Ein selbstfahrendes Auto produziert einen Toten, die Datensammelwut kennt auch im Saarland keine Grenzen. Das «Tatort»-Jahr beginnt naiv und technikfeindlich.
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Devid Striesow als Jens Stellbrink
Julia Koschitz als Natascha
Steve Windolf als Victor Rousseau
Nikolai Kinski als Sebastian Feuerbach
Anton Spieker als Marco Fichter
Judith Sehrbrock als Susa Feuerbach
Elisabeth Brück als Lisa Marx
Hinter der Kamera:
Produktion: ProSaar Medienproduktion GmbH
Drehbuch: Hendrik Hölzemann und David Ungureit
Regie: Christian Theede
Kamera: Simon Schmejkal
Produzent: Martin HofmannFrüh am Morgen wird der Justiziar Sebastian Feuerbach (Nikolai Kinski) tot in seinem innovativen, vollautomatisierten Auto gefunden, das auf dem freien Markt noch gar nicht erhältlich ist. Feuerbach war bei einem disruptiven Unternehmen beschäftigt, das Böses im Schilde zu führen scheint: „Die handeln mit Daten. Strukturwandel. Technologiestandort Saarland“, wirft Lisa Marx (Elisabeth Brück) in aufgesagten Dialogpassage Kommissar Stellbrink (Devid Striesow) zu.
Also auf zur Datenkrake, wo Stellbrink vom herablassend-yuppiehaften Chef Victor Rousseau (Steve Windolf) direkt mit einem schmissigen „Tee, Kaffee, Smoothie?“ begrüßt wird, ehe er den Angestellten noch letzte Anweisungen gibt: „Und ihr: Geht nochmal an die Algorithmen!“
Wenn man sich die Welt der Automatisierung und Digitalisierung so vorstellt wie die Autoren dieses Drehbuchs, könnte man ihnen in ihren albernen, uninformierten Vorstellungen fast folgen. Rousseaus Geschäftsmodell ist alles, was für die von Eurotechnopanik geprägten Befindlichkeiten öffentlich-rechtlicher Fernsehfilme das Ende jedweder funktionierenden Weltordnung ausmacht: Er will von den (fast) selbstfahrenden Autos alles an Nutzerdaten sammeln, was er kriegen kann, um sie dann an die zahlreichen Käufer zu verticken, die ihm für jeden Datensatz Unmengen Zaster überweisen werden.
Was mit den Daten dann passiert? Das tanzt dem in Technikfragen selbstredend durch und durch inkompetenten Stellbrink an anderer Stelle eine junge Kollegin vor: Es geht nicht um Erpressung oder Werbung, sondern um eine so vollständige und perfekte Manipulation, dass der Manipulierte glauben soll, er handle aus freiem Willen. Mit nur ein paar Facebook-Likes ließen sich ja schon heute von Algorithmen die detailliertesten Persönlichkeitsprofile erstellen, und – Brexit und Trump haben es vorgemacht – systematisch und frevelhaft Wahlergebnisse beeinflussen.
Fehlen nur noch die Fallstricke der digitalen Ermittlungsarbeit, die Stellbrink endgültig zur Weißglut bringen: In der Nacht, in der Feuerbach zu Tode gekommen ist, wurde Rousseaus Unternehmen gehackt. Ob sich der Hacker auch Zugriff auf Feuerbachs allesvernetzten Wagen verschafft hat und ihn damit umbrachte, wollen die Ermittler nun klären. Ebenso, woher das umfangreiche Kinderporno-Archiv stammt, das sich auf Feuerbachs Rechner fand. Die Spur führt aber von Proxy-Server zu Proxy-Server; der erste identifizierte steht irgendwo in China. In seiner bodenlosen Naivität will Stellbrink ein Amtshilfeverfahren lostreten, ehe er von einem Kollegen ausgebremst wird, der ihm schonend beibringt, dass das alles nicht so einfach geht.
„Diese Scheißcomputer“, raunt Stellbrink dann, und das, was er in seinen Tiraden von der (scheinbaren) Machtlosigkeit des Rechtsstaats in Sachen Cyberkriminalität und hinsichtlich der von diesem Film fürchterlich düster gezeichneten Zukunft der ganzen Welt vor sich hin schwafelt, kann nur eines zur Folge haben: das Internet zumachen, Computer am besten verbieten und den technischen Fortschritt irgendwo anno 1974 auf ewig für beendet erklären. Das Erschreckende ist, dass das Drehbuch von Hendrik Hölzemann und David Ungureit diese sonderbaren Hypothesen für valide und zumindest verständlich hält. Die Naivität dieser Narrative kennt keine Grenzen – und zumindest in dieser Radikalität, neben der selbst Amish-Gemeinschaften wie progressive Gruppierungen wirken, sieht man das auch in den generell gerne fortschrittsfeindlichen und technophoben öffentlich-rechtlichen Fernsehfilmen selten.
Diese unangenehme Simplizität findet nicht nur im Thema dieses Films statt, sondern auch in seinem Figurenpersonal: Die Femme Fatale und Hackerin Natascha, von Julia Koschitz bemüht ambivalent gespielt, in ihrem psychologischen Gehalt aber doch sehr oberflächlich, wird zuerst idealistisch-zwielichtig geführt, bis sich ihre Motive doch als persönliche entpuppen, die ihre Wurzeln in einer alten Ménage à trois haben. Auch hier geht „Mord ex Machina“ den einfachen Weg, und bestätigt Vorurteile und Befindlichkeiten anstatt sie herauszufordern. Natascha hätte als Charakter die Chance geboten, eine Frauenfigur auf dem Grat zwischen Gut und Böse einmal nicht als von Liebeleien, sondern von konkreten intellektuellen Überzeugungen motiviert zu zeigen. Und ebenso sauer stößt auf, dass dieser «Tatort» als Film über herausragend intelligente, mit Computern hantierende Menschen nicht ohne den standardmäßig obligaten Psychopathen auskommt, was in dieser auffallenden Aufsummierung, in der eine solche Figur in solchen Stoffen im deutschen Fernsehen mittlerweile vorkommt, suggeriert, dass ein besonderer Intellekt nicht ohne eine gefährliche psychische Krankheit existieren könne.
Vielleicht tue ich den Machern, insbesondere den Autoren hier etwas Unrecht. Denn von einem bin ich überzeugt: Sie meinen es gut mit uns, sie wollen uns warnen, mit den lautesten Sirenen, die sie sich ausdenken konnten, vor einer durchgeplanten Zukunft, in der wir alle manipuliert werden, ohne es zu wissen, von ominösen Datenkraken, die im Geheimen und Diffusen unser Leben bestimmen, einschließlich der existentiellen Frage, wer überhaupt leben darf.
Oh, brave new world, that has such people in it, entfährt es einem. Doch das Gegenmodell, das sie dabei entwerfen, ist nicht nur strukturell unmöglich, sondern noch weniger erstrebenswert als die schlimmste Dystopie, die man sich ausdenken kann: Der Rückschritt in die Steinzeit; das Internet zu, die Automatisierung tot, der ewige Stillstand, der Sieg der Bedenkenträger über die Visionäre. Mal blättern im Huxley, was eigentlich aus John, the Savage geworden ist – und was Prospero damals auf Miranda entgegnet hat.
Das Erste zeigt «Tatort – Mord ex Machina» am Montag, den 1. Januar 2018 um 20.15 Uhr.