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Von Weimar zu Hitler – Teil 4

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Der finale vierte Teil dieser Reihe wird sich mit dem Mythos Riefenstahl, ihren Werken und deren Bedeutung auseinandersetzen.

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Im August 1935 wurde Riefenstahl mit dem bedeutungsvollen Projekt betraut: die Dokumentation der Olympischen Spiele in Deutschland 1936. Das Festhalten des Sportspektakels war aus zweierlei Gründen essentiell. Zum Einen hatte die radikale NS-Politik im Ausland für Aufsehen gesorgt, besonders der Umgang mit jüdischen Bürgern wurde kritisiert. Durch eine künstlerische Dokumentation Riefenstahls sollte das allgemeine Ansehen von Deutschland wieder steigen. Eine weiße und vermeidlich reine Weste wollte man präsentieren, sodass die Berichte über antisemitistische Verfolgungen haltlos werden würden. Zugleich mussten die deutschen Sportler als Helden in Szene gesetzt werden, sodass sich die nominelle deutsche Überlegenheit in ihnen wiederspiegelte.



Der zweite Grund für die Produktion dieser Dokumentation war, dass das IOC (International Olympic Committee) drei Jahre zuvor anordnete, fortan alle Olympischen Spiele auf Film festzuhalten. Riefenstahl wurde mit dieser Mammutaufgabe vertraut, in der Überzeugung, dass die Regisseurin die Nationalsozialisten wieder einmal euphorisch stimmen kann. In diesem Punkt behielten sie recht. Der Chronologie halber soll ihr dritter Parteipropagandafilm «Tag der Freiheit! – Unsere Wehrmacht» nicht außer Acht gelassen werden. Den knapp 30 Minuten dauernden Film drehte die Regisseurin auf dem Nürnberger Parteitag im September 1935 und markiert den Abschluss ihrer parteipolitischen Propagandafilme, bestehend aus «Der Sieg des Glaubens», «Triumph des Willens» und «Tag der Freiheit! – Unsere Wehrmacht». Im Gegenzug zu den beiden Vorgängern konzentrierte sich Riefenstahls vergleichsweise sehr kurzer Film nahezu ausschließlich auf die Inszenierung der Wehrmacht, Reden wurden nicht gefilmt, dafür aber ausführlich das Kriegsgerät der Soldaten.

Im direkten Vergleich zu «Der Sieg des Glaubens» und «Triumph des Willens» ist ihre dritte Inszenierung zu vernachlässigen und kann sich nicht mit der Bedeutung der beiden anderen Werke messen. Mit ihrer Dokumentation der Olympischen Spiele verhält es sich jedoch vollkommen anders. Passend zum Geburtstag Adolf Hitlers fand die Uraufführung ihres Epos am 20. April 1938 statt. Stattgefunden hatten die Spiele vom 1. August bis zum 16. und in dieser Zeit entstanden 400 Kilometer reines Filmmaterial, deren Bearbeitung Riefenstahl zwei Jahre im Schnittraum kosten sollte. Ihr finales Werk wurde in zwei Filme unterteilt: «Olympia - Fest der Völker» und «Olympia – Fest der Schönheit».

Das ursprüngliche Budget von anderthalb Millionen Reichsmark überschritt die Regisseurin mehrfach um hunderttausende, sehr zum Missfallen des Reichsfilmminister Joseph Goebbels. Hier zeigte sich wieder einmal die Freiheit, über die Reifenstahl verfügte. Verbote, Auflagen und Restriktionen existierten für sie nicht, geschweige denn eine potentielle Kritik an ihrer Kunst. Wie zuvor auch schon «Triumph des Willens», zeichneten sich die beiden Olympia-Filme durch technische Innovationen aus. Besonders nennenswert ist ihr Einsatz der Musik, um dem Sport die nötige Dramatik zu verleihen. Riefenstahl griff oft auf die Parallelmontage zurück, um die Musik rhythmisch auf die gezeigten Bilder abzustimmen.

