Popcorn und Rollenwechsel: Let's Do the Time Warp Again

Unser Kolumnist hat das «The Rocky Horror Picture Show»-Remake gesehen. Es folgt ein Loblied auf Kenny Ortega, den Herzog des keuschen Camps. Und ein irritiertes Schulterzucken bezüglich seines «Rocky Horror»-Fernsehfilms.

Der Camp-Prolog


Selbst wenn die Aussage, dass Musicals durchweg gigantischen Kitsch darstellen, nicht stimmt: Es bedarf wohl keiner weiteren Erklärung, dass Musicals von vielen Menschen per se als kitschig erachtet werden – sowohl von jenen, die sie hassen, als auch von einigen, die sie gerade deswegen lieben. Ein berühmtes Musical, das sich dem Etikett 'kitschig' erfolgreich verwehrt, ist «The Rocky Horror Picture Show». Denn der Kultklassiker aus dem Jahr 1975 verwendet zu viel Energie und Zeit darauf, auf alte B-Movies zu verweisen, sich auf schrille Weise der sexuellen Befreiung zu widmen und einfach vollauf lüstern sowie schräg zu sein, als dass noch Raum für seufzend, sülzend, jauchzende Kitschregungen wäre.

Als viel zitierter Kult, Teenager-Initiationsritus und Ohrwurmproduzent ist «The Rocky Horror Picture Show» längst dem Mainstream bekannt und so etwas wie ein filmischer Botschafter der Camp-Ästhetik. Was das ist? Nun, ich würde es so erklären: Auf zugängliche Weise schockierend, auf naive Art hochtrabend und stilisiert-frivol, ist Camp der extrovertierte Cousin des Kitschs. Während der Kitsch beim leisesten Kummer weint, ohne sich dabei das Make-up zu versauen, und alsbald wieder munter durchs Leben spaziert, hängt Camp mit den unbeliebten Kids auf dem Pausenhof augenrollend in einer Ecke herum, feiert abends dagegen grelle Partys.

Dass der gefeierte Camp-Botschafter «The Rocky Horror Picture Show» ein Remake erhalten soll, wurde jahrelang berichtet, und immer wieder kam das Projekt zu einem jähen Stopp. Bis es 2015 urplötzlich hieß, dass der US-Sender FOX das Remake in die Hände nimmt und es recht zügig umsetzen wolle. Ich verlor das Ganze aus den Augen, bekam am Rand lediglich mit, dass das «The Rocky Horror Picture Show: Let's Do the Time Warp Again» betitelte Remake im Herbst 2016 ziemlich sang- und klanglos versendet wurde und löschte seine Existenz alsbald aus meinem Gedächtnis, um Platz für andere Dinge zu schaffen.

Akt eins: Science Fiction / Spieleabend Ablenkung Feature


Kennt ihr das, wenn ihr beiläufig und aus reinstem Zufall mit einer Sache konfrontiert werdet, und ihr einsehen müsst: "Ich habe echt viel aus meiner Erinnerung verbannt!" Das ist mir am Samstagabend passiert, als ich bei Freunden zum Spieleabend eingeladen war und wir in einer Aufbaupause auf's Essen warteten. Im Hintergrund flimmerte der Fernseher vor sich hin, als ich auf einmal eine mir bekannte Melodie vernahm. Der Liedtext ließ ebenso einen Groschen bei mir fallen. "Then something went wrong / for Fay Wray and King Kong / They got caught in a celluloid jam …" Nur das begleitende Bild wollte mir nicht … naja … ins Bild passen. Wenn ihr versteht. "Das Lied ist doch 'Science Fiction/ Double Feature', der Eröffnungssong von «The Rocky Horror Picture Show»?!", murmelte ich in Gedanken zu mir selbst, feststellend, dass aber gerade etwas anderes laufen muss, da sich auf der Glotze nicht die ikonische Szene mit den roten Lippen im schwarzen Nichts abspielt.

Mein innerer Monolog setzte sich fort, während ich vor lauter Rätselraten wie hypnotisiert auf den Fernseher starrte und mich in Zeitlupe hinsetzte, so wie es öfters Filmfiguren machen, wenn sie von einer zu knackenden Nuss überwältigt sind: "Aber wieso läuft eine Blondine vor einem sehr stylisch aussehenden Kino herum?! Gibt es irgendeine Serie neben «Glee», die eine «The Rocky Horror Picture Show»-Hommage gemacht hat, und ich habe das nicht mitbekommen?" Meine Augen durchbohrten fast schon das Gerät, nahmen jeden Pixel auseinander, während die grauen Zellen ratterten und verzweifelt versuchten, der Situation Herr zu werden. "Dieses Lied gehört doch nicht zu diesen Bildern, das habe ich noch nie erlebt, was passiert da, wieso weiß ich nichts davon, dass es das hier gibt?" Ich versuchte, die Schauspielerin einzuordnen. Oder das Setting – habe ich die Kulisse in Szenenbildern einer Serie gesehen, die ich nicht verfolge? Eines war klar: Ich wollte noch vor der etwaigen Titeleinblendung von alleine dahinter kommen, welche Serie sich da vor «The Rocky Horror Picture Show» verneigt. Aber ich scheiterte.

