Eine Kolumne, so fiebrig wie der leider noch immer nur ein Geheimtipp darstellende Satirefilm «Heil» und so sehr in Debatten verstrickt wie «The Party». Und wahrscheinlich nicht einmal halb so pointiert. Sei's drum! Kissenschlacht!
Dietrich Brüggemanns fiebrig-wahnhafte, und doch so, so, so verflixt zutreffende Satire «Heil» ist
einer der besten und wichtigsten deutschen Filme der vergangenen Jahre. Und kaum eine Seele hat das bei Kinostart im Jahr 2015 bemerkt. Oder in den Jahren seither. Damit bleiben uns eigentlich nur folgende Möglichkeiten: Ich befinde mich mit meiner Position zu diesem Film auf einer unfassbar einsamen Insel. Oder all jene, die «Heil» doof fanden, liegen brutal daneben und werden noch von der Filmhistorie über ihren Irrtum belehrt, woraufhin ich mir auf meinem hohen Ross ins Fäustchen lache. Oder aber es ist eh alles ebenso subjektiv wie relativ, und ich sehe halt Dinge in der irren, gesellschaftskritischen Komödie, die sonst kaum wer in sie hineininterpretiert – oder sie zumindest nicht so sehr in den Fokus rückt wie ich.
Zu meinem Glück, und womöglich zum Leidwesen aller Anderen, habe ich aber eine Filmkolumne und kann in diesem Rahmen alles ins Rampenlicht drängen, was ich ins Rampenlicht drängen will. Wie etwa die erschreckende, aber brennende Erkenntnis, dass "wir" viel zu viel Zeit damit verbringen, uns selbst zu zerfleischen, statt den rassistischen Neonazielefanten im Raum zu erlegen. Und … schon habe ich ein Problem. Denn Elefanten sind ja eine seltene Art, also sollte man sie selbst in einer krumm umformulierten Redewendung nicht töten. Und Gewalt ist selbst im Umgang mit Neonazis auch keine Lösung, das wiegelt sie nur noch viel mehr auf. Zudem ist Rassismus im Tierreich quasi nonexistent, was soll also dieses idiotische Bildnis? Von der überflüssigen Tautologie wollen wir gar nicht erst anfangen, denn jeder Neonazielefant ist per Definition auch rassistisch, was soll diese Verschwendung wertvoller Buchstaben, um den Neonazielefanten trotzdem zusätzlich als rassistisch zu bezeichnen?
Ich schweife ab. Aber das hat Methode. Ein bisschen Geduld bitte noch. Denn Brüggemanns «Heil» macht vor, was ich mit dieser Kolumne hilflos zu imitieren versuche: «Heil» hat ein klares Ziel, das der Film mit großer Vehemenz verfolgt – aber auch, indem er vom erzählerischen roten Faden immer wieder Mal abweicht und ulkige Schlenker unternimmt, bevor sie wieder als zielstrebige Randargumente in das Endziel dieser Satire einfließen. Äh. Endziel ist Nazisprache, das sollte ich hier nun wirklich nicht schreiben. Mist, mir fällt keine andere Formulierung ein. Hilfe, ich wurde dialektisch von den Falschen indoktriniert, schnell weiter im Text, vielleicht verläuft sich das wieder …
Diese Mischung aus "den gesamten Film einende, sich komplett durchziehende Kernthematik" und "hibbelige, immer wieder abschweifende Erzählweise", die sich Autor und Regisseur Brüggemann bei «Heil» gestattet, erlaubt es ihm, den 104-minütigen Film mit genialen, hoch komödiantischen, mal subtil bissigen, mal wonnig-holzhammerartig karikierenden Szenen vollzustopfen. Von himmelschreienden Missständen in unserer Gesellschaft bis hin zu im Einzelfall eigentlich verzeihbaren, in ihrer Summe jedoch erdrückenden kulturellen Patzern ist alles dabei.
