Fans freuten sich auf ein Trash-Event der Extraklasse, doch so recht entsprach ProSieben dieser Erwartung nicht. Der Reality-Neustart punktete mit erfreulich normalen Kandidaten und Authentizität, blieb aber zugleich ein wenig blass. Und das kann bei gleich 100 überwiegend unauffälligen Kandidaten dem Projekt das Genick brechen.
Daten und Fakten zur Show
- Standort des Hauses: Satzvey in der Eifel (NRW, gut 1.000 Einwohner)
- Jüngster Kandidat: 19 Jahre (geboren am 11. April 1998)
- Ältester Kandidat: 82 Jahre (geboren am 13. Mai 1935)
- 55 Männer & 45 Frauen aus Deutschland (93), Österreich (3) und der Schweiz (2)
- Top-Bundesland: 38 Kandidaten aus NRW
Das neue Jahr ist noch jung, aber ProSieben hat schon eines seiner heißesten Eisen aus dem Köcher geholt:
«Get the F*ck out of My House» machte schon vor gut einem Jahr auf Fernsehmessen von sich reden und war im Oktober 2016 ein großer Erfolg in den Niederlanden. Das kommt nicht von ungefähr, liest sich das Konzept doch nach einer Art «Big Brother» für wirklich Hartgesottene: 100 Kandidaten ziehen für einen Monat in ein Einfamilienhaus und kämpfen um maximal 100.000 Euro. Was sie dafür tun müssen: Die permanenten Mangelerscheinungen in Sachen Platz, Nahrung und Privatsphäre länger aushalten als die Konkurrenz und ausreichende soziale Kompetenzen mitbringen, um von der Allgemeinheit in erster und vom großen Hausboss in zweiter Linie auf die Abschussliste gesetzt zu werden.
Eine spannende Konstellation also, die nicht nur Stoff für ein trashiges Reality-Format bietet, sondern potenziell auch als hochinteressantes soziales Experiment wissenschaftlichen Zwecken dienen kann. Und genau hier liegt der spannende Knackpunkt der gut 135 Minuten langen Auftaktfolge: So ganz konnte oder wollte sie sich noch nicht entscheiden, ob sie voll auf oberflächlichen Trash für das kurze Voyeuristen-Vergnügen setzt oder den mutigeren, da riskanteren Schritt geht, den Terminus "Reality" einmal ernstzunehmen. Gefakt wirkt bei der Sendung angenehmerweise nichts, die Kandidaten wirken wie ein (im Durchschnitt wohl etwas zu juveniler) Querschnitt durch die Gesellschaft und die üblichen dickbusigen wie schmalhirnigen Intellekt- und Schamverweigerer stellen eher eine Minorität im Kandidatenfeld dar. Die schwierige Fragen, die sich nach Sichtung der Auftaktfolge stellen: Erträgt der Zuschauer so viel Normalität? Und gelingt es den Machern von UFA Show & Factual, dennoch eine begeisternde Dramaturgie zu kreieren, die das Ertragen erleichtert?
Viele Menschen, wenig Charaktere
Zu Beginn lässt man sich sehr viel Zeit dabei, das Haus und den Kandidateneinzug in Selbiges zu zeigen, was nicht per se zu bemängeln ist. Bei 100 Menschen, zu denen man ja auch eine gewisse Sym- oder Antipathie entwickeln möchte, bedarf es dieses Epilogs wahrscheinlich sogar - und das viel zu eng und klein geratene Haus ist, ähnlich wie bei «Big Brother», der heimliche Star hinter den vielen Gesichtern und möchte beäugt werden. Hierbei entsteht die eine oder andere recht amüsante Szene wie etwa der Schlangenbildung vor der einzigen kollektiv nutzbaren Toilette, aber leider auch ein wenig Leerlauf und Chaos. Ob es in Anbetracht dessen allzu zweckdienlich ist, senderseitig nach nicht einmal einer Dreiviertelstunde schon zwei längere Werbepausen in dieses Gewusel zu integrieren, darf man dann schon einmal hinterfragen.
Recht gut gelingt das Einfangen der permanenten klaustrophobischen Atmosphäre, sodass man sich auch nur bedingt wundert, wenn nach 90 Minuten bereits die erste Kandidatin die Flucht ergreift - ihr werden einige weitere Frauen und Männer sehr rasch folgen, insgesamt ist nach dem Ende der ersten von fünf Folgen das Teilnehmerfeld um etwa ein Viertel reduziert. Weniger gut gelingt hingegen die Charakterzeichnung, denn auch nach gut einer Stunde Sendezeit gibt es unterm Strich genau eine Person, die aus der Masse wirklich heraussticht: Der erste Hausboss Norbert, der über weite Strecken wie die gute Seele, die Vaterfigur und ein Stück weit auch wie der Kindergärtner der Menge wirkt, es sich hintenraus dann aber doch bei einigen Bewohnern verscherzt und den einen oder anderen Liebling des Kollektivs aus dem Haus... outf*ckt.
Viele, viele andere Bewohner hängen dagegen vollständig in der Luft und kommen eher wie schmückendes Beiwerk daher, die man bestenfalls mal im Hintergrund durchs Bild wuseln sieht oder irgendeinen egalen Satz in die Kamera sprechen hört. Diese Problematik dürfte sich in den kommenden Wochen ein Stück weit reduzieren, aber wohl eben nur ein Stück weit - selbst beim Dschungelcamp oder bei «Promi BB» gehen schließlich gerne mal ein paar Insassen unter. In einer gerade einmal rund zehn bis zwölf Personen umfassenden Gruppe.
