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Netflix‘ «GLOW» und die wohl relevanteste Serienstaffel des Jahres

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Die Frauenwrestling-Dramedy «GLOW» stellt eine Serie dar, die alles will und alles schafft. Damit ist das Netflix-Format zeitgemäßer, witziger und ergreifender als alle anderen Staffeln des Jahres – und trotzdem kaum bekannt.

Facts zu «GLOW»

  • Genre: Comedy/Drama
  • Schöpfer: Liz Flahive & Carly Mensch
  • Darsteller: Alison Brie, Betty Gilpin, Sydelle Noel, Marc Maron u.v.m.
  • Episodenzahl: 20 (2 Staffeln)
  • Episodenlänge: 26-46 Minuten
  • Premiere: 23. Juni 2017 (Netflix)
  • Auszeichnungen: 2 Emmy-Nominierungen 2018
Netflix beheimatet einige Serienformate der Superlative. Mit «Stranger Things» zeichnet der Streaming-Dienst verantwortlich für eine der popkulturell einflussreichsten Serien der vergangenen Jahre, «House of Cards» setzte ab 2013 Maßstäbe hinsichtlich seines Schauspiels, wofür der Polit-Thriller zwei Golden Globes gewann. «Orange is the New Black» kennzeichnet unterdessen Netflix‘ erfolgreichste Serie hinsichtlich der Abrufzahlen, «Tote Mädchen lügen nicht» löste in den USA eine Jugendschutz-Debatte aus und «Making a Murderer» nahm direkten Einfluss auf einen Mordfall in den USA. Es fällt nicht schwer, Netflix-Eigenproduktionen zu finden, die renommierter, erfolgreicher, beliebter oder einflussreicher sind als die Frauenwrestling-Dramedy «GLOW», die am 29. Juni 2018 in ihre zweite Staffel startete. Trotzdem stellt die zweite Season der Netflix-Serie die relevanteste Serienstaffel des Jahres dar, die allen anderen genannten Formaten in vielen Punkten den Rang abläuft.

«Glow» handelt von der erfolglosen Schauspielerin Ruth Wilder (Alison Brie), die im männerdominierten Hollywood der 80er Jahre verzweifelt einen Job sucht und beim Casting für eine rein von Frauen besetzte Wrestling-Show landet, die unter dem Namen «GLOW» (Gorgeous Ladies of Wrestling) entstehen soll. Mit großem Ehrgeiz wirft sich Ruth in das von Regisseur Sam Sylvia (Marc Maron) geleitete Projekt. Dieser kann Ruth allerdings kaum ausstehen und macht stattdessen Debbie Eagan (Betty Gilpin) zum Star seiner neuen Show, die ehemals beste Freundin von Ruth, mit dessen Mann Ruth eine Affäre hatte. Allmählich fasst «GLOW» im Regionalfernsehen Fuß, sieht sich aber diversen Problemen ausgesetzt...

Die geniale Meta-Verbindung zwischen den 80s und heute


Tatsächlich entwickelte sich aus «GLOW» im Laufe der zweiten Staffel eine Maßstäbe setzende Comedy-Serie, die gleichzeitig ein fast vergessenes Stück Fernsehgeschichte abbildet, aber aufgrund der bedienten Themen kaum zeitgemäßer sein könnte. Mit dem modernen Blick auf noch heute existierende gesellschaftliche Probleme bedient die Serie von Liz Flahive und Carly Mensch sowohl den lebensbejahenden Feminismus, den die Serie von Anfang an in sich trug als auch den feinfühligen Umgang mit seinen weiblichen Charakteren, den so viele Produktionen vermissen lassen. Mit handwerklich hervorragend ausgeführter Comedy trifft «GLOW» in Staffel zwei genau den richtigen Ton, um negativ aufgeladene gesellschaftliche Debatten wie #MeToo in positive Energie zu übersetzen. Wenn es diese Frauen tatsächlich in den 80er Jahren schafften, dann muss es im Jahr 2018 einfach Hoffnung geben. Und wenn ohnehin derzeit gerade die Unterhaltungsindustrie für mehr Präsenz weiblicher Figuren plädiert, dann ist «GLOW» das Paradebeispiel.