Ganz nebenher zeigt Brüggemann Neonazis als Securitypersonal seriöser Veranstaltungen. In der Welt von «Heil» verweigert ein öffentlich-rechtlicher Sender einem engagierten Journalisten die Festanstellung, weil er nur kleine Berichte über rechte Gewalt parat hält, statt sensationelle Bilder über "die Menschen", die sich hinter der Nazifassade befinden. Da kündigt eine Talkshowmoderatorin einen ihrer Gäste als jemanden mit "afghanischen Wurzeln" an, während der andere Gast einfach "schwarz" ist – nationale Differenzierung gegen reine Äußerlichkeit. Besagter Schwarzer zieht später ultrarechte Parolen plappernd durchs Land und stößt eine neue Diskussion darüber an, ob Deutschland endlich bereit sei, sein Selbstbild von der Scham vor der Vergangenheit zu lösen.
Und in einer anderen Talkshow will der Moderator über den Rechtsruck des Schriftstellers diskutieren, kommt aber nicht dazu – weil sich zwei weibliche Gäste darüber streiten, ob der thematisierte Autor nun "schwarz" ist, "Person of Color", "ghanaisch" oder ob er aufgrund dessen, dass seine alleinerziehende weiße Mutter ihn in unserem Kulturgefüge groß gezogen hat, als wer aus einem "weißen Kontext" zu betrachten ist. So relevant und unterschätzt der Wortwahldiskurs allgemein sein mag: Den argumentativen Amoklauf des rechtsgewaschenen Autoren hält er in diesem Kontext nicht auf. Und weiter geht er, der wilde Lauf, weg vom eigentlichen Thema: Als sich ein männlicher Talkgast einschaltet, entgleist die Debatte völlig, dreht sich über weiße Heteronormativität und Diktate der Meinungsmafia, ehe sich der von den beiden Frauen hinterfragte Talkgast mit der ultimativen Trumpfkarte aus allem herausredet: Mit seinem klischeehaften Hochzeitsfoto, auf dem er und sein Lebenspartner im Urlaub zwischen zwei schwarzen Persons of Color männlichen Geschlechts zu sehen sind, von denen eine einen Palmenwedel in der Hand hält.
Diese Szene, und weitere Augenblicke wie etwa noch eine entgleisende Fernsehdiskussion (Brüggemann parodiert diese in «Heil» echt gerne), streuen Salz in eine Wunde: Menschen mit ähnlicher, gut meinender Haltung keifen sich an und beschäftigen sich intensiv mit der gegenseitigen Demontage, während das brennende Problem weiter ausufern kann. Kümmert sich ja keiner mehr drum. Diese Brügemann-Talkshowgäste, das sind wir. Und mit "wir" sind nicht nur alle gemeint, die gegen Neonazis und deren Ideologie vorgehen. "Wir", das sind alle irgendwo auf dem progressiven Spektrum zu verordnenden Personen. Wir, die dafür sind, dass niemand aufgrund seines Geschlechts, seiner Herkunft oder seiner Religion benachteiligt, ausgebeutet, erniedrigt und angegriffen wird. Wir, die Opposition zu den Weinsteins, Trumps, Seehofern und Gaulands dieser Welt.
