Die Kino-Kritiker

«LOMO: The Language of Many Others»: Lahme Panik vor dem bösen Netz

von

Wer diese Kritik liest, begibt sich in Gefahr. Immerhin ist sie im verführerischen, bösen Netz erschienen.

Filmfacts: «LOMO: The Language of Many Others»

  • Regie: Julia Langhof
  • Drehbuch: Thomas Gerhold, Julia Langhof
  • Darsteller: Jonas Dassler, Lucie Hollmann, Eva Nürnberg, Karl Alexander Seidel, Marie-Lou Sellem, Peter Jordan, Julika Jenkins, Rainer Sellien, Barbara Philipp
  • Produktion: Martin Heisler
  • Kamera: Michal Grabowski
  • Schnitt: Halina Daugird, Thomas Krause
  • Musik:  Torsten Reibold
  • Laufzeit: 101 Min
  • FSK: ab 12 Jahren
Wer etwas kritisieren will, muss es erst einmal verstehen. Simple Sache. Nicht wenige Stimmen, die die zumeist anti-utopische Anthologieserie «Black Mirror» beispielsweise als technophobes Angstfernsehen bezeichnen, haben die britische Serie gar nicht gesehen. Hätten sie sie gesehen, müssten sie erkennen, dass die mittlerweile exklusiv für Netflix fortgeführte Charlie-Brooker-Reihe ein komplexes Bild zeichnet. Eines, in dem technische Möglichkeiten, die zum Guten wie zum Schlechten führen können, erst durch die irrationale, empathielose Ader vieler Menschen ihren vollauf schädlichen Charakter gewinnen. Das deutsche Jugendthrillerdrama «LOMO: The Language of Many Others» wiederum wirkt wie das, was «Black Mirror»-Ignoranten beschreiben, wenn sie davon sprechen, was sie hinter der Serie vermuten.

Die in einer dörflichen Version Berlins spielende Small-Budget-Produktion zeigt sich wiederholt begriffsstutzig in der Beschreibung webmedialer Wirklichkeiten und überdramatisiert die schädliche Abwärtsspirale, die durch digitale Kommunikation ausgelöst werden kann. Die Verführung zum Unheil kommt fast ausnahmslos aus dem Netz. Gewiss: Mit viel, viel gutem Willen ließe sich behaupten, dass Regisseurin Julia Langhof schlicht und konsequent auf der Logikebene ihres Protagonisten operiert. Dieser propagiert folgende Erkenntnis: "Es gibt nur zwei Zustände im Leben: Langeweile oder Panik." Dass «LOMO: The Language of Many Others» zwischen Ödnis und Panikmache changiert, fügt sich also gut in das Weltbild des dauerbloggenden Teenagers.

Ein aussagekräftiges Psychogramm der "horizontalen Generation" kommt dadurch aber ebenso wenig zustande wie ein profunder, treffend beobachteter Medienthriller. Dessen Handlung kommt ins Rollen, kurz bevor die Zwillinge Karl und Anna Schalckwyck ihr Abitur machen. Während Anna, der heimliche Liebling der Eltern Krista und Michael, glücklich vergeben ist, gute Noten schreibt und internationale Studienpläne hegt, ist Karl Blogger. Sein Blog "The Language of Many Others" hat Follower aus allen Winkeln der Welt und kuratiert mal informative, mal abstrakte, mal banale, mal jugendlich-weinerlich-hochtrabende Videos und ruft Karls Gefolgschaft zur Teilnahme auf.

Als Karl seine Fans bittet, sich heimlich beim Essen mit ihrer Familie zu filmen und währenddessen intime Fragen zu stellen, dreht auch er solch einen "Prank", was ihm Ärger mit seinem Vater einbringt. Aber dieser Ärger ist ein Witz dagegen, was geschieht, sobald Karl in einem Anflug von Wut, Enttäuschung, Geltungsbedürfnis und alkoholisiertem Leichtsinn ein wesentlich pikanteres Video veröffentlicht …

Langhof versteht es, Karls Realität durch inszenatorische Kniffe mit der digitalen Welt zu verschmelzen: Sie nutzt gelegentlich lange Überblendungen oder lässt das Bild grob verpixelt erscheinen. Stimmen, die Kommentare in Karls Blog vorlesen, wachsen zu einem Klangwust an, Handlungsszenen und Videos aus Karls Blog sind zuweilen harsch aneinandergereiht. Diese Regiespielereien reichen aus, um «LOMO: The Language of Many Others» aus dem Wust mahnend artikulierter, deutscher 'Problemfilme' herausstechen zu lassen, wagen sich aber nie aus der massentauglichen Komfortzone an Experimentierfreudigkeit hervor.

