«Altered Carbon» bei Netflix: Wiedergeboren, um zu sterben

In einer düsteren Zukunft wird auch der Tod abgeschafft. Doch ob ein Ex-Verbrecher wirklich ewig leben sollte? Die Antwort von Netflix fällt eindeutig aus – und blutig.

Cast & Crew «Altered Carbon»

  • Idee: Laeta Kalogridis
  • Buchvorlage: Richard Morgan
  • Darsteller: Joel Kinnaman, Renée Elise Goldsberry, James Purefoy, Martha Higareda u.a.
  • Regie (Pilot): Miguel Sapochnik
  • Ausf. Produzenten: Laeta Kalogridis, David Ellison, Dana Goldberg u.a.
  • Produktion: Skydance Media, Mythology Entertainment für Netflix
  • Folgen: 10 in S1 (je ca. 45-60 Min.)
Das ist die einzige Gerechtigkeit im Leben: Am Ende sterben wir alle.

Kommt Ihnen so ein Satz bekannt vor? Egal ob arm oder reich, hässlich oder schön, jung oder alt. Allen wiederfährt irgendwann dasselbe Schicksal, irgendwann sind alle dann doch gleich.

Nicht bei «Altered Carbon». Diese letzte aller Gerechtigkeiten existiert dort nicht mehr. «Altered Carbon» spielt in der Zukunft, in einer sehr dunklen. Dort können Körper zwar sterben, aber das Bewusstsein und die Erinnerungen werden transferiert in eine neue lebende Hülle. Diese sogenannten sleeves können sich Normalsterbliche allerdings kaum leisten – ewiges Leben gibt es also nur, wenn man reich ist und wohlhabend. Gerechtigkeit? Geht jetzt über den Tod hinaus.
Die neue Netflix-Serie basiert auf einem SciFi-Roman von Richard Morgan und hält sich eng an die Buchvorlage. Andere Vorbilder sind offensichtlich: Stadtszenen im Regen, von Neonreklamen durchtränkt, erinnern an kultige Vorbilder wie «Blade Runner»; auch Parallelen zur neuen Amazon-Anthologie «Electric Dreams» erkennen Serienfans. Vieles geht zurück auf Philip K. Dick, den Autor, der vor Jahrzehnten grandiose Cyberpunk-Ideen in Worte goss und auf dessen Werk zahlreiche Serien und Filme basieren, darunter auch «Minority Report» und «Total Recall».

All dies fließt ein in «Altered Carbon», das sich grundsätzlich aufgrund der frischen Ausgangsidee trotzdem innovativ anfühlt. Hauptcharakter der Serie ist Takeshi Kovacs, Ex-Soldat einer Kriegseinheit und späterer Verbrecher. Ein neues Leben ist für Kovacs nicht drin, dazu mangelt es an Geld und Willen. Doch nach seinem gewaltsamen Tod wird Kovacs in einem neuen Sleeve von einem Auftraggeber wiederbelebt – für eine besondere Mission: Mit seinen Fähigkeiten soll er den Mord an Laurens Bancroft aufklären, einem Superreichen, der alle 48 Stunden ein Backup seines Bewusstseins vornimmt. Eines Tages stirbt Bancroft, kurz vor dem nächsten Update. Die letzten 48 Stunden sind ausgelöscht, die Ermittlungen sprechen halbherzig von Selbstmord. Bancroft kann dies nicht glauben und engagiert also Kovacs, um seinen eigenen Mord aufzuklären. Irgendjemand will den reichen Unsterblichen dauerhaft tot sehen.

«Altered Carbon»: Who wants to live forever?


Takeshi Kovacs ist Bancroft ausgeliefert, ein Sklave in einem neuen Körper. Widersetzt er sich dem Auftrag, ist sein neues Leben vorbei. Kovacs kämpft mit dem Dilemma: Soll er weitermachen, ohne Freiheiten und ohne Rechte? Oder soll er sich die Kugel geben, im wahrsten Sinne des Wortes, um dem Albtraum ein Ende zu bereiten? Dunkle Gedanken plagen den Ex-Soldaten, Kriegstraumata von den Schlachtfeldern. Und Erinnerungen an seine alte Liebe, die vor seinen Augen ermordet wurde. Who wants to live forever? hat Freddie Mercury einmal in einem Queen-Song gesungen. «Altered Carbon» zeigt, dass diese Frage nicht einfach zu beantworten ist.

Gemäß der Buchvorlage arbeitet «Altered Carbon» eine stringente Storyline ab, die gerade am Anfang sehr bruchstückhaft von einem Ereignis zum nächsten springt: Gefecht, traumatische Erinnerungen, ruhige Kneipenszenen, Gefecht. Die Netflix-Serie arbeitet mit viel Action und Gewalt, tiefenphilosophisch wird es selten. Damit verspielt «Altered Carbon» eine kleine Chance, mehr zu sein als eine gute, aber bisweilen plakative SciFi-Serie. Takeshi Kovacs spielt lange den grimmigen tough guy, einen allseits bekannten Klischee-Typus aus zahlreichen Blockbuster-Filmen. Identität und Charaktertiefe kommen erst spät in der ersten Staffel dazu, wenn der Zuschauer in Rückblenden – quasi einer zweiten Storyline – vieles über seine Hintergrundgeschichte erfährt.

«Altered Carbon» nimmt sich anfangs wenig Zeit für die Charaktere, umso mehr stattdessen für den Style. Die Action-Sequenzen sind aufregend choreographiert, die Bildgestaltung imposant. «Altered Carbon» entwirft eine Noir-Atmosphäre voller Tristesse und Hoffnungslosigkeit. Und der Kriminalfall ist ausreichend interessant entworfen, um den Zuschauer über die anfänglichen Startschwierigkeiten der Serie hinwegzuhelfen. Dann fließen auch die Sideplots kohärent ineinander, beispielsweise die bisweilen inspirationslose Geschichte um eine Polizistin, die auf Kovacs Spuren wandert und den Mord an Bancroft ebenfalls aufklären will.

Ein bisschen ist die Serie wie ihr Inhalt: Viele bekannte Ideen und Klischees werden in einen neuen Körper gegossen. Anders gesagt: Das Bewusstsein zahlreicher Cyberpunk- und SciFi-Filme fließt in den frischen Sleeve namens «Altered Carbon», der für Genre-Fans äußerst blutige Abwechslung bietet. Die eigentliche Action, sie beginnt nun nach dem Tod.

Alle Folgen von «Altered Carbon» sind ab dem 02. Februar 2018 bei Netflix verfügbar.
01.02.2018 16:15 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/98786