«Red Sparrow»: Jennifer Lawrence erobert die Macht über ihren Körper zurück

Sie ist die Herrin über ihren Körper: Der Agententhriller «Red Sparrow» ist Jennifer Lawrences Antwort auf den iCloud-Hackerangriff 2014.

Jennifer Lawrence – Vorher und nachher


Filmfacts: «Red Sparrow»

  • Regie: Francis Lawrence
  • Produktion: Peter Chernin, Steven Zaillian, Jenno Topping, David Ready
  • Drehbuch: Justin Haythe; basierend auf «Operation Red Sparrow» von Jason Matthews
  • Darsteller: Jennifer Lawrence, Joel Edgerton, Matthias Schoenaerts, Charlotte Rampling, Mary-Louise Parker, Jeremy Irons
  • Musik: James Newton Howard
  • Kamera: Jo Willems
  • Schnitt: Alan Edward Bell
  • Laufzeit: 140 Minuten
  • FSK: ab 16 Jahren
Die Vita der Medienpersönlichkeit Jennifer Lawrence weist eine harsche, pochende Zäsur auf. Bedauerlicherweise lässt sich das mediale Wirken der Schauspielerin nicht etwa am einfachsten in "Vor «Die Tribute von Panem»" und "Nach «Die Tribute von Panem»" einteilen. Ja, mit dem ersten Teil der Bestselleradaption gewann Lawrence rapide an Prominenz, jedoch änderte sich ihr öffentliches Auftreten zu einem späteren Zeitpunkt. Es war auch nicht Lawrences Oscar-Gewinn 2013, der ihren Duktus im Medienzirkus von Grund auf veränderte. Nicht wenige Leute aus dem Medienjournalismus, die der Actrice ihre gesamte bisherige Karriere über begegnet sind, trennen klipp und klar zwischen einer Phase vor dem August 2014 – und der Jennifer Lawrence danach.

Der dramatische Wendepunkt, der Lawrences Medienpersona auf den Kopf stellte, ist der Hackerangriff 2014 auf Apples iCloud, in dessen Zuge die Nacktfotos zahlreicher (fast durchweg weiblicher) Prominenter unrechtmäßig veröffentlicht wurden. Lawrence war eines der ersten Opfer dieses Datenlecks – und diverse Webportale, von Klatschplattformen hin zu pornografischen Seiten, stürzten sich insbesondere auf ihre Fotos.

Obwohl dieses unter anderem "Celebgate" betitelte Ereignis gerade einmal etwas weniger als vier Jahre zurückliegt, scheint gesellschaftlich eine Ewigkeit seither vergangen zu sein. Denn in Zeiten der #TimesUp- und #MeToo-Bewegungen erscheint es als sehr unwahrscheinlich, dass in den sozialen Netzwerken nur eine vernünftige Minderheit die Veröffentlichung ergaunerter Nacktfotos kritisiert, während eine beschämend laute Mehrheit die Hacker applaudiert und das Leak feierlich "The Fappening", das Wichsereignis , tauft.

Aber die Feststellung, wie sehr sich das Klima in den sozialen Medien in der Zwischenzeit gewandelt hat, deckt nur einen Bruchteil der Relevanz dieses Ereignisses ab. Deswegen sollte keinesfalls außer Acht gelassen werden, welche Pein die Entwendung intimer Fotos für die Opfer darstellt. Ende 2017 erklärte eine weiterhin von dem Leak gezeichnete Lawrence dem Branchenportal 'The Hollywood Reporter' etwa: "Ich fühle mich so, als wäre ich vom ganzen beschissenen Planeten massenvergewaltigt worden."

Weiter verriet die Oscar-Preisträgerin, dass sie von anderen "Celebgate"-Opfern angefragt wurde, ob sie eine Sammelklage in Erwägung ziehen würde, was sie jedoch abgelehnt hätte: "Nichts dergleichen hätte mir Frieden gebracht, und ebenso wenig hätte es mir die Entscheidungsfreiheit über meinen nackten Körper zurückgegeben." Sie sei vor Scham fast eingegangen, beteuert sie weiter. Von der unbeschwerten Art, die Lawrence einst bei Promoveranstaltungen zu Tage gelegt hat, ist seit dem Leak konsequenterweise bloß ein kümmerlicher Rest über. Galt der «Die Tribute von Panem»-Star einst als angenehmer, Spaß verstehender Interviewpartner, häufen sich im Filmjournalismus seit Jahren die Storys über eine kurz angebundene, verkrampfte Lawrence. Wer kann es Jennifer Lawrence vor diesem Hintergrund verübeln? Immerhin ist sie, in eigenen Worten, Opfer einer Sexualstraftat geworden – und das einzig und allein aufgrund ihrer Prominenz.

