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Für alle, die «Avengers | Infinity War» noch nicht gesehen haben und dennoch wert darauf legen, dieses Kinospektakel unvoreingenommen zu sehen, erfolgt nun die letzte Gelegenheit, diese Kolumne fluchtartig wegzuklicken. Denn es ist mir unmöglich, meine Frustration mit diversen Kritiken an diesem Milliarden-Dollar-Megahit auszudrücken, ohne das, wie ich finde überaus sehenswerte, Ende vorwegzunehmen. Und das wäre ja ein dicker, fetter Spoiler.
Der dritte große «Avengers»-Leinwandeinsatz mündet darin, dass unsere Leinwandhelden eine Niederlage (film-)historischen Ausmaßes hinnehmen müssen. Den ganzen Film über haben sie versucht, den Titanen Thanos davon abzuhalten, an sämtliche Infinity Steine zu gelangen, da sie es ihm ermöglichen würden, mit einem einzelnen Fingerschnippen die Hälfte des Universums auszulöschen. In einer Gänsehaut-Schlusspassage sehen wir, wie nach Thanos' Schnippser mehrere unserer Helden zu Asche und Staub zerfallen, darunter Bucky Barnes (alias Winter Soldier/Weißer Wolf), das intelligente Baumwesen Groot, Benedict Cumberbatchs Rolle des mystischen Doctor Strange und Überblockbuster-Protagonist Black Panther sowie der stets populäre Spider-Man. Thanos teleportiert sich getaner Dinge hinfort und schaut sich mit gedämpft-glücklichem Lächeln auf einer Farm den Sonnenaufgang an.
Ein unglaublich konsequentes Filmende. Nachdem die Regisseure Joe & Anthony Russo sowie das Autorenduo Christopher Markus & Stephen McFeely den actionreichen Film damit verbracht haben, Thanos' Plan zu begründen und den lilafarbenen Hünen als ebenso verbissen und zielstrebig wie mächtig darzustellen, ziehen sie keine einfache Letzte-Sekunde-Lösung aus dem Hut. Sie lassen den Widersacher der Avengers siegreich davonkommen. Für sich genommen ist «Avengers | Infinity War» also schon einmal mutiger und erzählerisch ausgereifter als etwa «Thor – The Dark Kingdom», «Wonder Woman», «Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind» oder viele, viele andere Popcorn-Filme, die sich zwecks Happy End gegen Schluss eine sehr bequeme Siegestaktik gegen den Hauptschurken aus der Nase ziehen.
Darüber hinaus ist es eine gepfefferte Überraschung, die für wahrlich magische Kinomomente im Sinne des kommunalen Filmerlebnisses sorgt. Ich bezweifle jedenfalls, dass ich der Einzige bin, der «Avengers | Infinity War» in einem nahezu vollen Saal mit unwissendem Publikum gesehen hat, und zu hören bekam, wie nach und nach die weiteren Besucherinnen und Besucher vom Glauben abfallen. Fassungslose "Was?!"- und erschütterte "Oh nein!"-Ausrufe, gefolgt von bedächtigem Schweigen und besonnen-ruhigem Sitzenbleiben beim Abspann – das hat das Blockbusterkino selten zu bieten. Und noch seltener ist es, dass ein gegen die Erwartungen schießender Film dieser Größenordnung anschließend nicht im Internet für lodernden Fantumult und Morddrohungen gegen die Filmschaffenden sorgt, sondern vom Kernpublikum als gut gemachte Erzählung akzeptiert wird.
Wieso also rümpfen dann manche Kolleginnen und Kollegen dann verächtlich die Nase und nennen das Ende von «Avengers | Infinity War» eine lahme Pointe, ein schlaffes Ringen um Aufmerksamkeit oder eine riesige Luftnummer, was wiederum ihren Gesamteindruck dieses Films schmälert? Nun, die Antwort liefern sie sogleich mit: Viele, die «Avengers | Infinity War» schwach finden, erklären dies damit, dass "der nächste «Avengers»-Film das alles ja sowieso rückgängig macht, also ist das Ende ja völlig umsonst."