Taktik kommt etwas kurz, das Bild etwas zu verschwommen
Wie bei Reality-Shows gewohnt verlassen sich die Verantwortlichen aber natürlich nicht nur auf die Gruppendynamiken, sondern versuchen mit der einen oder anderen Aktion Stimmung in die Bude zu bringen. Die einleitende Bosswahl verläuft fast ein wenig zu harmonisch - wohl auch, weil sich hier noch kaum jemand kennt und eine solche Wahl zu diesem Zeitpunkt nicht viel mehr als ein Stochern im Nebel darstellt, die Einteilung der Kandidaten in "grün" (beliebt, oft gewählt) und "rot" (weniger beliebt, kaum gewählt) leidet unter derselben Problematik, löst aber insbesondere bei einigen "Roten" aber überraschende Reflexionsprozesse aus. Gut gelungen ist die Idee der Challenge, in der sich 20 Kandidaten dahingehend um das Gemeinwohl verdient machen können, als dass sie durch einen Erfolg im Spiel das Budget der Gruppe erhöhen können - und damit natürlich auch die eigene Popularität steigern.
Das psychologisch spannende Ringen um positive und gegen negative Aufmerksamkeit der Kandidaten hätte ProSieben gerade in diesen Momenten etwas stärker herausarbeiten können, ist dies doch insbesondere für die erste Woche mit dem besonders großen Teilnehmerkreis beinahe schon die Quintessenz des Show-Überlebens: Sollte ich mich jetzt für ein Spiel melden und über Freund und Leid der Gruppe mitbestimmen? Sollte ich Aufgaben im Haus übernehmen? Sollte ich das Wort in Konfliktsituationen ergreifen? Oder ist es vielleicht cleverer, das semi-existente Mauerblümchen zu sein, an das sich kaum wer erinnert - an dem sich dann aber auch kaum einer reibt? Diese Taktierereien kommen ein wenig zu kurz in Anbetracht des Umstands, dass sich kaum jemand zum Vollhorst macht, niemand blank zieht und kaum jemand Brüllaffentum und Marktschreierei als seine gottgegebene Begabung entdeckt. Gut, eine Kandidatin entdeckt den Obama in sich und ein Informatiker erkennt im Bierdeckel-Werfen einen taktisch im höchsten Maße fordernden Extremsport, den es ausführlichst zu analysieren gilt, aber viel mehr Bullshit wird dann auch kaum gesabbelt.
Nunja, außer vielleicht von Thore Schölermann und dessen Freundin Jana Julie Kilka, die den Spaß moderieren und dabei die eine oder andere ganz gute Medienreferenz einbauen, es mitunter mit der Selbstironie aber auch ein wenig übertreiben. Kann schnell bemüht wirken, hält sich in Folge eins aber noch in einem tolerablen Rahmen. Erstaunlich schlecht ist dagegen an mancher Stelle das Bild geraten, das mehrfach Kandidaten und Umgebung nur verschwommen zeigte und damit wohl für visuell anspruchsvolle Menschen ein echtes Ärgernis darstellt - für die breite Masse hingegen dürfte es nicht mehr als eine Randnotiz sein.
Wie hat euch der Auftakt von «Get the F*ck out of My House» gefallen?
Fazit: Da muss noch mehr kommen!
Und was bleibt gegen 22:35 Uhr hängen? Vielleicht in erster Linie der Eindruck, dass diese so heiß erwartete Show erstaunlich wenige Skandale zu bieten hat und zu wenige Kandidaten, denen man den Sieg schon wirklich gönnen oder missgönnen würde. Vielleicht aber auch der Eindruck, dass einem das Hirn nach Sichtung des Formats weitaus weniger schmerzt, als man erwartet hätte und es angenehm ist, mal wieder eine Reality zu sehen, an der weder ausrangierte Halbprominente und andere televisionäre ADHS-Patienten teilnehmen noch irgendjemand blankziehen muss. Oder vielleicht auch der Eindruck, dass man hier schon nochmal zuschauen mag - wenn denn grad sonst nichts läuft.
Den ganz großen Reiz und die Chancen dieses Konzepts herauszuarbeiten, gelingt «Get the F*ck out of My House» jedenfalls zu Beginn noch nicht. Die Teilnehmer sind zu normal und langweilig, als dass man für sie einschaltet, die taktischen Manöver mit dem egozentrischen Blick auf den Sieg und dem damit verbundenen Geldgewinn werden nur angetastet, entfalten jedoch noch nicht die ganz große Eigendynamik und in den kommenden Wochen werden die Produzenten ordentlich an neuen Gemeinheiten arbeiten müssen - schließlich geht mit jedem freiwilligen wie unfreiwilligen Auszug eine Entlastung der Lebensbedingungen für die verbleibenden Bewohner einher. Kurz gesagt: Man wird wohl etwas gemeiner und lauter denken müssen, wenn man das hohe Grundinteresse an diesem Projekt aufrecht erhalten möchte.
ProSieben zeigt noch vier weitere Folgen von «Get the F*ck out of My House» am Donnerstag um 20:15 Uhr.