Die Handlung
Filmfacts: «Shock Treatment»
- Regie: Jim Sharman
- Produktion: Lou Adler, Michael White
- Drehbuch: Jim Sharman, Richard O'Brien; mit Ideen von Brian Thomson
- Darsteller: Jessica Harper, Cliff De Young, Richard O'Brien, Patricia Quinn, Little Nell, Charles Gray, Barry Humphries
- Musik: Richard Hartley
- Songs: Richard O'Brien
- Kamera: Mike Molloy
- Schnitt: Richard Bedford
- Veröffentlichungsjahr: 1981
- Laufzeit: 94 Minuten
- FSK: ab 12 Jahren
Das aus «The Rocky Horror Picture Show» bekannte Ehepaar Brad & Janet Majors kehrt in seine Heimatstadt Denton zurück, die völlig in der Hand des Großkonzerns FFFF liegt und zu einem überdimensionalen Fernsehstudio umfunktioniert wurde. Die Einwohner Dentons dienen Konzernchef Farley Flavors als Seriendarsteller, Showkandidaten, Moderatoren, Statisten, Fernsehcrew oder auch schlicht als Studiopublikum für die Produktionen seines Senders Denton Television.
Brad und Janet befinden sich zunächst lediglich im Studiopublikum, aber dann werden sie ausgewählt, um in der Spielshow «Marriage Maze» teilzunehmen. Während Janet begeistert auf das Scheinwerferlicht reagiert, ist Brad eher ein Sauertopf, womit er sich die Antipathie des exzentrischen, blinden Moderators Bert Schnick einfängt. In «Marriage Maze» gewinnt der laut Janet viel zu passive Brad einen Aufenthalt in «Dentonvale», Dentons örtlicher Nervenheilanstalt, die vom inzestuöse Vibes abgebenden Geschwisterpaar Cosmo & Nation McKinley geleitet wird und den Mittelpunkt einer dokumentarischen Seifenoper darstellt. Bert Schnick und die McKinleys versprechen, den unkooperativen Brad zu 'reparieren'. Währenddessen erhält Janet aufgrund ihres souveränen Fernsehauftritts das Angebot, eine Karriere als Showdiva und Sängerin einzuschlagen …
Die 6 glorreichen Aspekte
Richard O'Briens und Jim Sharmans obskurer «The Rocky Horror Picture Show»-Nachfolger wird von Teilen der Fanbase des fabelhaften Kultmusicals mit Missachtung gestraft. Aber sofern man keine direkte Fortsetzung erwartet, die vollauf in die Fußstapfen des wilden 70er-Jahre-Streifen tritt, hat «Shock Treatment» sehr wohl allerhand zu bieten. Sobald man sich auf ein andersartiges Filmmusical einlässt, das bloß ein paar stilistische und inhaltliche Rückverweise gen «Rocky Horror» aufweist, bekommt man eine denkwürdig-sonderbare Auseinandersetzung mit der Gier nach Ruhm und der verführerischen Wirkung des Fernsehens präsentiert.
Einer surrealen Traumlogik folgend ist «Shock Treatment» ein noch fieberhafteres Erlebnis als «The Rocky Horror Picture Show» und lässt sein Publikum immer tiefer in eine überhöht skizzierte, satirisch-verrücktee Welt absteigen, in der mediale Machtverhältnisse mit beißender Direktheit erkenntlich werden. Jedenfalls für uns als Betrachtende. Denn die Protagonisten in «Shock Treatment» sind noch blinder als wir reale Medienkonsumenten und lassen sich zu Schachfiguren im durch wirtschaftliche und persönliche Interessen beeinflussten Handeln von Firmenbossen machen, die die Medien steuern. Manche Leute lassen sich willentlich lenken, so wie Janet, andere werden widerwillig in das Spiel hineingezogen und sind aufgrund ihres Unwillens nahezu ohnmächtig, wenn es darum geht, sich zu wehren.
«Shock Treatment» ist als Produktion aus dem Jahr 1981 zudem dahingehend faszinierend, als dass er die Welle an Selbstdarstellung vorhergesehen hat, die erst später durch das Reality-Fernsehen aufkommen sollte. Und gewissermaßen greift «Shock Treatment» auch den modernen Medien vorweg, sind in Zeiten der digitalen Kommunikation doch nunmehr wirklich (fast) alle sowohl Publikum als auch Figuren in ihrer eigenen multimedialen Show – und manche lassen sich wie einige der Randfiguren von «Shock Treatment» auch mit großer Freude zu Werbefiguren zweckentfremden.
Aller Medienkritik zum Trotz ist «Shock Treatment» allerdings kein schwerfälliger Film, der seine Botschaft wie eine Brechstange einsetzt – die Seitenhiebe auf Fernsehirrsinn und von Ruhmgier induziertem Wahn werden zumeist in Form süffisant-launiger Gags eingesetzt. Darüber hinaus werden sie von Regisseur Jim Sharman und seinem Produktionsdesigner Brian Thomson dekonstruiert und als Teil der surrealen, exzentrischen Gestaltung dieses Films umgesetzt: «Shock Treatment» ist eine vor minimalistischen, schrägen Kulissen und Schauplätzen geradezu berstende Produktion, und Kameramann Mike Molloy weiß, sie mit einprägsamen Style einzufangen.
So zählt der Song "Looking for Trade" zu den Höhepunkten des Films: Albtraumhaft werden in monochromatischen Bildern Brads und Janets entgegengesetzte Sehnsüchte besungen, während Janet-Darstellerin Jessica Harper als verlorene Femme fatale durch die Denton-Sets schlendert und sich Brad in seiner Zelle windet. Genrell ist die aus «Suspiria» und diversen weiteren Kultklassikern bekannte Harper mit ihrer rauchigen Stimme und ihrem Talent, gleichzeitig ebenso verrucht wie naiv dreinzublicken eines der Asse im Ärmel von «Shock Treatment». Aber auch die Songs sind, selbst wenn sie nur gelegentlich so schwungvoll-eingängig sind wie die bei aller Exzentrik noch immer zugänglichen «Rocky Horror»-Lieder, ein großer Pluspunkt des Films. Denn O'Brien gelingt es in mehreren Stücken dieses Musicals, eine komplexe Tonalität in kernige Melodien zu packen: Lieder wie "Looking for Trade" oder "Lullaby" sind melancholisch, düster und humorvoll zugleich, "Bitchin' in the Kitchen" wiederum ist voller Gags und drückt dennoch die Hilflosigkeit des verliebten, trotzdem unglücklichen Ehepaars Majors aus und "Me of Me" beispielsweise ist ein befreiender Rocksong mit dramatischem doppelten Boden.
«Shock Treatment» wird wohl niemals auch nur halb so viel Popularität wie sein Vorläufer erreichen, dennoch ist dieses Musical aus den genannten Gründen allen experimentierfreudigen Genrefans wärmstens ans Herz gelegt – sowie allen, die für kurios-surreale Mediensatiren zu haben sind.
«Shock Treatment» ist auf DVD erhältlich.
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