Der durchgängige Metablick auf die Geschichte dieser außerordentlichen Frauenfiguren schafft durchgängig so viele Bezüge, dass es schwerfällt, den Überblick über alle Anspielungen zu behalten. Dabei handelt es sich natürlich nicht immer um gesellschaftliche Themen, allein der Kommentar auf die Produktion einer Netflix-Streaming-Serie durch das Narrativ um die Produktion einer TV-Wrestlingshow stellt einen genialen Kniff dar.

Gegenüber den unzähligen anderen etwa halbstündigen Dramedy-Serien von Network- oder Kabelsendern kann «GLOW», die Vorteile, die Netflix als Anbieter mit sich bringt, wohl so gut ausspielen, wie vielleicht kein anderes Format des On-Demand-Diensts. Der Mix aus Comedy und Drama wird so durch nicht jugendfreie Sprache, Nacktheit oder auch Drogenmissbrauch ergänzt, allerdings immer Story-dienlich. Bezogen auf die Laufzeit schwanken die Folgen enorm zwischen 26 und 36 Minuten, wobei das Finale sogar 46 Minuten dauert. «GLOW» nimmt sich die Zeit, die es braucht, ohne je aufgebläht zu wirken. Dabei entsteht der Eindruck, dass die Serie den Reichtum an großartigen, vorwiegend weiblichen Schauspielern, aufgrund der begrenzten Laufzeit gar nicht erschöpfend ausnutzen kann.

Jeder ist willkommen auf der großen Serien-Party


Dass «GLOW» die relevanteste Serienstaffel des Jahres lieferte, hat aber natürlich vor allem mit den Themen zu tun, die es bedient. Wichtige Schwerpunkte finden sich in brandaktuellen Themen wie Immigration und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz oder Dauerbrennern wie unterrepräsentierten Minderheiten in der Unterhaltungsindustrie und Gleichberechtigung von Männern und Frauen auf allen Ebenen. Häufig kommen durch und durch US-amerikanische Probleme zur Sprache, was auch eine Erklärung dafür darstellen könnte, warum die Serie in Deutschland noch nicht so recht durchstartete und gerade hinsichtlich der Abrufzahlen noch nie in die Top-Riege der Netflix-Formate vorstieß. Die Relevanz von «GLOW» muss also womöglich doch auf eine US-amerikanische bis geopolitische Sichtweise eingegrenzt werden anstatt auf Themen, die auch in Deutschland gesellschaftliche Debatten beherrschen.

Wer aber denkt, das Publikum bekäme die Botschaften mit dem Holzhammer ins Gesicht geschlagen, der irrt auch. Trotz allen gesellschaftlichen Kommentaren, bleiben der Spaß und die von größeren Themen unabhängigen Zwischenmenschlichkeiten nie auf der Strecke. Eigentlich, so könnte man argumentieren, handelt «GLOW» noch immer vor allem davon, eine zerbrochene Freundschaft zu retten. Während andere Serien sich angesichts dieser vielen verschiedenen inhaltlichen Komponenten verrennen, kennzeichnet «GLOW» eine der wenigen Serien, die alles will und trotzdem alles schafft. Sie ist aktuell und lustig, aufregend und ergreifend. Obendrein wird Integration bei «GLOW» in jeder Hinsicht großgeschrieben, ohne dass Charaktere, die Minderheiten angehören, alleine durch ihre Zugehörigkeit zu dieser Gruppe definiert werden. Jeder ist willkommen auf der großen Serien-Party, die «GLOW» feiert.

Es ist schon fast wieder ironisch, dass «GLOW» trotz allem so wenig Beachtung findet, vor allem in Deutschland. Zwar erhielt «GLOW» gerade erst zwei Emmy-Nominierungen, auch in den USA hängt die Wrestling-Dramedy aber hinter den großen Namen hinterher und erreichte mit ihrem Staffelauftakt innerhalb von drei Tagen nach ihrer Premiere 1,33 Millionen Menschen, während «Tote Mädchen lügen nicht» im gleichen Zeitraum etwa sechs Millionen Zuschauer anlockte. Für Augenreiben sorgte dabei der Umstand, dass 86 Prozent aller Zuschauer aus der in den USA werberelevanten Zielgruppe der 18- bis 49-Jährigen stammten, wonach sich Sender, die anders als Netflix durch Werbung ihr Geld verdienen, die Finger lecken würden. Doch das müssten sie ohnehin schon, denn keine Serie trifft den Zeitgeist so gut wie die frauenzentrierte Feel-Good-Serie, die «GLOW» darstellt.

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