themen geht? Was wichtig ist für Deutschland, haben wir ja oben schon angeführt.
Der Spaß ist hier ja Mittel zum Zweck. Wir legen damit letztlich eine andere Perspektive auf ernsthafte Themen. Martin Sonneborn hat etwa in einer Debatte im EU-Parlament schon lange bevor „Paradise Papers“ großes Thema wurden über die seltsamen Steuervergünstigungen von Apple in Irland gesprochen. Sonneborn war beim Thema Erdogan im EU-Parlament sogar wirklich visionär unterwegs. Da hat er also wirklich wichtige Arbeit geleistet. Abgesehen davon: Politik muss Spaß vertragen und übrigens im besten Fall auch Spaß machen.

Würden Sie Ihren Humor manchmal als ziemlich derb bezeichnen?
Wenn Sie das manchmal unterstreichen. Bei meinem Bühnenprogramm sicherlich ja. In meiner Radiosendung ganz sicher nicht. Im Fernsehen ist das unterschiedlich. Insgesamt bin ich da sehr wechselbar. Ich hatte schon immer den Grundsatz, dass jede Minderheit das Recht auf Diskriminierung hat. Wenn man diese Grundlage und Haltung hat, dann ist das okay. Es gibt ja heute auch junge Comedians, die einfach jeden beleidigen. Das ist nicht mein Stil. Ich möchte Toleranz predigen, in dem ich Intoleranz praktiziere. Wer mich kennt, weiß aber, dass mir nichts Ferner liegt, als einfach nur zu beleidigen.

Wer mich falsch versteht, bei dem ecke ich sicher an. Ich lege es nicht darauf an, dass ich anecke. Aber ich muss es einkalkulieren. Manchmal war ich schon irritiert, wer mich alles falsch verstanden hat
Serdar Somuncu
Aber Sie ecken damit immer wieder an. Was ja vielleicht auch gut und wichtig ist. Schlimmer wäre es ja, solche Spitzen würden einfach verpuffen?
Wer mich falsch versteht, bei dem ecke ich sicher an. Ich lege es nicht darauf an, dass ich anecke. Aber ich muss es einkalkulieren. Manchmal war ich schon irritiert, wer mich alles falsch verstanden hat. Letztlich aber sprechen wir ja hier hauptsächlich über mein damaliges Bühnenprogramm und damit über etwas, das längst abgeschlossen ist.

Wie bewerten Sie die laufenden Jamaika-Verhandlungen. Deutschland hat vor zwei Monaten gewählt und immer noch keine neue Regierung.
Ich glaube, dass Jamaika kommen wird. Aber es ist sehr kompliziert. Die Positionen liegen weit auseinander. Die CSU will eine Obergrenze, die Grünen das Gegenteil. Auch bei der Energiewende liegt man weit möglichst auseinander. Am wenigsten wird sich wohl die Kanzlerin bewegen müssen. Sie war ja bisher schon eine Meisterin des Konsenses. Entsprechend habe ich keine Zweifel, dass sie uns im Laufe des Dezembers eine neue Regierungsmannschaft unter ihrer Führung präsentieren wird.

Für Sie als Moderator einer Polit-Sendung, nämlich «So Muncu!» bei n-tv, dürfte das gut sein. Es gibt ja die Annahme, dass sich solche Formate in Zeiten von Großen Koalitionen schwerer tun.
Aber ich glaube nicht, dass das so stimmt. Themen entstehen durch die Gesellschaft der Zeit – wir müssen als Fernsehmacher dann darauf reagieren. Auch während der vergangenen GroKo gab es viele gute Themen. Ich glaube, dass auch die künftige Regierung wieder viele spannende Themen bearbeiten muss. Es ist aber eine andere Frage, ob die Debatte um die Themen eine Klügere werden wird. Ich glaube auch, dass man in Berlin Neuwahlen tunlichst verhindern will, weil man die berechtigte Befürchtung hat, dass die AfD dann noch stärker werden würde.

Denken Sie, dass man in fünf oder sieben Jahren über die AfD als kurzlebiges Phänomen sprechen wird? So wie die Piraten mal eine Zeit lang stärker waren und dann wieder zusammenfielen?
Anders als in meinem Bühnenprogramm, bin ich kein Prophet. Ich kann also nur mutmaßen und auch die Entwicklung in Europa in Betracht ziehen. Dort sind die rechten Kräfte zuletzt stärker geworden. Schauen wir doch nach Österreich, in die Schweiz, Dänemark oder auf die Brexit-Bewegung in England. National-Separatismus scheint also en Vogue zu sein. In den Niederlanden hingegen ist er gerade wieder auf dem Rückzug. Ich kenne aber den Umgang mit solchen Leuten, etwa aus der Türkei. Eine gewisse Gelassenheit im Umgang mit solchen Kräften ist unglaublich wichtig. Aber die Wähler sind ernstzunehmende Teile der Bevölkerung. Es ist eine Herausforderung, sich damit zu befassen, warum sie eine Partei gewählt haben, die nichts als leere Versprechungen formuliert. Nichts anderes ist die AfD, wenn man ihr Programm auf Umsetzbarkeit prüft. Das, was die AfD in Sachen Zuwanderung will, ist schlicht nicht umsetzbar. Da hat die Partei utopische Vorstellungen. Warum jemand – vielleicht auch nur auf Protest – so etwas wählt, das weiß ich nicht.

Danke für das Interview.
19.11.2017 10:01 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/97145