Selbstverständlich widersprüchlich
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Dass er im Zwiegespräch mit Jule bloß entgegnet, wie abstrus er ihren Wunsch findet, den Kapitalismus abzuschaffen, lässt ebenfalls tief in Jans Persönlichkeit blicken. Statt diplomatisch und seinem Weltbild entsprechend zu sagen, dass er Jules Meinung verstehen kann, selbst wenn sie kaum in die Tat umgesetzt werden zu können, kehrt er seine liberale Seite unter den Teppich und sucht die intellektuelle Konfrontation. Und zwar, weil dies Teil seiner Flirttaktik ist: Er, der verständnisvolle, empathische Typ, überbetont seine kantigen, machohafteren Züge. Ein Stück weit augenzwinkernd, ein Stück weit, weil er hofft, so bei Jule Eindruck zu schinden.
Ähnlich verhält es sich mit Jule: Die Biologiestudentin, die mit ihrem an atypische Beziehungsstrukturen glaubenden Freund eine Fernbeziehung führt, entromantisiert im Laufe ihres Austausches mit Jan das Thema Zwischenmenschlichkeit – und weißt auf biochemische Reaktionen hin. Ein Themengebiet, mit dem sie bei Jan offene Türen einrennt, der begeistert sein eigenes Halbwissen teil. Und dennoch hat Jule eine ausgeprägte romantische Ader.
Allein schon ihr Reiseplan, im vererbten Mercedes-Wohnmobil quer durch Europa fahren, ist in seiner Nostalgie romantisch angehaucht. Und wenn die Westentaschenphilosophiediskurse zwischen ihr und Jan das Thema Liebeskonstrukte erreichen, schwärmt sie mit glänzenden Augen von geistigen Verbindungen, die die reine Chemie übersteigen, und stärkt der Monogamie den Rücken. Gleichwohl ist sie es, die im Verbalkampf der Ideologien Jans These des dauerwettstreitenden Menschen ablehnt und Empathie als Grundposition betrachtet, die in Stresssituationen harscher wird und Jan hilflos dastehen lässt, sobald sich die Funkwellen, auf denen die Beiden senden, zu weit voneinander entfernen.
Ein heimlicher Europa-Film
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Es wäre eine Schande, diese Idee wegen teils arg hochgekochter politischer Unstimmigkeiten aufzugeben. So altmodisch Jule und Jan in mancherlei Hinsicht sein mögen, die jungen Erwachsenen, die während ihres Urlaubs nur höchst selten ihr Smartphone auspacken und die dauerquatschend in einem alten Gefährt Europa bereisen. Sie sind auch eine kleine, utopische Zukunftsvision: Sie sind keine Berliner, keine Deutschen – sie sind Europäer. Sie lassen geografische und gedankliche Grenzen hinter sich und ziehen keine unüberwindbaren Gräben zwischen ihnen, wann immer sich philosophische oder politische Differenzen abzeichnen. Sie wissen, dass man seine Individualität bewahren und dennoch harmonisch beisammen sein kann. Und wie die Europäische Union nimmt die angeregt diskutierende Zwei-Personen-Reisegruppe ihren Anfang als Zweckgemeinschaft. Nur bleibt es nicht dabei. Und so wird der Trip aufgrund der Freude, die Jule und Jan zusammen haben, um einen Zwischenhalt nach dem anderen verlängert. Zusammen ist es halt doch schöner …
Fazit
Durch kleine Gesten und große Gesprächsthemen kommen sich zwei Fremde näher: So schön wie in «303» war schon lange keine Filmreise mehr.
«303» ist ab dem 19. Juli 2018 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
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