'Es wird mit Angst gespielt'

Ein Millionenpublikum konsumiert ihre Arbeit, und doch müssen sie regelmäßig beim Auftraggeber buckeln, um ja nicht negativ aufzufallen: Till Valentin Völger, Vorstandsvorsitzender des InteressenVerbands Synchronschauspieler e. V. (IVS), über die Leiden berühmter Stimmen.

Nicht jeder kennt seinen Namen, geschweige denn sein Gesicht. Aber mehrere Millionen Filmfans haben seine Stimme im Ohr: Synchronschauspieler Marcus Off, der in den ersten drei «Pirates of the Caribbean»-Filmen die trunken-verwegen lallende deutsche Stimme des trickreichen Piratenkapitäns Jack Sparrow war. Als Off 2007 auf Grundlage des sogenannten Bestsellerparagrafen § 32a im Urheberrechtgesetz eine Nachvergütung forderte, geriet sein Zwist mit Disney in die Schlagzeilen. Erst im April 2017 – also 10 Jahre später (!) – trat das Off im Recht sehende Urteil des Kammergerichts Berlin in Kraft. In der Zwischenzeit dürften deutlich weniger Menschen Offs Stimme im Kino gehört haben als noch zuvor. War der Synchronschauspieler etwa zu sehr damit beschäftigt, vor Gericht um seine Sache zu kämpfen?

Till Valentin Völger, Vorstandsvorsitzender des InteressenVerbands Synchronschauspieler e. V. (IVS), verneint dies. Für ihn gibt es einen klaren Grund, weshalb Off in den vergangenen Jahren primär in Filmen kleinerer Verleiher zu hören war, wie in «Mama gegen Papa» von Splendid oder «The Dinner» aus dem Hause Tobis. Dass Off im Gegensatz zu früher keine zentralen Rollen mehr in Projekten der Hollywood-Großstudios erhält, "liegt daran, dass in der Synchronbranche sogenanntes 'Blacklisting' betrieben wird." Soll heißen: Schauspielerinnen und Schauspieler, die negativ auffallen, finden sich erstaunlich rasch auf einer weite Teile der Branche abdeckenden, "schwarzen Liste" wieder.

Dass damit eine sprichwörtliche Liste gemeint ist, sollte auf der Hand liegen. Sollte. "Der Begriff als solcher ist natürlich leicht irreführend – tatsächlich greifbare 'Listen' werden nicht geführt. Aber die Verwerterindustrie nimmt diesen Vorwurf bewusst wortwörtlich, um die Anschuldigung abzuwehren", erklärt Völger. "Als es im Rahmen der Urheberrechtnovellierung Anfang 2017 Anhörungen zu dem Thema gab, hieß es: 'Es gibt kein Blacklisting. Beweist uns das Gegenteil. Zeigt uns doch mal die schwarze Liste? Wo ist sie, die böse Exceltabelle mit den verbotenen Namen?'"

Es gibt Fälle, wo uns Regisseure oder Produzenten hinter vorgehaltener Hand sehr klare Andeutungen gemacht haben, dass Studio X den Namen Y nicht mehr beschäftigen will. Belastbare Beweise hinterlassen die Studios aber nicht – sonst könnte man in manchen Fällen wegen unlauteren Wettbewerbs gegen sie vorgehen.
Till Valentin Völger
Mit Blacklisting sei natürlich gemeint, dass Synchronschaffende nach einem (vermeintlichen) Fehltritt tabu sind – nicht nur für den einen Auftraggeber, mit dem man aneinander geraten ist, sondern oftmals auch für andere Verleiher und Sender. Beweisen lässt sich das allerdings nur sehr selten und selbst dann sind etwaige Zeugen fast nie zu einer Aussage bereit – andernfalls ließen sich mitunter rechtliche Schritte gegen diese Methode vornehmen. "Wir haben keine konkrete Beweise, dass ein Auftraggeber einem Synchronproduzenten oder -regisseur schreibt: 'Wir wollen generell nicht, dass du Synchronschauspieler X besetzt, der ist uns unangenehm.' Aber es ist halt auffällig, wenn ein Marcus Off auf einmal in keinen Blockbustern der Hollywood-Majors zu hören ist", befindet Völger. "Es gibt Fälle, wo uns Regisseure oder Produzenten hinter vorgehaltener Hand sehr klare Andeutungen gemacht haben, dass Studio X den Namen Y nicht mehr beschäftigen will. Belastbare Beweise hinterlassen die Studios aber nicht – sonst könnte man in manchen Fällen wegen unlauteren Wettbewerbs gegen sie vorgehen."