Eigentlich könnte man noch Sally Potters «The Party» als einen weiteren Quasi-Sketch in «Heil» hineinschneiden. In diesem in feinstem Schwarz-Weiß fotografierten Streitkomödienkammerspiel reduziert Potter die Selbstzerfleischung der Linken, Progressiven, Liberalen, Aufgeschlossenen und Anti-Konservativen dieser Welt auf einen Dinnerabend eines erweiterten, politisch engagierten Freundeskreises. Sie alle haben gemeinsame ideologische Feindbilder – boshaft-erzkonservative, dauerignorante, regressive und hasserfüllte Ewiggestrige. Und dennoch gehen sie sich einander an die Gurgel, weil Person A die feministische Gleichstellungsmission als oberste Priorität sieht, Person B den Umweltschutz, Person C die sexuelle Freiheit, Person D ist für das Aufheben aller sprachlicher Einschränkungen, Person E empfindet dies allerdings als unsensibel und daher boshaft … Und so weiter, und so weiter …
Überspitzt ist an «The Party» oder all diesen herrlich-süffisanten «Heil»-Schnörkeln nichts. Selbst wenn wir uns das Gegenteil einreden wollen. Man schaue doch in eine Talkshow zum Thema AfD. Man denke doch nur an die immer wieder brutal ergebnislosen Diskussionen zum Gender-Pay-Gap, bei denen man eigentlich hoffen sollte, dass alle Vernünftigen geschlossen auf einer Seite stehen und sagen: Weg mit dem Schwachsinn. Liegen sich doch Befürwortende der #MeToo/#TimesUp-Bewegung in den Haaren, weil F an der Bewegung kritisiert, dass sie sich zu sehr an Hollywood aufhält und sie mal langsam auch andere Branchen erreichen müsste, wenn sie was erreichen will. Weshalb G nun bezweifelt, ob F überhaupt hinter der Sache steht oder nur seine Lieblingsstars decken will.
Derweil attackiert G gerade H. Weil H findet, dass wir unsere Energie darauf aufwenden sollten, alle bislang hinter dem Schutzschild des Ruhms versteckten, sexuellen Aggressoren mittels gut recherchierter Enthüllungen dingfest zu machen, statt "Einfach nur egozentrisch, aber kein Sexist"-Fälle ebenfalls öffentlich zu debattieren. Und dann kommt K und findet, dass alle Egoisten automatisch Sexisten sind. Und für alle in diesem Meinungsgeflecht gilt: "Bist du nicht in diesem Punkt mit mir, bist du generell gegen unsere Sache."
Denn für G geht es um die gesamte kulturelle Stimmung. Gerade dieses Ziel macht es für I aber wichtig, einen ganzheitlichen Diskurs zu führen und Lösungsansätze zu finden, wohingegen J befindet, das verwässere den Weckruf. Alle bestehen darauf, den alleinigen Durchblick zu haben und wenden einander frustriert ab, denkt der Mitstreitende das Falsche über Dustin Hoffman. Und in Washington D.C. üben sich die Demokraten noch immer in Schuldzuweisungen am Trump-Sieg, während die debile Fast-Food-Fressmaschine mit zahllosen schwerwiegenden Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs auf dem Kerbholz munter US-Steuergelder vergolft und alle beleidigt, die nicht so wie er sind. In Deutschland lachen wir verächtlich über das kaputte Amerika, wohl hoffend, so zu vergessen, dass eine faschismusfreundliche Partei mit über zwölf Prozent im Bundestag hockt. Und wenn deren Existenz sehr wohl wieder in Erinnerung gerät, beschäftigen wir uns alsbald viel weniger mit ihrer argumentativen Entschärfung als mit der Frage, ob wir die Rechtspopulisten mit Satiredauerfeuer loswerden, oder ob Satire wegen ihrer harschen Sprache ein giftiges Stilmittel ist. Moment, worum ging es jetzt eigentlich?
Leute. Wir müssen uns zusammenreißen. Denn je mehr wir wegen unterschiedlicher Detailpositionen fragmentieren, desto schwerer wird es, gegen die zu überkommenden Übel in der Welt vorzugehen. Und ja: Ich bin mir der Ironie dieser Situation hier bewusst. Ich meckere hier, dass wir uns gegenseitig zu intensiv und viel zu häufig anmeckern. Allerdings geht es mir ja nicht darum, den internen Diskurs abzuschaffen. Der Krieg gegen Rassismus, Frauenfeindlichkeit und jede weitere Form aggressiver, die Welt verpestender Dummheit gelingt nicht, wird er ohne Strategie geführt. Und strategische Überlegungen dürfen, ja, müssen sein! Das Problem ist, dass wir nicht einmal untereinander ein argumentatives Miteinander suchen, sondern selbst im eigenen Spektrum jede abweichende Meinung zum Feindbild hochstilisieren.