Ein filmisches Ablassventil


Selbst wenn der Agententhriller «Red Sparrow» auf einem bereits 2013 veröffentlichten Roman basiert und die 27-Jährige bei der Adaption offiziell keinen der Posten hinter den Kulissen übernahm, lässt sich das Thrillerdrama als Lawrences zeitverzögerte Reaktion auf "Celebgate" betrachten. Das ist ihr selbst ebenfalls aufgefallen: "Ich hatte das Gefühl, als könnte ich mir das zurückholen, was mir gewonnen wurde", begründet sie ihre Entscheidung, das Projekt anzunehmen. Dass Regisseur Francis Lawrence mit Jennifer Lawrence befreundet ist, ihr die Romanadaption angeboten hat, weil er sie perfekt für das Material fand, und in enger Unterredung mit Drehbuchautor Justin Haythe das Skript auf ihren Leib geschneidert wurde, sei da nur ganz nebenher erwähnt …

In «Red Sparrow» wird mit eisiger Kälte und harscher inszenatorischer Bestimmtheit die Geschichte der russischen Balletttänzerin Dominika Egorova (Jennifer Lawrence) erzählt, deren Karriere nach einem Unfall vorbei zu sein scheint. Ihr für den Geheimdienst arbeitender Onkel Ivan Egorov (Matthias Schoenaerts) bietet der verzweifelten, jungen Erwachsenen bald darauf einen vermeintlich harmlosen Auftrag an. Doch die Mission gerät außer Kontrolle – Dominika wird vergewaltigt und anschließend von der Regierung bedrängt. Entweder schließt sie sich dem Sparrow-Programm an und wird zu einer Art Sex-Agentin, die ihren Körper in den Dienst des Staates stellt, oder ihre Tage sind gezählt.

So niedergeschrieben wirkt es womöglich sehr nach Brechstagen-Dramaturgie. Aber die Regie dämpft durch einen ruhigen Erzählrhythmus die Plotentwicklung dezent – so sehr, dass sie plausibel bleibt. Die übrig gebliebene Ausdrucksgewalt des Thrillers hat eine klare Daseinsberechtigung, hat die Hauptdarstellerin doch guten Grund, einen ganzen Hühnerstall zu rupfen. Wenn Dominika, Überlebende eines schrecklichen, körperlichen Sexualverbrechens, auf der Agentenschule gezwungen wird, ihren Körper einzusetzen, schimmert zwangsweise realer Subtext durch. Jennifer Lawrence, Opfer eines schandhaften digitalen Sexualverbrechens, wird als erwachsene, attraktive Schauspielerin in Hollywood wiederholt mit Rollenangeboten konfrontiert, die erfordern, dass sie ihren Körper zur Schau stellt.

Und nicht nur die mit dem Rücken zur sprichwörtlichen Wand stehende Dominika erkämpft sich dadurch, dass sie mit eisernem Willen und messerscharfer Gerissenheit agiert, die Bestimmungsgewalt über sich selbst schrittweise zurück. Dominikas Lehrerin und der russische Geheimdienst wollen sich als Befehlshaber über Dominikas Körper sehen – und sie soll ihrem Gegenüber einfach alles geben, was es will. Und, so bitter es ist: Nicht selten sind Nacktszenen in Hollywood-Filmen dasselbe, nur softer – das Publikum will blanke Promihaut sehen und Studios drängen Stars dazu, den Kinogängern das zu geben, was sie wollen. Lawrences Rolle lässt sich aber nicht brechen und gibt ihrem Gegenüber wiederholt das, was es will – jedoch mit List und zu ihren Bedingungen. So gehabt es sich in «Red Sparrow» auch mit Jennifer Lawrence, die sich, unterstützt durch Francis Lawrences' Regieführung, die potentiellen, erotischen "Fanservice"-Momente packt und ihnen ihre Sinnlichkeit nimmt.

