Wenn vom Ursprungskonzept kaum mehr etwas übrig bleibt. Fünf Wochen lang hat ProSieben auf «Get the F*ck Out Of My House» in der Primetime gezeigt – und war sich am Ende selbst nicht mehr sicher, ob es eine Reality- oder eine Gameshow ist. Wie schwer die Produktion einer guten Reality ist, dürfte das Team vergangenen Sommer gemerkt haben. Warum unser Autor trotz hervorragender Ansätze von einer Fortsetzung abrät.
Als im vergangenen Sommer 100 Kandidaten die knapp 1.100 Einwohner zählende Gemeinde Satzvey (Eifel) stürmten, war die Welt noch in Ordnung. Für die Anwohner und für das Produktionsteam von UFA Show & Factual und ProSieben. Binnen der vier geplanten Produktionswochen sollte sich das ändern. Für die Anwohner, die Medienberichten zufolge mehrfach über die Parksituation und auch über Larmbelästigung klagten. Wer letztlich die TV-Show, die verspätet gesendet wurde, gesehen hat, konnte sich vorstellen, was Nachbarn gemeint haben könnten. Und für die Produktion war alles in Butter, weil man glaubte, „die meist beachtete internationale Formatidee“ nun nach Deutschland zu holen. Ein Strategie-Spiel, «Big Brother» in extrem.
Gefunden hatte man die Sendung – wie soll es bei Reality-Formaten anders sein – in den Niederlanden, wo RTL 5 im Herbst 2016 erstmals auf Sendung ging. Das Konzept ist schnell erklärt: Ein Einfamilien-Haus wird von 100 Menschen bewohnt und ist damit völlig überfüllt. Die Kandidaten sollen sich gegenseitig aus dem Haus ekeln, wer am Längsten durchhält, gewinnt. So weit so spannend. In den Niederlanden funktionierte dieses Konzept auch fast durchgängig gut. Für Deutschland nahmen die Programmverantwortlichen allerdings wesentliche und eigentlich auch kaum erklärbare Änderungen vor. Diese ändern das Grundkonstrukt so deutlich, dass die Idee dahinter gar nicht mehr funktionieren konnte.
Als grundlegendes Problem in Deutschland wurde schlechtes Erzählen, zu freundschaftliches Verhalten der Kandidaten und null Strategie seitens der Teilnehmer auserkoren.
Die Sendezeit
RTL 5 setzte «Get the F*ck Out Of My House» vom 3. Oktober 2016 bis kurz vor Weihnachten 2016 als tägliche Sendung mit je 30 Minuten Sendezeit ein. Auch andere erfolgreiche Realitys, etwa «Utopia», haben in den Niederlanden eine halbe Stunde zur Verfügung. Man ist dort nicht dem XL-Wahn zum Opfer gefallen, was vielen Formaten recht gut tut. Mit einer halben Stunde täglich konnte der Zuschauer eine echte Bindung zu den Teilnehmern aufbauen, lud sie quasi allabendlich in sein Wohnzimmer ein. Insgesamt wurde die Geschichte der Staffel also rund 30 Stunden lang erzählt. ProSieben setzte auf vier 135 Minuten lange Shows und eine Sendung, die rund 160 Minuten lang war. Somit füllte man rund elfeinhalb Stunden Sendezeit. Aus gutem Grund?
Keiner versteht das Prinzip!
Schnell wurde in der deutschen Variante deutlich, dass die Kandidaten wesentliche Elemente des Spielprinzips nicht verstanden hatten. Es geht in der Sendung darum, andere Mitbewohner aus dem Haus „zu ekeln“, um selbst mehr Platz zu bekommen und letztlich auch die Chance auf den Hauptgewinn von 100.000 Euro. Stattdessen formte sich schnell eine erstaunlich starke Gruppe, die sich gegenseitig half, versuchte das knappe Essen möglichst gerecht aufzuteilen und auch auf schwäche/ältere Teilnehmer bestmöglich Rücksicht zu nehmen. Der „Hausboss“, der einen eigenen privaten Bereich hatte, stellte vor allem Frauen seine sanitären Anlagen noch zur Verfügung. Jedem wurde also das bisschen Luxus ermöglicht, das es eben gab. Und wenn jemand mal querschoss, dann war dessen Ende im Haus schnell eingeläutet.
