Facts zum Podcast-Nutzungsverhalten
- Audionutzung im Internet: 65% (+11 ggü. 2016)
- Audio-Podcasts: 13% (+2)
- Nutzung 14- bis 29-Jährige: 27% (+4)
- Nutzung 30- bis 49-Jährige: 16%
- Nutzung bei Männern: 17%
- Nutzung bei Frauen: 9%
Basis: Frage nach Nutzung "zumindest selten", Deutschspr. Bevölkerung ab 14 Jahren, Quelle: ARD/ZDF Onlinestudie 2017
So ganz muss diese Gleichung im Jahr 2018 nicht mehr stimmen: Immer öfter vertreiben sich die Menschen ihre Zeit mit Podcasts statt mit Musik. Mit Gesprächsformaten also, die mal länger und mal kürzer über mal weniger, mal mehr aktuelle Themen sprechen. Sie informieren, ordnen ein, machen Meinung, mal informell und lustig, mal formell und ernst. Kurz gesagt: Podcasts sind ein extrem vielfältiges Medium, das die Geschmäcker vieler Gesellschaftsschichten trifft. Aber besonders von jungen Menschen: Mehr als zwei Drittel, so eine Studie des ARD-Vermarkters AS&S, sind maximal 49 Jahre alt. Über neun Millionen Menschen hören Podcasts, 39 Millionen kennen das Medium Podcast – das Potenzial ist also noch lange nicht ausgeschöpft. Vor allem aber ist ein Trend erkennbar: Vor fünf Jahren lag der Anteil der Podcast-Nutzer in der Bevölkerung gerade einmal bei rund zwei Millionen. Seitdem ist ein kontinuierliches Wachstum der Hörerschaft erkennbar.
Das liegt auch an vielen Prominenten, die regelmäßig zum Gespräch bitten: Pioniere sind Jan Böhmermann und Olli Schulz, deren Format „Sanft & Sorgfältig“ zum Kult aufstieg. Dass es eigentlich eine Radiosendung war und nur als Podcast zweitverwertet wurde, war unerheblich: Erst als Podcast, überall und ständig verfügbar, schufen sich die Entertainer ihre Fan-Basis. Konsequent daher, dass das Format 2016 als Radiosendung eingestellt wurde: Schulz und Böhmermann wechselten exklusiv zu Spotify, wo der Podcast unter dem Titel „Fest & Flauschig“ seitdem exklusiv läuft. Ihnen folgten zahlreiche weitere Promis wie: Katrin Bauerfeind, Joko Winterscheidt, Micky Beisenherz, Sarah Kuttner, Heinz Strunk, Stermann und Grissemann, Denis Scheck und Casper. Viele andere sind bereits dabei, viele weitere werden noch dazukommen.
Oft sind die Podcasts exklusiver Content eines Anbieters wie Spotify oder Audible und damit auch potenzielle Inhalte, für die bezahlt werden muss. Podcast-Veteranen wie Tim Pritlove sehen die Entwicklung daher auch kritisch. Der Produzent und Moderator von Formaten wie «Logbuch:Netzpolitik» sagte 2016 im Gespräch mit „Basicthinking.de“: „Alle möchten, dass das alles nur über ihre App zugänglich ist. Aber in dem Moment, in dem alles an einem einzigen Anbieter hängt, gelten nur noch dessen Regeln und Interessen. Dann gibt es keine generelle Entwicklung mehr. Das ist das schlimmste, was dem Podcasting passieren könnte.“ Pritlove fürchtet, dass so die Innovationskraft des Mediums verloren geht. Nur ein offener Standard bringt die Vielfalt des Mediums zur Geltung.
Ob diese ideelle Sichtweise zukunftsfähig ist? Im heutigen Medien-Zeitalter ist Exklusivität Trumpf – große Player bauen ihre gesamten Geschäftsmodelle darauf auf. Wenn also Spotify exklusive Podcasts veröffentlicht, bindet das Kunden an die Marke – genauso wie es Serien wie «Stranger Things» für Netflix tun. Dass viele Kunden für bislang noch kostenlose Podcast-Inhalte zahlen, ist nicht mehr unrealistisch. Zumindest aber schaffte Spotify durch umfangreiche Marketing-Aktivitäten – vor allem für „Fest & Flauschig“ – neue Aufmerksamkeit für das Medium, das sich so neuen Zielgruppen erschloss.