Kühle Selbstbestimmung tritt ein, wo zuvor Scham war


Frei nach dem Motto "Ach, ihr wollt meinen Körper sehen? Unbedingt, ja? Okay … immer noch?" spielt Jennifer Lawrence alle Szenen, die theoretisch ausbeuterisch sein könnten, mit einer ihrer Figur innewohnenden, galligen Abscheu. Francis Lawrences fängt den Körper seines Stars mit einer unsexualisierten Abgeklärtheit ein: Die zumeist stählern-gräulich-bläulichen Bilder des Kameramanns Jo Willems pressen, bildlich gesprochen, die Lebendigkeit aus Lawrences Haut, die akribisch gewählten Kameraeinstellungen nehmen subtil, aber bestimmt, die Mechanik der Sex-, Folter- und Sexfolterszenen in den Fokus. In diesem Film wird das nichts mit "Die heiße Agentin Jennifer Lawrence, die ihren knackigen Körper als Waffe verwendet", ganz gleich, wie dringlich manche Marketingmaterialien «Red Sparrow» diesen Stempel aufzudrücken versuchen.

So sehr die Parallelen zwischen Hautfigur und Hauptdarstellerin das Thrillerdrama bestimmen mögen, ist es jedoch nicht so, als hätte Drehbuchautor Justin Haythe aus der Romanvorlage einen Sexthriller geformt: Der «Lone Ranger»- und «A Cure for Wellness»-Drehbuchautor nutzt Sex zwar, um einige Wendepunkte in Dominikas Wandlung voranzutreiben, die Rückeroberung ihrer Selbst treibt Haythe dennoch größtenteils auf andere Weise fort. Sukzessive lässt er die geschockte, traumatisierte Heldin an Härte gewinnen, in nachvollziehbaren Schritten gewinnt Dominika an Abgeklärtheit hinzu und findet immer geschicktere Wege, ihre Agenda, die Agenda ihrer Auftraggeber und die Sehnsüchte ihrer Zielpersonen auszubalancieren – auch, ohne blank zu ziehen.

Dadurch, dass Haythe zwar einerseits unmissverständlich durchschimmern lässt, dass Dominika ihre Eigenständigkeit und ihren Selbststolz zurückgewinnt, andererseits jedoch ihr endgültiges Ziel im Unklaren lässt, ist «Red Sparrow» keine rund 140-minütige Charakterstudie mit einem voraus telegrafierten Ende. Der Spionagefilm zieht durchweg Suspense daraus, wo die Titelheldin letztlich hinsteuert und wer sich in diesem verstrickten Komplott dumm stellt oder wirklich naiv ist – damit erhält Jennifer Lawrences "Celebgate"-Abrechnung auch einen konventionellen Haken, an dem sich Fans des langsam brodelnden Agentenkinos festhalten können.

Erst gegen Schluss verzettelt sich «Red Sparrow» in betont detaillierten Erklärungen des Geschehens, doch sonst verlassen sich Francis Lawrence und Justin Haythe darauf, dass ihr Publikum die sich behutsam entwickelnden Teilkonflikte selber in einen größeren Kontext setzt. Vereinzelte, für eine FSK ab 16 Jahren recht harsche Gewaltspitzen und mit besonnenem Tempo eingefangene Actionpassagen geben dieser Romanadaption über den das Projekt bestimmenden Metaspekt hinausgehende, zusätzliche Rauheit.

Dass das Ensemble abseits der Hauptdarstellerin zumeist funktionale Darbietungen abgeben, von Stichwortgebern (Schoenaerts, Jeremy Irons) über Feindbildern (Charlotte Rampling) bis hin zum schwer durchschauberen Gegenpart (naiv oder sensationell gut im Bluffen: Joel Edgerton als CIA-Agent Nathaniel Nash) ist hier eher Nebensache. «Red Sparrow» gehört allein Jennifer Lawrence sowie ihrer Mission, sich zurückzuerobern, und Francis Lawrence stellt sich mit seiner frostigen, zwischen streng und elegant chargierenden Inszenierung ganz in ihren Dienst.

«Red Sparrow» ist ab dem 1. März 2018 in vielen deutschen Kinos zu sehen.
27.02.2018 18:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/99302