Hingeschaut

«Live nach Neun»: Das Erste hat jetzt ein «Frühstücksfernsehen»

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Ein bisschen Vintage, ein bisschen Plauderrunde. «Live nach Neun» ist gutlauniges Nebenbei-Fernsehen. Aber: Hätte da nicht auch «Volle Kanne» gereicht?

Das sind die drei Moderatoren-Teams der neuen Sendung

  • Isabel Varell und Tim Schreder
  • Birgit Lechtermann und Marc Weide
  • Alina Stiegler und Heinrich Schafmeister (stoßen aber erst in einigen Wochen hinzu)
Wenn Prinz Harry am Wochenende seine Meghan heiratet, dann wird die royale Zeremonie in Deutschland vom ZDF übertragen. Das Erste wird an Pfingstsamstag Serien und Filme wiederholen und nachmittags das Pokalfinale der Frauen übertragen. Aus gutem Grund. Eigentlich wollen sich ARD und ZDF besser abstimmen, um dem Publikum keine Doubletten mehr zu präsentieren. Und dennoch ist am Montag im Ersten als Konkurrenz zum seit Jahren um 9.05 Uhr etablierten ZDF-Format «Volle Kanne» ein grundsätzlich ähnlich gelagertes Vormittags-Magazin namens «Live nach Neun» gestartet. Nicht nur das ZDF runzelte da in den vergangenen Wochen die Stirn, auch die weiteren ARD-Magazine (namentlich «Morgenmagazin» bis neun Uhr und das ab 12.15 Uhr laufende «ARD-Büffet») hatten minimale bis größere Sorgen, sich thementechnisch künftig auf die Füße zu treten.

Der produzierende WDR wiegelte schnell ab, präsentierte sein Konzept und machte deutlich, dass die neue Show vor allem regionale Aspekte, denen sich die ARD grundsätzlich verpflichtet fühlt, in den Fokus rücken wolle. Das passierte in der Auftaktsendung zumindest in Teilen, wenngleich der regionale Aspekt angesichts der Bedeutung wohl eher ein nationaler war. Wenn man so will, war es der Abstieg des Hamburger Sportvereins in die zweite Fußball-Bundesliga, der von regionalem Belang war. Zugleich war dies auch das Thema der Sendung, das fast parallel noch auf zwei weiteren Sendern behandelt wurde. Etwas später auch im Vormittags-Magazin des ZDF und fast zeitgleich im «Sat.1-Frühstücksfernsehen». Der WDR wird genau das bemerkt haben, darf man doch annehmen, dass man sich in Düsseldorf, wo die neue Sendung des Ersten entsteht, in den zurückliegenden Wochen das Sat.1-Format das ein oder andere Mal angeschaut hat.

Denn: Die ähnliche Anmutung des neuen ARD-Programms dürfte nicht von ungefähr kommen. Das Moderatoren-Pärchen – diesmal Isabel Varell und Tim Schreder – begrüßen die Zuschauer aus einem Set, das perfekt vom „Schöner Wohnen“-Cover grüßen könnte. Eine schicke Kommode, eine moderne Couch, etwas Grünzeug im Hintergrund – und: Eine goldene Badewanne. Ja, etwas ausgefallen darf es sein. Mobile Schulterkameras sollen, ganz wie morgens in Sat.1, für eine bewegliche Bildsprache sorgen. Die Studioparts sind das zentrale Element der Show – und zugleich auch eines der Unterscheidungsmerkmale gegenüber «Volle Kanne». Während Nadine Krüger im ZDF alleine moderiert, agieren im Ersten zwei Moderatoren auf Augenhöhe.

Sie plaudern recht frei von der Leber, geben sich aber doch Mühe, die am Reißbrett entworfenen Grundideen zu vermitteln. So wissen wir jetzt, dass Tim Schreders Mama, mit der er direkt nach der Sendung zum Essen geht, weil sie nahe des Studios wohnt, in etwa so alt ist wie Isabel Varell. Es ist das Konzept, dass das Moderatorenpaar quasi aus zwei Generationen besteht. Mutti und Söhnchen, wenn man es überspitzt formulieren will, sollen zwei Sichtweisen auf aktuelle (und regionale!) Themen werfen. So ist es auch kein Zufall, das Schreder, den man bisher vor allem aus dem Kinderfernsehen kannte, von Instagram redet und Social-Media-Beiträge zum HSV-Abstieg vorliest.