Es ist laut Völger auch nicht so, als würden ausschließlich Synchronschauspielerinnen und Synchronschauspieler wie Off, Ricardo Richter (Josh Hutcherson in den ersten drei «Tribute von Panem»-Filmen), Johannes Raspe (Robert Pattinson in der «Twilight»-Saga) und Ursula Hugo (erste Stimme der Danai Gurira in «The Walking Dead»), die ein §32a-Verfahren eingeleitet haben, von Auftraggebern kritisch betrachtet. "Wer seine Rechte gegenüber dem Auftraggeber geltend machen will, fällt negativ auf. Und wer zu oft negativ auffällt, wird geschnitten", so Völger. Dieser gibt zu bedenken: "Natürlich kennen wir alle Leute, mit denen es unangenehm ist, zu arbeiten. Vor allem dann, wenn es persönlich einfach nicht zusammenpasst. Doch in der Synchronbranche passiert es – wie auch in vielen anderen Bereichen der Kulturwirtschaft –, dass Leute, die einfach nur auf das achten, was ihnen urheber- oder arbeitsrechtlich zusteht, mit 'echten' Problemfällen zusammengetan werden. Das ist so, als würde jemand aus seinem Versicherungsbüro geschmissen, weil er auf die Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohnes besteht."

Ein weiteres Beispiel, mit dem sich der IVS befassen musste, betrifft etwa das Thema Zahlungsmoral. "Wir kennen Fälle, in denen Kolleginnen und Kollegen über ein Jahr auf die ihnen zustehende Gage warten mussten", berichtet Völger. "Außerdem sind uns über die Jahre mittlerweile mehrere Fälle bekannt geworden, in denen unterschiedliche Synchronproduzenten den Schauspielern noch im Studio, also vor oder kurz nach der Erbringung der Arbeitsleistung, einen Zettel hingehalten haben. Da sollten sie unterschreiben, dass sie ihre Gage bereits erhalten hätten – obwohl das natürlich gar nicht stimmte."

Es kommt vor, dass Synchronstudios von ihren Auftraggebern in Verträge gedrängt werden, laut denen sie erst ihre Bezahlung erhalten, wenn sie die Kolleginnen und Kollegen vergütet haben. Damit stehen die Synchronfirmen gelegentlich mit dem Rücken zur Wand.
Till Valentin Völger
Völger möchte in solchen Fällen allerdings nicht allein die Synchronstudios als problematisch betrachten – das Problem sei größer: "In vielen Fällen kann man hier nicht von Böswilligkeit ausgehen. Es liegt oftmals auch an den komplizierten Verträgen. Denn es kommt vor, dass Synchronstudios von ihren Auftraggebern in Verträge gedrängt werden, laut denen sie erst ihre Bezahlung erhalten, wenn sie die Kolleginnen und Kollegen vergütet haben. Damit stehen die Synchronfirmen gelegentlich mit dem Rücken zur Wand."

Ein weiteres Beispiel für Vertragsklauseln, die Völger die Stirn runzeln lassen: "Es kann vorkommen, dass die Synchronproduzenten ihren Auftraggebern vertraglich zusichern müssen, dafür aufzukommen, sollte eine Synchronschauspielerin oder ein Synchronschauspieler rechtlich gegen das Filmstudio oder den Sender vorgehen – zum Beispiel wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten oder dergleichen. Da überlegen wir es uns als Schauspieler natürlich zwei Mal, zu klagen, weil wir damit dem Synchronproduzenten schaden, zu dem wir eher ein gutes Verhältnis haben wollen – schließlich ist er unser Arbeitgeber, von dem wir mitunter wirtschaftlich abhängig sind. Und die Synchronproduzenten überdenken es vielleicht, jemanden anzuheuern, der seine Rechte kennt und für sie einsteht."

Bei einer Festanstellung besteht eine gewisse beidseitige Abhängigkeit. Bei Anstellungsverhältnissen, die manchmal auch nur 15 Minuten bis drei Stunden dauern, wo man sich als Künstlerin oder Künstler also von Auftrag zu Auftrag hangelt – da beißt man sich auch mal durch, statt auf den 'Luxus' des deutschen Arbeitsrechts zu bestehen
Till Valentin Völger
Weshalb die Synchronschauspielerinnen und Synchronschauspieler so mit sich umspringen lassen? "Es wird auch oft mit Angst gespielt", statuiert Völger. Werden Praktiken hinterfragt oder Rechte zulässigerweise geltend gemacht, sind gewisse Erwiderungen nicht weit: "Es fallen gerne Fragen wie: 'Wollen Sie eigentlich noch als Synchronschauspieler arbeiten?' Und schon lassen sich viele gefügig machen. Das ist ein generelles Problem in Berufen, in denen man nur projektweise angeheuert wird. Bei einer Festanstellung besteht eine gewisse beidseitige Abhängigkeit. Bei Anstellungsverhältnissen, die manchmal auch nur 15 Minuten bis drei Stunden dauern, wo man sich als Künstlerin oder Künstler also von Auftrag zu Auftrag hangelt – da beißt man sich auch mal durch, statt auf den 'Luxus' des deutschen Arbeitsrechts zu bestehen."