Zweifelsohne: Der Gedanke, dass die Marvel Studios einige der Tode aus «Avengers | Infinity War» rückgängig machen wird, ist nachvollziehbar. In der Welt der Comics bleibt kaum ein Tod permanent und es ist unwahrscheinlich, dass die Marvel Studios nach dem 1,3-Milliarden-Dollar-Erfolg von «Black Panther» auf einen weiteren Film mit Chadwick Boseman in der Rolle T'Challas verzichten wollen. Trotzdem: Noch ist "Alle, die in «Avengers | Infinity War» sterben, werden wiederbelebt" eine bloße Mutmaßung – und wiegt die tatsächlich die oben genannten Pro-Argumente für den Film auf?
Zumal sich die Frage stellt, wo wir denn hinkommen, wenn man die Logik derer, die «Avengers | Infinity War» wegen der Vermutung abwertet, dass ein kommender Film die dramatische Schwere von Thanos' Sieg null und nichtig machen könnte, mit strenger Konsequenz weiterdenkt. Wenn es wirklich zu einem veritablen Argument wird, Filme aufgrund der Theorien bezüglich etwaiger Fortsetzungen auf- oder abzuwerten, dann hat sich die Filmkritik womöglich ihren endgültigen Todesstoß versetzt. Zumindest aber würde sie ganz neue, absurde Formen annehmen.
Was würden wir von einem Filmkritiker halten, der 1977 «Krieg der Sterne» negativ besprochen hätte, weil er fürchtet, dass diese Weltraumoper unter anderem mit schwachen Prequels und einem sehr kontroversen Sequel fortgeführt wird, welches groß tönt, neue Wege zu beschreiten, schlussendlich aber kaum Mumm in den Knochen hat? Nun gut, wir würden ihn als Propheten sehen – dennoch würde seine Ablehnung des Originalfilms mehr über seine Gedanken darüber aussagen, was er für die Zukunft der «Star Wars»-Saga vorhersieht. Und weniger über den eigentlichen Film.
Und um weniger überzogene Vergleiche heranzuziehen: Jede Menge Filme werden von Hollywood als Anfang möglicher Reihen entworfen. Aber wie sinn- und witzlos wären meine Kritiken denn bitteschön, wenn ich einen packenden Film in der Luft zerreiße, weil er keinen fruchtbaren Boden für eine Fortsetzung darstellt, ich aber befürchte, dass er dennoch eine erhält und ich die dann sicher bescheuert finden werde? Beschimpfe ich in Restaurants dann künftig auch die Bedienung, wenn ich mutmaße, dass der mir noch nicht servierte Hauptgang nach der bereits verzehrten, hervorragenden Hauptspeise mit Sicherheit enttäuschen wird?
Es ist dabei so, so simpel: Wem das Ende von «Avengers | Infinity War» gefällt, und die Befürchtung eines den Reset-Knopf drückenden nächsten «Avengers»-Films missfällt, dem gefällt doch das, was er zu sehen bekam. Der ärgerliche Film ist in dem Fall doch ganz klar der noch unbetitelte «Avengers 4», sollte er tatsächlich mit halbseidenen Tricks die Ereignisse seines Vorgängers rückgängig machen. Der Film verdient dann die Schelte, nicht «Avengers | Infinity War», der sich eben nicht in letzter Sekunde um einen jegliche Fallhöhe mindernden Ausweg gekümmert hat.
Und was passiert bitteschön im Falle, dass Marvel eben nicht alles rückgängig macht und die unvermeidlichen Fortsetzungen von «Black Panther» und «Spider-Man: Homecoming» davon handeln, wie die Verbliebenen mit dem Verlust ihrer Liebsten umgehen? Ich bezweifle sehr, dass daraufhin einige «Avengers | Infinity War»-Re-Reviews auftauchen werden, in denen die Bewertung nach oben korrigiert wird. «Avengers | Infinity War» für sich zu nehmen und den Film, der das von Thanos ausgelöste Massensterben mit idiotischen Tricksereien auslöscht negativ zu besprechen, ist dagegen ganz einfach, verständlich und nachvollziehbar.
So werde ich jedenfalls vorgehen – wenn die Marvel Studios zurückpaddeln, werde ich das Zurückpaddeln bewerten. Vielleicht gefällt es mir, vielleicht ist es auch nervig, die Dramatik des Marvel Cinematic Universe schwächend und kitschig. Das wird sich zeigen. Die Qualität der Lösung, wenn es denn eine gibt, beurteile ich, wenn ich sie sehe. Das finde ich stimmiger, als jetzt schon meine Hoffnungen oder Befürchtungen bezüglich kommender Filme auf dem Rücken von «Avengers | Infinity War» auszutragen.
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