Felix Wesseler, Director of Operations bei filmpool und u.a. für den internationalen Vertrieb von Formaten und Konzepten der Kölner Produktionsfirma verantwortlich, kennt Osteuropa bestens. Seit Jahren ist filmpool in diesen Märkten sehr aktiv. «Verklag‘ mich doch!», «Verdachtsfälle», «Familien im Brennpunkt» und sogar eine lokale Variante von «Berlin – Tag & Nacht» hat filmpool nach Russland verkauft. „Ich habe nicht viele enge Freunde in der Medienszene. In Russland habe ich solche gefunden“, schwärmt Wesseler von der großen Gastfreundschaft der Russen. Neben deutlichen Unterschieden beider Länder sieht er vor allem auch die Gemeinsamkeiten. Die Daytime etwa in Russland sei recht ähnlich strukturiert wie in Deutschland.
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Wir müssen beispielsweise beachten, dass eine Mutter in Russland für ihr Kind selbstverständlich auch dann noch lügen würde, wenn sonst heraus käme, dass es ein Mörder ist. In Deutschland wäre das hingegen zumindest eine moralische Frage, mit der man dramaturgisch arbeiten könnte
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Felix Wesseler (filmpool) über nötige Änderungen an Büchern bei der Adaption deutscher Scripted Reality nach Russland
[img][/img]Vergleichbare Anpassungen musste filmpool auch vornehmen, als man beim Sender REN TV eine Adaption von «Berlin – Tag & Nacht» startete – quasi «Moskau – Tag & Nacht». Die in der Late-Prime gezeigte Sendung erzählte basierend auf den deutschen Geschichten mit russischen Figuren, jedoch stieß filmpool auch an Grenzen - lesbische Liebe konnte etwa aufgrund der Gesetzgebung nicht thematisiert werden. Anfang 2015 gestartet, war die Serie allerdings schnell wieder verschwunden. Das hatte vor allem senderinterne Gründe. Kurz vor dem Start der täglichen Serie wurde das Sendermanagement getauscht und einhergehend auch die inhaltliche Ausrichtung von REN TV geändert. Anstatt Frauen von jung bis zum besten Alter im Blick zu haben, lag der Fokus plötzlich auf Männern. Und für die war eine Soap wie «Moskau – Tag & Nacht» nicht mehr passend.
Inhaltlich hatte sich derweil schon die Frage gestellt, ob Moskau wirklich der richtige Ort für die Serie war. „In Moskau merkt man oft, dass Russland zwischen Asien und Europa liegt. Wenn wir in Moskau in Originalmotiven drehen, beispielsweise für «Verdachtsfälle», sieht man viele klischeehafte Wohnungen. Da hängen blaue Ornamente als Tapete an der Wand, es stehen überall Holzfigürchen. Anders ist das zum Beispiel in Polen. Wenn wir da in Wohnungen drehen, könnte man im Hinblick auf die Inneneinrichtung auch denken, wir seien gerade in Hürth bei Köln.“ Moskau sei abseits der verspielten Wohnungen aber ein sehr hartes Pflaster. „In einer Serie wie «Berlin – Tag & Nacht» geht es stark um Selbstverwirklichung. Unsere Figuren versuchen, ihre Träume wahr werden zu lassen. Das ist in Moskau weitaus schwerer umzusetzen.“ Die russische Hafenstadt St. Petersburg – immerhin knapp fünf Millionen Einwohner – sei da schon anders, auch von den Einwohnern her gefühlt liberaler. „«Berlin – Tag & Nacht» drehen wir hauptsächlich im Friedrichshain oder Kreuzberg.“ Und damit könne man letztlich eher Teile von St. Petersburg vergleichen.
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St. Petersburg ist europäischer und vielleicht auch infrastrukturell nicht so problematisch.
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Felix Wesseler (filmpool) über die Hafenstadt St. Petersburg im Vergleich zu Moskau
Aber es gibt durchaus auch Probleme. «Verdachtsfälle» und «Familien im Brennpunkt» werden aktuell nicht produziert, es laufen nur Wiederholungen beim kleineren TV3. Den Sendern fällt es schwerer, die nötigen Lizenzgebühren für neue Produktionen aufzubringen, die Wirtschaft stagniert. Früher wurden russische Folgen von «Verdachtsfälle» etwa auch in die Ukraine verkauft – so wurde zusätzlich Geld eingenommen. Seit der russischen Annexion der Krim ist das vorbei. Russisches Fernsehen ist in Haushalten in der Ukraine seitdem undenkbar. Das Nachbarland hat daher 2015 ein eigenes – bis heute sehr erfolgreiches - «Kiew - Tag & Nacht» bekommen.
In einigen Punkten, findet Wesseler, sei der russische TV-Markt dem deutschen sogar voraus. Etwa im Genre Mystery, für das es in Russland einen größeren eigenen Sender gibt. Da filmpool zuletzt für TLC eine wöchentliche Mystery-Serie startete, hat filmpool gerade Erfahrung in dem Bereich gesammelt. „Das ist ein großer Markt, wie man in Russland schon recht früh erkannt hat.“
Eigenentwickeltes russisches Show-Fernsehen sei – im Gegensatz zu lokalen Adaptionen wie Top-Models - hingegen oftmals blumiger, märchenhafter und vielleicht sogar theatralischer. Besonders gut in Erinnerung geblieben ist Wesseler ein Show-Konzept des Sender NTV, «Ты супер!»- zu Deutsch „Du bist super!“ - „einer irren Mischung aus «Bitte melde dich» und «The Voice Kids»“. Im Mittelpunkt stehen Waisenkinder, die singen und von Coaches in vielen Bereichen unterstützt würden. Auch hier wieder erkennbar: Die massivere Fallhöhe. „Waisenkind in Russland zu sein ist noch einmal etwas anderes als hierzulande“, sagt Wesseler. Ob genau diese Show mal eine Chance in Deutschland haben wird, weiß Wesseler nicht so recht. Er aber ist überzeugt, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis auch große deutsche Sender russische Ideen – „immerhin aus dem sechstgrößten Fernsehmarkt der Welt!“ - einkaufen.
Der inzwischen wieder verschwundene Free-TV-Sender Das Vierte hatte sich einst an ein solches Projekt getraut und 35 Folgen der Sitcom «Papiny Dotschki» (deutscher Titel: «Ein Haus voller Töchter») umgesetzt. Quotentechnisch und inhaltlich war das Projekt aber ein Flop.
Im sportlichen Bereich erwartet Wesseler, dass Russland ein guter Gastgeber für die Fußball-Welt werde. „Die Welt schaut auf Russland. Das weiß man dort nicht nur, sondern ist bei aller Härte auch einfach ein sehr herzliches Volk - vielleicht gelingt den Russen ja sogar ein eigenes Sommermärchen 2018“, meint der Fernsehmacher.
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