Was mir jedoch gelang: Ich konnte wenigstens die Ästhetik, ach, den kompletten Stil dieser Sequenz einer Person zuordnen. Es gab so viele Hinweise auf einen bestimmten Regisseur. Es beginnt bei der Sängerin, die unter ihrem dicken Mantel die "aufgeschlampte" Uniform einer Platzanweiserin enthüllt, wie sie in den 40ern bis vielleicht noch in die 60er hinein in US-Kinos nicht unüblich war. Ihr Schauspiel: Sinnlich, doch das eigene Sexappeal so in die Waagschale werfend, dass kurioserweise (und ich glaube: ganz gezielt) der gegenteilige Effekt eintritt: Ihre Sinnlichkeit wird zu einem beiläufig-selbstbewussten Umstand und sie wirkt letztlich trotz kurzem, engen Rock und weitem Ausschnitt um eine Prise niedlicher als erotisch. Sie spielt eine etwas
'rotzige' Platzanweiserin, die Eintrittskarten augenrollend zerreißt und Kinobesucher, die sich daneben benehmen, schroff anfährt. Das Lichtspielhaus als solches scheint sie wiederum zu lieben, so wie sie sich mit glänzenden Augen vor Retro-Filmplakaten räkelt und mit verschmitztem Lächeln Popcorn schaufelt.

Die Rotzigkeit der Platzanweiserin wird von der Darstellerin mit dicken Signalen als ironisch signalisiert – mit angedeutetem Augenzwinkern und "tongue in cheek". Nicht nur im übertragenen Sinne! Ich bin mir sicher, dass sie in einigen Einstellungen wirklich die Zunge in die Backentaschen legt, um bei aller Frechheit und quietschig dargelegter Ironie noch immer lieb, verspielt und kokett zu wirken. Und dann bricht zwischendurch etwas kindlich-freudiges aus ihr heraus und sie hüpft förmlich auf der Stelle.

All dies in einer Kulisse, die weder authentisch alte Filmpaläste nachstellt, noch die Atmosphäre realer, moderner Kinos einfängt, die einen auf Retro machen. Es sieht aus wie die romantisch verklärte, verspielt-übertriebene Disney-Channel-Version eines Tributs an Kinos vergangener Tage, die den Nerv der Älteren im Publikum treffen und durch ihre Quirligkeit auch die Kinder abholen soll, welche selbstredend die Ganzen Referenzen und das triefende Nostalgiegefühl nicht einordnen können. Und wie wird das alles in Szene gesetzt? Mit kontrollierter Kamerabewegung, glatt, jedoch nicht charakterlos ausgeleuchtet, durch eine behutsam-dynamische Schnittarbeit mit etwas Tempo versehen. Irgendwie "gemütlich genug, um sich in der dezenten Seltsamkeit zu suhlen und gleichzeitig so flott, dass es etwas aufgekratzt wirkt". Eine ungewöhnliche Stilmischung, die mich fasziniert, weil sie keineswegs alltäglich ist und sich dennoch nicht mit lauter Stimme als schräg ankündigt. Es ist, so paradox es klingen mag, eine schüchterne Extrovertiertheit. Oder, mit anderen Worten:

"Alter, da hat irgendwer Kenny Ortegas Stil 1:1 kopiert! Ich möchte fast glauben, dass das wirklich Kenny Ortega inszeniert hat." Kaum ist dieser Gedankengang zu Ende, chargiert die Figur der Platzanweiserin innerhalb weniger Sekunden zwischen wahnsinnig, Wahnsinn imitierend, kindischem Herumalbern und gehaucht-campiger, semi-ironischer Sexyness. "Nein", sage ich zu mir, während alle Anderen im Raum längst wieder ihren Dingen nachgehen. "Das kann nicht von wem sein, der Kenny Ortega kopiert. Das muss Kenny Ortega selber gedreht haben!" Ich war vollkommen von der Situation überfordert, denn meine Vermutung, dass da irgendeine Serie «The Rocky Horror Picture Show» hochleben lässt, erschien mir plötzlich absolut unrealistisch, denn welche Serienproduzenten kaufen Kenny Ortega für eine Folge ein und drücken ihm ein fernsehfilmreifes Budget für solch eine Vorspannszene in die Hand?

