«Zwei im falschen Film» ist selbstredend ein bewusster, beabsichtigter Fall eines cineastischen "Minus mal Minus ergibt Plus". Aber es gibt auch zahllose versehentliche Exempel. Wie den von Kurt Wimmer («Ultraviolet») verfassten Rachethriller «Gesetz der Rache», in dem irgendwo die Absicht einer Anti-Selbstjustizbotschaft steckt, der jedoch so krawallig geschrieben ist, den F. Gary Gray («Fast & Furious 8») so überbordend inszeniert und in dem Gerald "Das! Ist! Sparta!" Butler so aufgekratzt spielt, dass daraus eine Selbstjustizglorifizierung wird. Und dieser Unfall ist so energisch, dass es (in der richtigen Sehlaune) ungeheuerlichen Spaß macht.
Die RTL-II-Reihe «Es war einmal … auf Ibiza» hat auf dem Papier das Potential, ebenfalls was Gutes zu werden. Ob aus purer Kalkulation oder faszinierendem Misslingen. Das Konzept: Der sich zumeist mit anspruchslosen Realitys und Soaps wie «Berlin – Tag und Nacht» seine Sporen verdienende Privatsender will darin klassische Märchen (bei RTL II eher deplatziert, vor allem als Eigenproduktion) im Gewand sendertypischer Eigenproduktionen (was kein zu den Märchen passender Überbau ist) neu interpretieren.
Das kann eine wundervolle Selbstparodie werden. Anhand der altbekannten, intuitiven Märchenmotive könnte diese RedSeven-Produktion ein RTL-II-(Doku-)Soap-Klischee nach dem nächsten ins Absurde führen. Etwa in der Art des ersten «Scary Movie»-Teils, der versaute High-School-Komödie und Horrorfilm zu einer feisten Persiflage verformt. Und dann wäre da die Autounfall-Option: Was, wenn die Verantwortlichen glauben, das televisionäre Ei des Kolumbus gefunden zu haben und sich in eine hochdramatische, ambitionierte Produktion verrennen, der aber auf urkomische Weise das nötige Fundament dafür fehlt? Oder wenn die Hoffnung besteht, typisches Soapmaterial anhand von Märchenelementen zu romantisieren und fantastischer zu gestalten, was jedoch glorreich schief läuft?
So oder so: Es lohnt nicht, zu träumen, was hätte sein können. Denn gegen aller Wahrscheinlichkeit hat sich die Premierenausgabe des Formats, «Es war einmal … auf Ibiza: Schneewittchen und die sexy Seven», weder mit Absicht noch aus famoser Inkompetenz oder Selbstüberschätzung zu einem unterhaltsamen Stück TV-Kost gemausert. Stattdessen traf Option C ein. Minus mal Minus ergibt gähnend langweiliges Minus.
- © RTL II
Erzählt von der «Berlin – Tag und Nacht»- und «Köln 50667»-Figur Meike, die zudem mehr schlecht als recht in die Handlung eingebaut ist, dreht sich «Es war einmal … auf Ibiza: Schneewittchen und die sexy Seven» um die blasse, mit Haar wie Ebenholz und blutroten Lippen gesegnete Isa, die ihren Vater Rico und seine neue Frau Doro auf Ibiza besucht. Nach ellenlangen, von allen Beteiligten in einer verschlafenen Monotonie gespielten Szenen, die Patchworkfamilienzwist entstehen lassen, sabotiert Doro die Beziehung zwischen Isa und ihrer ersten großen Liebe Jordi. Also flieht Isa nach mehr als der Hälfte der 125 Minuten Bruttosendezeit auf die andere Seite Ibizas, wo sie einer schrillen Gruppe von Tänzerinnen und Tänzern namens Sexy Seven begegnet. Zusammen organisieren sie erfolgreiche Mottopartys, was Isas Stiefmutter auf den Plan ruft. Also vergiftet sie die gegen Äpfel allergische Isa mit Apfelpulver in ihrem Schnaps. Aber zum Glück ist Jordi in der Nähe, der Einzige, dem eine Idee gegen Lebensmittelvergiftung in den Sinn kommt.
In den über zwei Stunden «Es war einmal … auf Ibiza: Schneewittchen und die sexy Seven» (inklusive Werbung) geht viel Laufzeit dafür verloren, dass Meike in ihren Kommentaren bereits Gesagtes anders ausdrückt, Offensichtlichkeiten erklärt oder Charaktermotivation verbalisiert, die in den Spielszenen unklar bleibt. Diese Erzählkommentare sind allerdings dröge und geradlinig – eine bewusste Parodie schlechter Doku-Soap-Erzählstimmen sind sie keinesfalls und unfreiwillig komisch erst recht nicht. In den eigentlichen Spielszenen, die langsam ausplätschern und daher eindeutig einen strengeren Cutter gebraucht hätten, sind die spaßigen Elemente (ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt) wiederum so rar gesät wie verklemmt-züchtige Besucher im Touristenfallen-Szeneclub in Strandnähe.
Wenn bei einem Abendessen zwischen Isa, Rico und Doro etabliert wird, dass unser Schneewittchen-Pendant gegen Äpfel allergisch ist (was mit viel gutem Willen schonmal eine nette Referenz an die Vorlage ist), die Isa-Darstellerin im Wort "Apfelschnaps" jedoch mahnend die zweite Worthälfte betont (als sei sie schockiert, dass gerade Alkohol bestellt wurde), kommt ein Hauch von ungewolltem Entertainment auf. Die Idee, dass Doro keinen magischen Spiegel, sondern eine beste Freundin hat, mit der sie andauernd auf ihrem Tablet Videochats veranstaltet, geht in Richtung einer Märchenpersiflage im Ibiza-Soap-Kleid. Und dann wäre da die Schnittfolge beim romantischen Date Isas und Jordis: Das junge, verliebte Paar liegt nachts auf einem einsamen Strand und küsst sich eng umschlungen. Schnitt, ein einzelner, pinkfarbener Feuerwerkskörper poppt am Nachthimmel auf. Wer auch immer die Idee für diese Szenenfolge hatte, hat entweder einen fein-subversiven Sinn für Humor (beziehungsweise für Filmreferenzen auf eine Zeit, als Sexszenen assoziativ markiert werden mussten) oder war ein blindes Huhn, das ein Korn getroffen hat.
Doch sonst? Erzählerisch mäandernd (das Material hätte für eine normal lange Soapfolge gereicht), visuell wenig bemerkenswert (von ein paar vorzeigbaren Aufnahmen einer Glow-in-the-Dark-Party und Drohnenaufnahmen des belebten Strands abgesehen) und mit einem eintönig pumpenden Elektroscore untermalt, der den lahmen Dialogen wohl Leben einhauchen soll. Kurzum: Ein Nichts von einem TV-"Experiment". Als wäre eine abgelehnte Soapfolge aus seltsamen Gründen im Umfang gewachsen und dann in all ihrer unbeeindruckenden Ödnis auf Sendung gegangen.
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