Die Kino-Kritiker

«The Rider», oder: Das Märchen vom unkaputtbaren Cowboy

von

In ihrem Cowboy-Drama «The Rider» hinterfragt Regisseurin Chloé Zhao nicht bloß Männlichkeitsideale, sondern wirft außerdem einen unverfälschten Blick auf die Beziehung zwischen Mensch und Pferd in einem rauen Umfeld.

Filmfacts: «The Rider»

  • Start: 21. Juni 2018
  • Genre: Drama
  • Laufzeit: 103
  • FSK: 12
  • Kamera: Joshua James Richards
  • Musik: Alex O'Flinn
  • Buch und Regie: Chloé Zhao
  • Darsteller: Brady Jandreau, Tim Jandreau, Lilly Jandreau, Cat Clifford, Terri Dawn Pourier
  • OT: The Rider (USA 2017)
Der Wilde Westen lässt keine Schwäche zu. Erst recht nicht im Hinblick auf die mutigen Cowboys, die sich innerhalb der amerikanischen Geschichte als der Inbegriff des unverwundbaren Kerls etabliert haben. Auch im Kino sieht man den Rinder treibenden, Lasso schwingenden Reiter mit Hut selten an sich und seiner Bestimmung zweifeln. Eine Marktlücke, die Regisseurin Chloé Zhao («Songs My Brother Taught Me») in ihrem dokumentarisch anmutenden Drama «The Rider» aufgreift und anhand eines filmisch aufbereiteten, echten Schicksals behutsam hinterfragt. Das, was der Hauptfigur in «The Rider» passiert, orientiert sich an dem, was Laiendarsteller Brady Jandreau der Autorenfilmerin vor dem Dreh geschildert hat. Für sie durchlebt der Reiter und Pferdeausbilder noch einmal das ganze Leid eines Schicksalsschlages und der damit einhergehenden körperlichen, aber vor allem der seelischen Qual. Denn so schmerzhaft der fast tödliche Unfall des Protagonisten auch gewesen sein mag, so schlimm ist für ihn im Anschluss der Verzicht auf die Interaktion mit den edlen Vierbeinern, als der Arzt ihm davon abrät, jemals wieder auf ein Pferd zu steigen.

«The Rider» befasst sich mit dem inneren Kampf zwischen Vernunft sowie dem unbedingten Willen, seine Träume zu verwirklichen und schildert obendrein völlig frei von Klischees die Bedeutung der Tiere für die Cowboys, die Kameramann Joshua James Richards («God’s Own Country») so verwegen wie nur möglich einfängt, ohne dabei die harte Realität aus den Augen zu verlieren.

Aus dem Nichts ist alles anders


Nach einem beinahe tödlichen Rodeo-Unfall muss sich der junge Cowboy Brady Blackburn (Brady Jandreau) mit der Tatsache abfinden, dass er nie wieder reiten kann, und stürzt in eine existentielle Identitätskrise: Immerhin definiert ihn nicht nur seine Umwelt, sondern vor allem auch er selbst als Sioux-Nachkomme sich vornehmlich über seine Arbeit mit Pferden. Schwer wiegen der abschätzige Blick seines Vaters, der Abschied von seinen enttäuschten Fans und das Fehlen des einzigartigen Gefühls der Freiheit, das ihn auf dem Rücken eines Pferdes durchströmt.

Vor den Dreharbeiten zu «The Rider» stand Brady Jandreau noch nie vor einer Kamera. Das kann man kaum glauben, wenn man sich anschaut, mit welcher Leichtigkeit es ihm hier gelingt, die komplette Bandbreite menschlicher Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Dazu gehört nicht bloß die pure Glückseligkeit, wenn er das erste Mal seit seinem schweren Sturz wieder auf einem Pferd sitzt oder er in der Interaktion mit den wilden Tieren förmlich aufblüht, sondern vor allem die vielen Momente davor, in denen er das genaue Gegenteil empfindet. «The Rider» blickt tief in die geschundene Seele eines Mannes, der sein ganzes Leben für ein bestimmtes Ziel geopfert hat und kurz vor Erreichen auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wird – im wahrsten Sinne des Wortes. Die damit einhergehenden Gefühle, der Zorn, die Trauer und die Wut über sich selbst, dominieren die erste Stunde von «The Rider», die dank Jandreaus feinen Schauspiels jedoch nie in Schwerfälligkeit abgleitet. Stattdessen setzt Chloé Zhao auf eine allgegenwärtige Melancholie und nimmt dem Cowboy-Dasein dadurch sein draufgängerisches Image.