Kurz darauf bestätigt der laufende Vorspann, dass Kenny Ortega Regie führt. "Das muss ein Film sein, aber das geht doch nicht ...", denke ich verdattert, bis auf der Leinwand-im-Film-im-Fernseher-eines-Freundes-von-mir der Schriftzug «The Rocky Horror Picture Show: Let's Do the Time Warp Again» prangt. Meine Kinnlade klappt runter und es fällt mir wie Schuppen von den Augen. "Stimmt, es gab neulich dieses TV-Remake. Ich Depp, wie konnte ich das vergessen? Moment. Warte … Das ist von Kenny Ortega?! Dann muss ich das ja sehr wohl gucken …"

Akt zwei: Vorhang auf für den unterschätzten Regisseur Kenny Ortega


Ich schätze, dass Kenny Ortega eher wenigen Filmbegeisterten ein Begriff ist. Und ich weiß, dass er bei so manchen Filmverrückten und bei Leuten aus dem Filmkritikkollegium nur mäßige Achtung erhält. Für mich ist das bedauerlich. Denn, eines muss man ja wohl einsehen: Film ist ein visuelles Medium – und wenn ein Regisseur eine so deutliche inszenatorische respektive ästhetische Handschrift hat, dass es möglich ist, eine 'anonyme' Filmsequenz als seine Arbeit zu erkennen, so muss er ja wohl irgendetwas richtig machen. Und wenn es ihm dann auch noch gelingt, mich mit einem als Hintergrundrauschen eingeschalteten Film aus meinem Tun herauszuangeln, so dass ich wie hypnotisiert auf den Fernseher starre, bekommt er von mir noch ein paar weitere Respektpunkte zugewiesen.

Gewiss: Ich würde Ortegas bisherige Arbeiten nicht für einen Regie-Oscar einreichen, und eine Petition dafür, ihn in einer Regie-Hall-of-Fame direkt neben Orson Welles zu verewigen, werde ich so rasch auch nicht aufsetzen. Aber es gibt in der Filmkunst weit mehr als nur die beiden Extreme 'über alle Zweifel erhaben' und 'grottig'. Und zumindest ich muss sagen: Wenn Ortega Regie führt, bin ich prompt eine Spur mehr an einem Film interessiert, da der Emmy-Preisträger mir mit seinem Schaffen schon viele vergnügliche Stunden bereitet hat. Und weil er aufgrund seiner Handschrift mehr ist als nur ein austauschbarer 'Filmhandwerker'.

Ortega begann seine Karriere als Choreograf und wirkte in dieser Funktion unter anderem an «Xanadu» und «Dirty Dancing» mit. Als Regisseur verantwortete er beispielsweise «Michael Jackson's This Is It», das vergnügliche Disney-Historiendramamusical «Newsies», die verschrobene Disney-Halloween-Komödie «Hocus Pocus» sowie die fabelhaften (Not-So-)Guilty-Pleasures «High School Musical 1 – 3». Teil seines Stils ist es, dass er eine Gratwanderung zwischen Musikvideo-Schnittästhetik und sehr bühnenhafter Inszenierung begeht – und es geht sehr oft erstaunlich gut auf. Und er streut immer wieder kleine, passionierte Rückverweise auf die Musical- und Filmvergangenheit ein.

Was mich jedoch besonders an Ortegas Filmen fasziniert: Sie sind überaus 'campy'. Bei Ortega singt eine Bette Midler mit einem swingenden "I Put a Spell on You"-Cover und theatralischen Gesten eine Erwachsenen-Halloweenparty in Trance. In «High School Musical» ist das Happy End zwei Spuren drüber und grinst sich dabei die Lachmuskeln wund. In «High School Musical 3: Senior Year» hingegen tanzt der nicht gerade subtil als queer konnotierte Schuljunge in schmuckem Hut, knallenger pinker Hose und T-Shirt mit Scherenaufdruck in einer Chorus Line mit aufgedonnerten Mädels mit pinker Perücke und Katzenohren. Und der "Die Teenie-Kinder beliebter Disney-Trickfilmschurken gehen mit den Nachkommen von Disney-Märchenhelden auf dieselbe Schule"-Film «Descendants 2»? Nun …:



Es ist bunt, verrückt, hibbelig, mit stolz geschwellter Brust albern und es zieht mich mit seiner passionierten Zuckerschockart in seinen Bann. Es. Ist. Camp. Nur, dass viele Camp-Standartwerke eine vulgäre oder wenigstens anzügliche Komponente haben. Wie «The Rocky Horror Picture Show», die Klassiker von John Waters oder ein Gros des Lady-Gaga-Musikkatalogs.

