Oscar-Gewinnerin Kathryn Bigelow widmet sich in diesem fesselnden, nervenaufreibenden Film den Detroiter Unruhen des Jahres 1967.
Filmfacts: «Detroit»
- Regie: Kathryn Bigelow
- Produktion: Kathryn Bigelow, Mark Boal, Matthew Budman, Megan Ellison, Colin Wilson
- Drehbuch: Mark Boal
- Darsteller: John Boyega, Will Poulter, Algee Smith, Jason Mitchell, John Krasinski, Anthony Mackie
- Musik: James Newton Howard
- Kamera: Barry Ackroyd
- Schnitt: William Goldenberg
- Laufzeit: 144 Minuten
- FSK: ab 12 Minuten
Nach zwei politisch motivierten Thrillerdramen über das gegenwärtige Amerika widmet sich Regisseurin Kathryn Bigelow («Tödliches Kommando – The Hurt Locker», «Zero Dark Thirty») in ihrem jüngsten Film «Detroit» Ereignissen, die 50 Jahre zurückliegen – an Aktualität bedauerlicherweise allerdings kaum etwas eingebüßt haben. Sie und der vom Journalisten zum Filmautoren und Produzenten gewandelte Mark Boal widmen sich in ihrer dritten aufeinanderfolgenden Zusammenarbeit nämlich dem Rassismus der späten 60er-Jahre im Allgemeinen und der rassistisch motivierten Polizeigewalt im Speziellen – Probleme, die die Gesellschaft beschämenderweise noch immer nicht im Griff hat.
Es ist der schwüle Sommer 1967 in der Arbeiterstadt Detroit. Jahrzehnte der Ungleichheit zwischen der privilegierten weißen Bevölkerung und den systematisch unterdrückten schwarzen Einwohnern der USA kanalisieren sich in eine immer aggressivere Grundstimmung. Die Eskalation des Vietnamkriegs raubt den Menschen in den USA zusätzlich ihren Nerv. Und dann ist es eines Nachts so weit, als eine Polizeirazzia in einem unlizenzierten Detroiter Club eine Feier zu Ehren afroamerikanischer Kriegsheimkehrer platzen lässt: Die Nachbarschaft schafft ihrem Frust über den institutionalisierten Rassismus Platz und zettelt eine Unruhe an, die sich zu einer Rebellion hochschaukelt.
Zwei Tage später vernimmt die Polizei aus einem Motel Pistolenschüsse und rückt mit einem Großaufgebot an. Statt sachlich zu ermitteln und die Tatwaffe zu suchen, lassen sie ihre Vorurteile sprechen, bedrohen die Verdächtigen und lassen Gewalt sprechen – bis das Machtspiel der Polizei vollkommen außer Kontrolle gerät und nachhaltige Konsequenzen mit sich bringt …
Den Einstieg in das erschütternde Thrillerdrama mit Überläge ist Bigelow etwas holprig geraten: Gemälde aus der "Migration Series" des schwarzen Künstlers Jacob Lawrence sollen die Wurzeln der Rassenunruhen anreißen, doch die enorme Verkürzung dieser Geschichtslektion und die behelfsmäßigen Animationen, die Übergänge zwischen den Filmen schaffen, geben dem Prolog einen befremdlichen, ja, sogar fehlplatzierten Märchencharakter. Daraufhin zeigen Bigelow und ihr Kameramann Barry Ackroyd («The Big Short») in einer Verschränkung aus Archivmaterial und szenischen Eindrücken den Beginn der Detroiter Unruhen, ehe mit dem Frontsänger der R&B-Truppe "The Dramatics" die erste der Hauptfiguren des Films eingeführt wird.
Die Fokusverschiebung ist etwas ungelenk und die Szenen, die sich den Showbiz-Träumen der Band widmen, erinnern aufgrund dick aufgetragener Dialoge und Bigelows übertrieben symbolisch aufgeladener Bildsprache an Eastwoods gescheitertes Filmmusical «The Jersey Boys». Doch sobald Bigelow und Boal die schicksalhafte Nacht in den Fokus nehmen, in der es in einem Detroiter Motel zu einer erschütternden Polizeiermittlung kam, fasst ihre Erzählung dramaturgisch Fuß.
Im unmittelbaren Cinéma-vérité-Stil (quasi einem ruhigeren Vorläufer der Paul-Greengrass-Wackelkameraschule) verfolgen sie das Geschehen, versetzen ihr Publikum in eine hilflose, passive Beobachterrolle. Die Kamera bewegt sich mit dem eskalierenden Geschehen im Motel mit, zügige, nicht aber hektische Schnitte (Cutter: William Goldenberg, Harry Yoon) gestatten es, Aktionen und Reaktionen der Opfer und Täter in dichter Abfolge zu registrieren. Dadurch, dass das Geschehen zudem nahezu in Echtzeit erzählt wird, entsteht eine immens dichte, nervenaufreibende Atmosphäre – und dass das Material auch am Set den Darstellern naheging (einmal soll Will Poulter weinend zusammengefallen sein, weil er seine Rolle des aggressiven Cops so sehr hasste), ist den Performances anzumerken.
Poulter ist in diesem Film fast schon die Verkörperung der rassitischen Idiotie, ohne dabei aber zur Karikatur zu verkommen. Anthony Mackie als von den Cops herumgescheuchter Veteran überzeugt, ebenso wie Nathan Davis Jr., Jason Mitchell und Aigee Smith als weitere Opfer der vollkommen haarsträubenden Polizeigewalt. Besondere Herausstellung verdient John Boyega, der einen Mitarbeiter einer Securityfirma spielt und der die komplexeste Rolle im Film erhält: Als stets an Beschwichtigung interessierter, ruhiger Typ bewegt er sich stets in einem facettenreichen Dickicht aus Duckmäusertum, vorsichtigem Handeln, reinem Überlebenswillen und sprachlosem Schockiertsein.
So tragisch und hochspannend die fast dokumentarischen, kammerspielartigen Motel-Sequenzen sind, so wichtig ist der ausführliche Nachklapp, den Bigelow und Boal zwar nicht mit derselben Prägnanz über die Bühne bringen, der aber eindringliche Eindrücke vom Danach vermittelt. Hier versucht das Duo zudem wieder, die Schuldzuweisungen an den Missständen auszudifferenzieren und das gesamte System anzuklagen, während in der aufreibenden Mitte Poulters (fiktive, da aus mehreren realen Vorbildern zusammengesetzte) Rolle als wandelndes Unheil die Wut der Filmemacher und des Publikums auf sich vereint.
«Detroit» ist ab dem 23. November in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.