War es gut, dass Natalie Portman bei den Golden Globes boshaft über den Mangel an Anerkennung für Regisseurinnen ulkte? Ich finde: Ja, auf jeden Fall! Es traf einen offenliegenden Nerv. Sie hat es mit Verve gesagt. Und fieser, aber wahrer Humor ist seit jeher typisch für die Globes. Nichts war an ihrem Kommentar deplatziert. Aber nicht alle, die mir da widersprechen und laut darüber nachdenken, ob Portmans Kommentar unserem Sinne dienlich war, sind Doppelagenten der Gegenseite und wollen Hollywoods Patriarchat aufrecht erhalten. Manche sorgen sich wirklich über ein (noch?) besseres Umsetzen von Portmans Ziel. Die Diskussion könnte man mit mehr Ruhe führen als die Diskussion mit denen, die Portmans Position generell verachten – sollte man meinen. Stattdessen gleichen Diskussionsfäden über diesen kurzen Golden-Globe-Spruch einem Schlachtfeld, weil "wir" uns anfeinden, während sich die "Jo, ist doch geil, wenn nur Männer anerkannt werden"-Fatzkes grinsend zurücklehnen.
Und das ist nur die Spitze des innerlich zerrissenen Eisberges namens gesellschaftlichem Fortschrittsstreben. Wenn wir solche kleinen Meinungsverschiedenheiten auf unserer Seite immer mit einem "DU BIST ALSO FÜR DIE ANDEREN!“ niederbrüllen, haben wir nichts mehr, was wir "unsere" Seite nennen können. Sondern nur Millionen kleiner aufgeschlossener Eisschollen, die mit den anderen Eisschollen im Clinch liegen. Moment: Können Eisberge überhaupt innerlich zerreißen? Welchen Sinn ergibt es, unser Ziel der Empathie und somit Gefühlswärme mit gefrorenem Wasser zu vergleichen? Weswegen habe ich ausgerechnet den Portman-Kommentar als Exempel rausgesucht?! Schade ich uns so? Und was soll dieses dauernde, suggestive Aufbauen eines gemeinsamen Kollektivs? Ist das nicht auch eine Form populistischer Dialektik? Warum mach ich das? Tick' ich überhaupt noch sauber!? Das mit der Einheitsfront gegen die Gegner der Progression kommt mir sowieso irgendwie spanisch vor …
In «The Party» brauchen wir gar keine Gegner, um uns zu zerstören. Verbündete reichen dafür völlig aus. Und Brüggemann zeigt in «Heil» zwar, dass "die da" ebenfalls aus vielen kleinen Gruppen bestehen, aber die bekämpfen sich "nur" in Machtfragen. Typisch für sie. Trotzdem haben sie alle ein gemeinsames Ziel: Reinen, ichbezogenen Hass. Und dieses Ziel verfolgen sie recht zielstrebig. (See what I did there?)
So lange wir uns untereinander anfeinden, wie wir unser Ziel benennen sollen, welche linguistische Kleiderordnung dabei angebracht ist, und ob eine abweichende argumentative Schrittfolge unseres Gegenübers dieses gerade als Verräter enttarnt … So lange werden wir wohl weiter mit uns wohlwollend durch den Kakao ziehenden Filmen wie «The Party» und «Heil» beschenkt. Naja, wenigstens sind die sehenswert. Und der Kakao ist vielleicht sogar laktosefrei. Ich kann gern nachgucken, denn für unser aller Ziel der Gleichberechtigung sowie des Empathiewachstums gebe ich stets mindestens 100 Prozent. Aber was weiß ich schon. Ich schmeiß hier so viel so überdreht in einen Topf, wie soll sich euch da auch nur ein einziges gescheites Argument präsentieren? Da muss man dringend was tun – zumindest irgendwann.