Und bei all diesen Ärgernissen bleibt noch immer ein sehr wichtiger Aspekt außen vor, den sich der IVS auf die Fahnen geschrieben hat: Eine gemeinhin angemessene Vergütung, die auch den Maßgaben des Urheberrechtsgesetzes entspricht. Völger rechnet vor: "In den 70er-Jahren lag die Grundgage bei etwa 50 Mark, jeder Take gab zusätzlich jeweils etwa fünf Mark. Rechnet man dies auf den Euro um und will lediglich die Kaufkraft erhalten, müssten es heute zirka 100 Euro Grundgage und zirka zehn Euro pro Take sein. Stattdessen liegen die Zahlungen etwa bei 60 Euro und drei Euro – das ist ein massiver Verfall der Vergütung, während gleichzeitig durch Heimkino, Fernsehen, Apps, Hörspiele, Streamingplattformen und Merchandising die Auswertung explodiert ist."

"Um all das zu erreichen", führt Völger aus, "müssen wir die Gewerkschaften der Filmbranche weiter stärken und den Gesetzgeber dazu anhalten, effektive Mittel zur Durchsetzung der bestehenden Ansprüche zu schaffen. Die Situation wird aber dadurch drastisch erschwert, dass wir auf der Seite der Synchronproduzenten keinen Arbeitgeber-Verband haben, mit dem wir als zentralem Ansprechpartner ins Gespräch kommen können." Der IVS-Vorstandsvorsitzende holt weiter aus: "Obwohl wir den Bedarf nach einer solchen arbeitgeberseitigen Vertretung in den vergangenen Jahren mehrfach deutlich formuliert haben, sind die Synchronproduzenten zu diesem Schritt nicht bereit, der eine enorme Vereinfachung der Verhandlungssituation darstellen würde. Ein wirkliches Verständnis für die Sach- und Rechtslage können wir leider nicht überall feststellen.“

Unser Anliegen eine faire und angemessene Vergütung und ein Miteinander auf Augenhöhe. Es geht nicht um überhöhte Forderungen, im Gegenteil! Niemand hat ein Interesse daran, ein Arthouse-Projekt mit unbotmäßigen Honorarforderungen zu überlasten und damit letztlich auch der kulturellen Vielfalt zu schaden.
Till Valentin Völger über die Arbeit des IVS
Dabei findet er seine Forderungen nicht gerade dreist: "Unser Anliegen eine faire und angemessene Vergütung und ein Miteinander auf Augenhöhe. Es geht nicht um überhöhte Forderungen, im Gegenteil! Niemand hat ein Interesse daran, ein Arthouse-Projekt mit unbotmäßigen Honorarforderungen zu überlasten und damit letztlich auch der kulturellen Vielfalt zu schaden. Wenn wir uns allerdings vor Augen führen, dass der Kollege Marcus Off für Teil eins der «Fluch der Karibik»-Reihe ursprünglich insgesamt etwa 1.300 Euro bekommen hat, dann wird das Problem offenbar."

Blickt man auf den Fall Off, scheint Geduld zumindest ein kleines Erfolgsmittel zu sein: Seit Offs Klage haben sich mehrere Hollywood-Großstudios dazu durchgerungen, vereinzelten Nachvergütungen zuzustimmen. Diese beziehen sich zwar bislang allein auf den Kinoerfolg, trotzdem ist dies ein nicht unerheblicher Schritt nach vorne für die Synchronschauspielbranche. Und während Off unmittelbar nach Beginn seines Justizfeldzuges gar nicht mehr in Big-Budget-Filmen zu hören war, übernimmt er mittlerweile wieder zumindest Nebenrollen in Projekten so großer Studios wie Sony, Universal und Paramount.

"Ich weiß, dass es Synchronproduzenten gibt, die sich vehement für Off einsetzen – nun können sie ihn wenigstens wieder in einer Kapazität einsetzen, die den großen Verwertern angenehm sind", kommentiert Völger. Allen Ärgernissen zum Trotz ist die Synchronbranche also wahrlich keine, in der Zusammenhalt ein Fremdwort ist. Und wer weiß, vielleicht bringen die an ihm festhaltenden Synchronproduzenten Off mit ihrer Vehemenz eines Tages wieder bis an den Horizont der Blockbuster-Rollenauswahl …
15.03.2018 10:46 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/99627