Varell derweil durfte gleich zum Beginn der Sendung die Studio-Deko um einen Strauß roter Rosen bereichern. Ja, es war Absicht. Noch bis Freitag kamen Hausfrauen und andere, die morgens um kurz nach neun gern Das Erste angewählt haben, in den Genuss der täglichen Familienserie. Man dürfe ohne Sorge sein, die Serie werde es auf dem Hauptsendeplatz noch 100 Jahre geben, versprach Varell, die lustiger Weise früher selbst mal Hauptdarstellerin des Formats war – und alle die, die die Serie verpassen, könnten ja auf die Mediathek zurückgreifen. Das wäre eigentlich ein Thema für den Schroeder gewesen. Der aber fuhr lieber mit einem netten Fahrrad durch die Kulisse. Warum, das weiß zu diesem Zeitpunkt keiner. Aber: Auch nicht alles, was im Studio des «Sat.1 Frühstücksfernsehen» passiert, macht immer Sinn. Hauptsache die gute Laune stimmt.

Das ist der Fall. Die meiste Zeit der rund 50 Minuten ist «Live nach Neun» eine gut und nett nebenbei zu konsumierende Kost – ein unauffälliger Begleiter in den Stuben, wenn sonst keiner da ist. Da wird über das Wetter geredet und nochmal kurz der beachtliche Erfolg des «ESC» betrachtet (übrigens via moderner Skype-Schalte). Was fehlte, waren in der Tat die regionalen Geschichten, ein kurzer Blick auf irgendwo in Deutschland stattfindende Bundesjugendspiele mit zwei, drei Worten sportelnder Kids mal ausgenommen. Regionales ploppte quasi nur mal ganz kurz auf, als man zu Beginn der Sendung unter dem Oberpunkt „Neuanfang“ eine junge Lehrerin vorstellte und den Betrag sehr modisch mit diversen Emojis verzierte. Herausstechend aus dem Themenfeld war derweil ein Fußballbeitrag: Im Fokus stand dabei ein 12-jähriger Junge, der am Asperger-Syndrom leidet. Seit einigen Jahren befindet sich Jason auf der Suche nach einem Lieblings-Fußball-Verein, hatte seinem Papa aber schnell klar gemacht, dass man erst viele Vereine gesehen haben muss, um sich zu entscheiden. Und so ziehen Papa und Sohn von Stadion und Stadion. Jasons Ansprüche sind hoch. Die Mannschaft, die er während des Drehs sieht, habe sich vor dem Spiel angefasst. Mit Anfassen hat er es nicht so – sie hat also schlechte Karten. Und auch Teams, die gerne 0:0 zu spielen, sind schnell raus. Ein Fußballspiel sollte eben nicht 0:0 enden. «Live nach Neun» zeigt Autismus hier nicht unter negativen Gesichtspunkten, sondern als spezielles Verhalten, das auch Vorteile mit sich bringen kann.

Und «Volle Kanne», das seit Jahren existierende ZDF-Magazin für all diejenigen, die vormittags daheim televisoniäre Unterhaltung brauchen? Nadine Krüger hatte sich unter anderen TV-Koch Alexander Herrmann eingeladen, der über seine Erfahrungen in der VOX-Show «Kitchen Impossible» plauderte. Zudem gab es eine längere MAZ rund um die Motrorsportverrückten in der Eiffel, die am Wochenende dem 24-Stunden-Rennen am Nürburgring beiwohnten. Probleme bei der Kinderbetreuungen wurden ebenso behandelt wie eben das jüngste Geschehen der Bundesliga.

So berechtigt die Frage, ob die Welt «Live nach Neun» nun wirklich gebraucht hätte, so nutzlos ist sie aber auch. Denn man darf in der Tat fragen, ob man in Zeiten steigender Mediatheken-Nutzung von der ARD nicht mehr erwarten darf, als morgens zwischen neun und kurz vor elf Telenovelas zu wiederholen. «Live nach Neun» scheint bei ähnlichen Themen den etwas frischeren Ansatz zu wählen, als die ZDF-Konkurrenz. Und hier dürfte letztlich auch die Spannung liegen. Wird sich der klassische oder der hippe Ansatz durchsetzen oder werden sich die beiden Konkurrenten mittelfristig annähern?

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