Kenny Ortega hingegen fügt sich meist sehr sauber ins Disney-Schaffen. So ungefähr. Gut, in «High School Musical» singen die musicalversessenen 'Schurken' davon, dass sie willens sind, sich die Karriereleiter 'hoch zu boppen'. Und der Plot von «Hocus Pocus» dreht sich um einen Teenager, der sich schämt, noch Jungfrau zu sein, sowie um Hexen, die Jungfrauen ihre Lebensenergie aussaugen. Um nur ein paar Beispiele zu nennen …

Allerdings packt Ortega diese 'kantigeren' Aspekte seiner Filme in so viel Zucker, Farbe und Frohsinn, dass sie sich nahezu unbemerkt vorbei mogeln. Und so sehr eine Prise Naivität zum Camp hinzu gehört, ist diese Stilrichtung in Sachen Sexualität üblicherweise aufgeklärt und direkt. Ortega-Werke wirken stattdessen auch in dieser Sache unschuldig. Da vergleicht auch Mal ein Mädel, das einen Flirt ablehnt, ihr Gegenüber mit einer Gurke, die es nicht einmal essen würde, wäre es am verhungern und ihr Verehrer die allerletzte Gurke auf Erden. So doppeldeutig der Dialog der beiden Teenager klingt, kommt er seitens der Figuren planlos rüber. Als sei er ein Versehen. All dies, während die Kamera verdutzt voll drauf hält. Ortega macht gewissermaßen keuschen Camp – oder Camp, der noch nicht ganz in der Pubertät angelangt ist und nur einige grobe Vorstellungen von dem hat, was auf ihn zukommen wird.

Kenny Ortega, der Mann, der Filmbegeisterte für Camp anfixt, wenn sie ihn noch nicht in all seinen Dimensionen begreifen können. Und ganz nebenher ist er der Stofflieferant für Camp-Anhängende, die ab und zu auch gerne eine leichte, dennoch knallig-süße Filmmahlzeit haben wollen. Also, ich finde, wir brauchen solche Leute in Hollywood. Ich zumindest habe mir nur wegen Ortega «The Rocky Horror Picture Show: Let's Do the Time Warp Again» am Tag nach meiner Zufallsentdeckung als digitale Kopie gekauft, um ihn komplett und mit voller Aufmerksamkeit zu schauen.

Akt drei: The Rocky Horror Kuschel Tribute


Der «The Rocky Horror Picture Show: Let's Do the Time Warp Again»-Cast

  • Laverne Cox: Dr. Frank N. Furter
  • Victoria Justice: Janet Weiss
  • Ryan McCartan: Brad Majors
  • Annaleigh Ashford: Columbia
  • Adam Lambert : Eddie
  • Reeve Carney: Riff Raff
  • Christina Milian: Magenta
  • Ben Vereen : Dr. Everett von Scott
  • Staz Nair: Rocky
  • Tim Curry: Der Erzähler
  • Ivy Levan: Trixie, die Platzanweiserin
Angesichts seines Stils ist Kenny Ortega, so widersprüchlich es sein mag, genau der Richtige für eine «The Rocky Horror Picture Show»-Neuverfilmung – und vollkommen der Falsche. Er ist insofern der Richtige, als dass er exakt erkannt hat, in welchem produktionstechnischen Kontext dieser Fernsehfilm entstanden ist – und da noch das Beste herausgeholt hat. «The Rocky Horror Picture Show: Let's Do the Time Warp Again» ist ein FOX-Fernsehfilm für die Primetime, bei dem früh klar war, dass hier keine Experimente gemacht werden dürfen. Also nehme man die Vorlage, verfilme sie nahezu textgetreu, ändere hier und da das Liedarrangement und zähme die brutaleren sowie die aufreizenden Momente. Ja. Toll. Wie soll da ein guter, eigenständiger Film bei herauskommen? Genau: Das ist nicht möglich. Ortega nahm diese miese Grundvoraussetzungen und entwarf «The Rocky Horror Picture Show: Let's Do the Time Warp Again» bewusst nicht etwa als 'echtes' Remake, sondern als Tribute. Als so etwas wie ein Cover-Album, das zum Bühnenjubiläum eines Interpreten herauskommt.