Jandreau und seine Kumpels mögen sich zwar auch hier in regelmäßigen Abständen zu halsbrecherischen Rodeo-Manövern treffen, bei denen jeder der Beste sein will; In diesem Zusammenhang gehören machohaftes Posen und ausführliche Ego-Shows einfach dazu. Doch das sind allenfalls Randnotizen in «The Rider», denn Zhao geht es vorwiegend um ein Danach, das in vielen anderen Filmen aus diesem Milieu schlicht nicht stattfindet – denn nicht jeder verlässt die Rodeo-Arena als jener strahlende Held, als der er sich in den Minuten vor dem Start noch gesehen hat.

Ein sensibles Porträt über vermeintlich unsensible Menschen


Die ausführlichen Szenen in der Rodeo-Arena und das gemeinsame Arbeiten der Cowboys mit ihren Pferden, von harmlosen Trainingseinheiten über entspannte Ausritte bis hin zu augenscheinlich äußerst fragwürdigen Ausbildungsmethoden, die jedoch viel mehr Aufschluss über den Charakter des Brady Blackburn geben, als ellenlange Dialoge (auf die der Filme dankenswerterweise verzichtet), sind nicht gezielt inszeniert und von langer Hand geplant. Nach rudimentären Vorgaben ließ die Regisseurin ihren Protagonisten sowie die vielen Nebendarsteller und Komparsen „einfach machen“. Das Ergebnis ist an Authentizität erwartungsgemäß kaum zu übertreffen. In «The Rider» wird nichts beschönigt, ist nichts gestellt oder wird künstlich überstilisiert. Kameramann Joshua James Richards findet in den ungezwungenen Bildern eine natürliche Schönheit; entweder in der kargen, jedoch nicht minder traumhaften Landschaft, den Details eines Pferdekörpers, oder indem er das präzise Minenspiel der Menschen in extremen Close-Ups einfängt – in teilweise minutenlangen Einstellungen.

Durch seine fehlende Zähmung wird aus «The Rider» ein wunderschöner Film, zu dem es passt, dass auch die eigentliche Geschichte sehr übersichtlich ausfällt und trotzdem viel mehr erzählt, als es auf den ersten Blick scheint.

104 Minuten lang folgen wir als Zuschauer dem vom Schicksal gebeutelten Brady auf seinem Weg zurück ins Leben. Auf die totale Resignation, mit der sogar Suizidgedanken einhergehen, folgt die Suche nach einer Aufgabe. Zunächst trainiert Brady Nachwuchsreiter, bis er schließlich in einem rohen Hengst seine wahre Bestimmung findet. Die Zeit zwischen dem Reiter und seinem Schützling Apollo entwickelt sich zum Herzstück von «The Rider»: Chloé Zhao lässt ihre Hauptfigur noch einmal ihr gesamtes Leben symbolisch anhand der Arbeit mit diesem Pferd durchleben und schafft ihm dadurch ein Spiegelbild auf vier Beinen. Wohin genau die Reise dieses sich sukzessive angleichenden Paares geht, sei an dieser Stelle nicht verraten. Die Art und Weise, wie sich Brady schließlich von seinem Leben als Cowboy freimacht und beginnt, sich nicht mehr ausschließlich über seine Arbeit zu definieren, hat uns jedenfalls zutiefst bewegt.



Es ist der einzige Moment, in dem die Regisseurin auf deutliche Gesten setzt. In den eineinhalb Stunden zuvor macht vor allem ihr sehr zurückhaltender Blick auf die Ereignisse ihren Film so bewegend. In bemerkenswerten Szenen wie der Interaktion zwischen Brady und seiner kleinen Schwester oder den Krankenhausbesuchen eines durch einen Unfall schwer verletzten Rodeoreiters legt der Film gezielt die verletzliche Seite der Hauptfigur preis, bis Brady schließlich gar nicht mehr anders kann, als einfach nur noch hemmungslos drauf los zu weinen. Nach Joseph Kosinskis «No Way Out – Gegen die Flammen» ist «The Rider» damit schon der zweite Film aus diesem Jahr, der männliche Verletzlichkeit zu etwas angenehm Selbstverständlichen erklärt.

Fazit


Chloé Zhaos dokumentarisches Drama «The Rider» entzaubert den Mythos vom unverwundbaren Cowboy und blickt gleichermaßen schonungslos wie einfühlsam hinter die Fassade dieser leidenschaftlichen Pferdemenschen.

«The Rider» ist ab dem 21. Juni in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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