Podcasts transportieren Persönlichkeit
Und im Schlepptau auch neue Produzenten auf den Plan rief: Keine große Medienmarke kann es sich heute mehr erlauben, ohne Podcast dazustehen. Und fast alle – darunter auch „Der Spiegel“ oder „Die Zeit“ – haben diese Zeichen der Zeit erkannt. Für Redaktionen ist das Medium ein echter Glücksfall: Erstens ist ein Podcast vergleichsweise unaufwändig und günstig zu produzieren. Zweitens stärkt er die Markentreue der Kunden, da die Podcasts Persönlichkeit transportieren. Dort, wo die Kunden also ansonsten Texte lesen und sich informieren, bekommen sie Meinung, Stimme – und Stimmung. Die Redakteure oder Content-Produzenten werden hörbar und erlebbar. Die Podcast-Macher werden so im Idealfall zu exklusiven Content-Lieferanten für die Medienmarke – so ähnlich wie es exklusive Serien bei Netflix sind.
Dass viele Anbieter den Trend nicht früher erkannt haben, ist angesichts dieser Kosten/Nutzen-Rechnung verwunderlich. Nur die öffentlich-rechtlichen Angebote haben jahrelang die Fahne hochgehalten – mit zahlreichen Sendungen und Schnipseln aus Radio und TV, die als Podcast zweitverwertet wurden. Die Öffentlich-Rechtlichen und die zahlreichen Hobby-Podcastler überbrückten die Durstrecke, die das Medium seit einigen Jahren durchgemacht hatte. Mitte der 2000er erlebte es mit der Apple-Software iTunes eine erste Trendwelle und Anfangseuphorie durch die neuen Möglichkeiten des Mediums.
Der neue Podcast-Trend seit 2017 ist gekennzeichnet von einer Diversifizierung des Angebots, einer Professionalisierung, zahlreichen neuen Content-Lieferanten und von Exklusivität: Mit öffentlichkeitswirksamen und massenkompatiblen Themen mischen beispielsweise Formate über Sex, Self-Improvement oder Business die Szene auf. Die großen Formate sind professionell produziert, in der Qualität von Radiosendungen – dies erleichtert den Zugang zum Medium für viele User. Die neuen Content-Lieferanten, das sind nicht nur große Medienmarken, sondern auch leidenschaftliche Freunde des Mediums. Sarah Koenig zum Beispiel, die Macherin des Podcast-Phänomens «Serial», einer journalistischen, im Erzählstil gehaltenen Reportage über einen Highschool-Mord. Dieser Podcast verschob die Grenzen des Mediums und machte deutlich, wozu es fähig ist.
Vielleicht wird man über die Bedeutung von «Serial» für das Medium Podcast in ein paar Jahren so sprechen wie über «Twin Peaks» bei Serien. In jedem Fall mischte Koenig die Podcast-Landschaft in den USA nachhaltig auf und etablierte das Medium dort im Mainstream. Ob der Durchbruch auch in Deutschland als nachhaltiges Mainstream-Medium aber gelingt, hängt von der wirtschaftlichen Perspektive ab. Werbekunden haben den Podcast als Medium hierzulande noch kaum entdeckt. Viele Formate werden von treuen Hörern über Spenden finanziert; bei manchen Podcast-Teams kommen so mehrere hundert bis tausend Euro monatlich zusammen. Andere Formate werden von Spotify und Audible gegenfinanziert, um die eigene Marke zu stärken.
Ob das großartige «Serial» auch dort hätte entstehen können? Die Vision eines offenen und innovationsstarken Mediums von Podcast-Pionier Tim Pritlove scheint mit solchen Geschäftsmodellen jedenfalls schwer vereinbar. Die Vision lässt sich aber auch wie eine Botschaft lesen an alle leidenschaftlichen Podcaster, nicht hinter einem Anbieter oder einer Paywall zu verschwinden.
In dieser Hinsicht wird 2018 ein entscheidendes Jahr für das Podcast-Medium, wieder einmal.
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