«Olympia – Fest der Völker», sowie «Olympia – Fest der Schönheit» waren nur in zweiter Instanz Propagandafilme. Es waren keine Parteifilme, keine kriegsverherrlichende Propaganda, sondern in erster Linie waren es persönliche Filme für Riefenstahl. Im Gegensatz zu ihrer Parteitagstrilogie handelte es sich hierbei um die Inszenierung des Sports, ihrer eigenen Leidenschaft. Was sich die Olympia-Filme vorwerfen lassen müssen, ist nicht die politische Instrumentalisierung der Bilder wie in «Triumph des Willens», sondern der ursprüngliche Entstehungsgrund des Films, jenes damalige Deutschland als „rein“ darzustellen.

Der Erfolg des Films war wie erwartet exzeptionell und Riefenstahls anschließende Filmkampagne brachte sie in die Vereinigten Staaten. Sympathisanten der NSDAP wie beispielsweise Walt Disney führten Gespräche mit ihr, doch durch die Zuspitzung des deutschen Antisemitismus, die in der Reichspogromnacht 1938 gipfelte, nur wenige Monate vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, wurde Riefenstahl potentielle Zukunft in den USA jäh beendet.

Nach der Fertigstellung ihres Olympia-Projekts schwindet Riefenstahls filmhistorische Bedeutung im Dritten Reich. Zwar wurde 1939 der „Sonderfilmtrupp Riefenstahl“ gegründet, in dem sie mit einer Reihe ausgewählter Helfer Aufnahmen von der Ostfront machen sollten, doch wurde das Projekt nie vollständig realisiert. Zeitzeugenberichten nach erlebte Riefenstahl damals zum ersten Mal die Geschehnisse an der Front, darunter auch ein Massaker an jüdischen Gefangenen, das sie nicht verkraften konnte und zusammenbrach. Ihre Arbeit als Regisseurin nach Beginn des Krieges lässt sich auf einen Film destillieren, «Tiefland», dessen Fertigstellung ein lang ersehnter Wunsch Riefenstahls war. Aufgrund des Kriegsendes wurde der Bergfilm, der keine offensichtliche Propaganda aufweist, erstmals 1954 uraufgeführt.

Ihre Karriere sollte nach dem Fall der Achsenmächte 1945 zusammenbrechen. Fragen nach ihrer Mittäterschaft im Dritten Reich wurden laut, ebenso wie Ermittlungen zu ihrer Person. Sie verfiel Depressionen, konnte sich jedoch mit der Fotographie afrikanischer Stammesmitglieder neu erfinden. Ihre Bilder gingen wieder einmal um die Welt, dieses Mal statisch. Ironisch, wenn man bedenkt, dass sie einst dafür gefeiert wurde, die statischen Bilder in dynamische Bewegungen zu bringen.

Riefenstahl und die deutsche Filmgeschichte der 1930er Jahre sind untrennbar miteinander verbunden.

Doch wie wertet man die Person Riefenstahl selbst? Ordnet man die Regisseurin als eine überzeugte Nationalsozialistin und Antisemitin ein oder sieht man sie als eine Künstlerin, die ihre Kunst mit allen Mitteln zum Ausdruck bringen wollte? Der folgende Abschnitt enthält die abschließenden Worte zu Riefenstahl und den gescheiterten Versuch sie einzuordnen.