Vor allem jedoch enthüllen die wiederholten Einblicke in Karls Digitalleben, dass die Crew hinter «LOMO: The Language of Many Others» wenig daran interessiert ist, ihre Warnparabel in der Wirklichkeit des World Wide Web zu verankern. Dass ein deutscher Teenager im Jahr 2015 (zur Zeit, zu der dieser Film gedreht wurde), geschweige denn im Jahr 2018, mit einem Blog ohne erkennbare thematische Ausrichtung zahlreiche Fans aus aller Welt generiert, ist absurd. Die suggerierte Internetprominez Karls gleicht eher einer DagiBee oder eines Gronk – Karl ist aber kein YouTuber, kein Streamer, niemand mit einer sofort erkennbaren 'digitalen Marke'. Wer warum Karls Blog aufsucht, bleibt in «LOMO: The Language of Many Others» ein Rätsel, ebenso, weshalb sich Karls Follower in seiner Blog-Kommentarfunktion miteinander austauschen, als hätten wir es hier mit der Chatleiste neben einem Twitch-Stream zu tun.

Das kuriose und konzeptlose Mischmasch aus Versatzstücken digitaler Kommunikations- und Selbstdarstellungsplattformen ist nur der Anfang einer langen Reihe an verwunderlichen Elementen dieses Films, die den digitalen und technologischen Ist-Zustand dramatisch verzerren. Vor allem im letzten Drittel sollten Filminteressierte dringend versuchen, Fragen über technische Gegebenheiten besser runterschlucken, anderweitig drohen die in Gedanken aufploppenden Fragezeichen die eskalierende Story zu übertönen.

Aller Überdramatisierung zum Trotz ist «LOMO: The Language of Many Others» jedoch zumeist dröge. Dass sich die Anspannung, die auf der Leinwand vorherrscht, nicht überträgt, liegt größtenteils daran, wie konstruiert die sich abspielenden Konflikte sind und wie bemüht und hölzern sie sich in den Dialogen äußern. Da wird aus dem zuvor so hochstilisierten Blog ein kleiner, von seifenopernhaften Zufällen und Verstrickungen lebender Zwist zwischen zwei Familien, der auch mit einer deutlich kleineren Vorbereitung hätte erzählerisch eingefädelt werden können. Und während sich Karls Eltern und die seiner mysteriösen Mitschülerin Doro ankeifen, stürzt Karl in einen tiefen Sumpf der Internethörigkeit und lässt sich wortwörtlich von Fremden steuern.

«LOMO: The Language of Many Others» steuert sich so in eine Zwickmühle: Für ein fein beobachtetes, unter die Haut gehendes Psychogramm einer websüchtigen Generation ist es zu inakkurat und arbeitet in der Figurenzeichnung viel zu sehr mit Verallgemeinerungen. Für einen schlichten, aber intensiven Thriller, der Vereinfachungen nutzt, um eine größere Sogwirkung zu erzeugen, verlässt sich der Stoff aber zu sehr auf konstruierte Zuspitzungen. Was ihm jedoch nicht zu nehmen ist, sind seine gewitzte Nachahmung typischer Webkommentare und ein kleiner, treffender Dialog, der den digitalen Generationenkonflikt einfängt: Karls Vater will im Web nicht bloßgestellt werden und bittet darum, ein Video offline zu nehmen. Karl ist verwundert, dass sein Vater wirklich glaubt, jemand würde sich für ihn interessieren. Im Netz geht unwichtiges eh verloren. Schade, dass der Film diesen Konflikt zwischen "Es geht eh unter" und "Es muss gar nicht erst öffentlich werden" nicht mit Ruhe vertieft, sondern auf panischen Allgemeinplätzen verharrt.

«LOMO: The Language of Many Others» ist ab sofort in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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