Von der Introsequenz abgesehen, blickt der Fernsehfilm recht starr auf seine Vorlage und traut sich nur sehr sporadisch, weit von ihr abzuweichen. Das Remake ist kleiner und zahmer, tobt seinen Drang, eigene Ideen zu haben, im von der Bühnenshow inspirieren Opening mit der Platzanweiserin aus sowie darin, die Figur des Transvestiten Dr. Frank N. Furter mit der transsexuellen Schauspielerin Laverne Cox zu besetzen. Was den markanten Song "Sweet Transvestite" ins sinnlos-absurde verdreht und theoretisch auch eine schädliche Vermischung zwei verschiedener Paar Schuhe anschieben könnte – wäre die Umsetzung halt nicht so Tribute-artig, wodurch der Akzent stärker auf dem reinen Gimmick liegt. "Eine Frau spielt einen Mann, der sich wie eine Frau kleidet, ja, wieso nicht, jede Rolle ist für alle offen", sagt das aus. Und da Cox den Part mit rauchiger Stimme und "Ich weiß, ich stöckle hier quasi durch eine Fan-Schulaufführung eines wegweisenden Films, aber, hey, ich hab Spaß"-Blick rockt … passt das schon!

«The Rocky Horror Picture Show: Let's Do the Time Warp Again» mutet unterm Strich an, als wäre der Film dazu gedacht, Werbung fürs Original zu machen oder Fans zwischen der X. und Y. Sichtung kurz die Geschmacksknospen sauber zu putzen und so wieder den Appetit anzuregen. Nur, dass Ortega diese undankbare Aufgabe nicht runterrattert. Durch den Film-im-Film-Kniff baut Ortega einige Momente der Zuschauerinteraktion ein, die für die Bühnenshow und Vorführungen des Originalfilms so typisch sind. Und generell wirkt diese unschuldige "Wir sind Fans, haben aber ein etwas jüngeres Publikum, also spielen wir «The Rocky Horror Picture Show» leicht harmloser nach"-Art in Ortegas Hand entwaffnend.

Auch dank dem verschnörkelt-sauberen Szenenbild sowie einigen liebevoll-offensichtlichen Referenzen auf das Original sowie die Kunstformen Musicaltheater und Kino kann ich «The Rocky Horror Picture Show: Let's Do the Time Warp Again» einfach nicht böse sein. Er ist halt zu niedlich und redlich-bemüht auf einmal dafür! Es ärgert mich nicht, dass es einen Film gibt, der stellenweise haarscharf daran vorbeischrammt, ein Shot-for-Shot-Remake zu sein, und der im Jahr 2016 Material entschärft hat, das seit 1975 eine stetig wachsende Fangemeinde hat. Ich grinse einfach kopfschüttelnd vor mich hin und denke: "Ja. Gut. Warum nicht."

Gleichzeitig ist Ortega gerade wegen dieser freundlich-warmen Knuffigkeit genau der Falsche. Schließlich ist «The Rocky Horror Picture Show» subversiv, mutig und feist. Wenn es überhaupt ein Remake geben muss, so sollte es eigentlich für das Heute das sein, was das Original für seine Zeit war. Es müsste die Vorlage viel freier interpretieren und es forscher an aktuelle Gegebenheiten anpassen – ohne dabei den kultigen Charakter des Films zu verraten. Ortega aber ist niemand, der Grenzen sprengt. Nur: Wenn es mit einem Fernsehfilm, der in dem Kontext entstanden ist, in dem «The Rocky Horror Picture Show: Let's Do the Time Warp Again» halt entworfen wurde, eh unmöglich ist – dann ist ein harmloses Remake mit einer kleinen Handvoll einprägsamer Ideen doch viel besser als ein völlig uncharakteristischer, überflüssiger Neuaufguss. Oder?

Dennoch wundere ich mich: Hätte der Film nicht allem zum Trotz nicht noch mehr Potential gehabt? Was, wenn Ortega durchweg seinen eigenen Stil intensiv durchgezogen hätte, statt ihn nach dem Vorspann leicht zurückzufahren? Andererseits: So wäre eventuell der entwaffnende Tribute-Gedanke schwächer ausgefallen … Ach, was weiß ich ... Geben wir uns einfach zufrieden. Denn so, wie er ist, ist «The Rocky Horror Picture Show: Let's Do the Time Warp Again» kein Ärgernis und ebenso wenig ein Fehlschlag mit Ansage. Sondern ein harmloses Kuriosum im «The Rocky Horror Picture Show»-Geschichtsbuch. Insofern: Danke, Kenny Ortega. Glaub ich … Aber, auf jeden Fall: Auf deinen nächsten, hoffentlich wieder markanteren Film!
26.03.2018 20:18 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/99922