Eine sich aufdrängende Frage: war Riefenstahl eine Antisemitin? Eine klare Antwort darauf fällt schwer. Ihr Debüt «Das blaue Licht» wurde von dem jüdischen Filmkritiker Hermann Sinsheimer verrissen, woraufhin sie ihn als „Fremdling“ beschimpft haben soll und über eine Zukunft sprach, in der jüdische Journalisten nicht mehr für Deutschland schreiben sollte. Riefenstahl hatte zuvor Hitlers Buch Mein Kampf gelesen, das vor Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit regelrecht überquoll. Sinsheimer floh kurz vor dem Ausbruch des Krieges aus Deutschland. Dennoch arbeitete die Regisseurin mit dem jüdischen Drehbuchautor Béla Balázs zusammen und filmte während der Olympiade nicht nur die deutschen Sportler, sondern inszenierte auch den farbigen Leichtathleten Jesse Owens, einen der größten Sportler aller Zeiten. War dies nun eine Maßnahme, um die Außenwelt von der heuchlerischen deutschen Toleranz zu überzeugen oder ging es Riefenstahl um die bestmögliche Inszenierung der stärksten Sportler? War sie eine überzeugte Antisemitin oder eine Filmemacherin, die um jeden Preis ihre Werke verwirklichen wollte? Riefenstahl war nie Mitglied der NSDAP, doch bekannte sich als glühende Verehrerin Adolf Hitlers. Kann man dieser Frau vorwerfen, dass sie ihre Kunst um jeden Preis verwirklichen wollte? Und wenn ja, inwiefern kann der Fanatismus eines Künstlers ihn von der Rationalität befreien?

Riefenstahl war in ihren jungen Jahren eine Frau von ausgesprochener Attraktivität und es waren die Männer, die an ihrer Seite standen odervielmehr: die sich an ihrer Seite schmückten. Obwohl sie den Männern gegenüber nie abgeneigt war, stellte sie eine Emanzipierte dar, die als Matriarchin dem Patriarchat der NS-Herrschaft gegenüberstand. In nachträglichen Interviews verwässert Riefenstahl ihre eigene Motivation für die Produktionen in Nazi-Deutschland. Sie will nun die Aufträge nur wiederwillig angenommen und schnell ein schlechtes Gefühl verspürt haben. Keine Alternative hätte sie gehabt und ihre Filme haben nur das eingefangen, was man sah, ohne dabei eine beabsichtigte Verherrlichung der Partei gewesen zu sein. Politisch interessiert soll sie nie gewesen sein, die Kunst war ihr Leben. Relativierungsversuche einer Mittäterin oder die wahren Worte einer Künstlerin.
Hitlers Regisseurin war, ist und bleibt ein Paradox und ein Rätsel, das womöglich nicht gelöst werden kann. Leni Riefenstahl ist ein maßgeblicher Teil der deutschen Filmkultur, ob man es selbst möchte oder nicht.

Das, was ihre Bilder zeigen, hält andere Regiegrößen wie Kult-Regisseur Quentin Tarantino nicht davon ab, sie als „die größte Regisseurin aller Zeiten“ zu bezeichnen.

Von Weimar zu Hitler

Die deutsche Filmhistorie nach dem Ersten Weltkrieg ist so eng verknüpft mit den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen des Landes, wie es keine Filmbewegung in einem weiteren Land davor oder danach war. Sie fungiert als Spiegel der zerrütteten Gesellschaft, die sich radikalisiert und dem Führerkult verfällt. Während der expressionistische Film das Medium evolutioniert, sodass es kulturell salonfähig wird, beschneidet das nationalsozialistische Kino dessen Vielfalt und überwindet mit Riefenstahl dennoch die technischen Grenzen des Films.

Die deutschen Filme zwischen dem Ausruf der Weimarer Republik und dem Ende des zweiten Weltkrieges sind ein Produkt ihrer Zeit, ihrer Umstände, Politik, Unruhen und Menschen. Das Weimarer Kino und der nationalsozialistische Film- zwei Welten die aufeinander treffen, sich gegenseitig exkludieren und das Medium des Films letztendlich doch voran gebracht haben.

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Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
Nr27
15.07.2018 19:40 Uhr 1
Schöne, informative Reihe. Gerne mehr in diesem Format!
M. Zwicker
23.07.2018 10:40 Uhr 2
Als langjähriger Leser muss ich wirklich sagen: diese Von Weimar zu Hitler Reihe ist das mit Abstand beste was ich in eurem Magazin gelesen habe.

Sehr stark und gerne mehr Berichte über Filmgeschichte.
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