Einer der Fehler: Die Gewinnsumme
Letztlich verließen kaum noch Teilnehmer das Haus freiwillig. Zogen innerhalb der ersten Woche fast fünf Handvoll Kandidaten aus, weil ihnen das Projekt zu hart war, fand sich schnell ein harter Kern, die es sich dank ihres Zusammenhalts bequem machten. Spiele und mitunter oft der Zufall, entschieden darüber, wer gehen musste. Das Haus wäre sonst vermutlich diesen Winter noch nicht leer. Diesen Faktor haben sich die Macher aber absolut selbst eingebrockt, in dem sie völlig ohne Not am Grundkonzept geschraubt haben. In der niederländischen Variante gab es nämlich ebenfalls 100.000 Euro für den zu gewinnen, der am längsten durchhält. Aber nur theoretisch. Denn im Laufe der Zeit minimierte sich die Gewinnsumme. Heißt: Wenn der letztliche Gewinner schlicht zu lange gebraucht hat, um 99 Leute aus „seinem Haus“ zu bekommen, verliert er Geld – am Ende ging der Sieger in den Niederlanden mit rund 46.000 Euro aus dem Haus. In Deutschland war das unerheblich. Lieber setzte ProSieben weiteres Geld ein, damit Kandidaten sich freiwillig aus dem Haus wählten.
Das Haus an sich
Auch hier gab es gravierende Unterschiede: Während ProSieben auf ein Ein-Familien-Haus der gehobenen Klasse setzte, hatte RTL5 ein etwas in die Jahre gekommenes Anwesen gewählt, an dessen Außenwänden die Farbe auch mal abblättern durfte. Das verlieh dem Format zwar keinen vermeintlichen Glanz, brachte ihm aber den Charme ein, wirklich in der Mitte der Gesellschaft stattzufinden.
Aus Reality wird Game
So wurde das deutsche «Get the F*ck Out Of My House» mehr und mehr zur Spielshow. In der finalen Folge entschieden fast ausschließlich von der Redaktion vorgebene Spiele, wer geht und wer bleibt. Einzig ein Kniff bei der Rauswahl der Top5 (also der Reduzierung von 13 auf acht Teilnehmer) gab es den interessanten Move, dass freiwillig ausziehende Kandidaten noch die Chance auf einen Kleinwagen hatten. Wer Sieger wird, entschied am Ende sogar eine Münze, die mit einem Luftstoß gewendet werden musste.
Aus dem als Reality angekündigten TV-Experiment war eine Game-Show geworden, weil sich am Ende jeder mit jedem verbrüdert hatte. Das galt auch für die eigentlich ja unabhängig und zur Distanz angehaltenen Moderatoren, die sichtlich Nähe zu den Teilnehmern aufgebaut hatten. Gleiches galt auch für Teile des Teams. Wie auch in den Niederlanden waren Kameraleute und Interviewer immer im Haus. Dabei lernte man sich aber offenbar so gut kennen, das man bald „Teil des Ganzen“ wurde, sich gegenseitig auf die Schultern klopfte und gemeinsam lachte. Von dieser emotionalen Bindung konnte man sich letztlich auch der Schnitt oder die schwache redaktionelle Auswahl der Szenen nicht befreien.
Genau das ist der Grund, weshalb eine eigentlich spannende Idee letztlich so stark von sich selbst entfremdet wurde, dass es wohl besser wäre, man beerdigt das Format. Als Gameshow-Reality-Zwitter taugt es jedenfalls nicht für eine Neuauflage.