Hingeschaut

«2 Familien 2 Welten»: Bachelor trifft auf Hartz IV - und der Trash hält sich in Grenzen

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Nach dem Erfolg von «Zahltag!» versucht sich RTL an diesem Dienstagabend mit einer weiteren Sozialdoku, die das schon leicht verbrauchte Konzept Culture Clash sehenswert neu erzählt - allerdings nicht an die Cleverness des Vorgängers heranreicht.

Zur Person: Christian Tews

Ex Bachelor Christian Tews (38) ist inzwischen Geschäftsführender Gesellschafter von Tyme Out GmbH und der Studio Check GmbH. Seine Frau Claudia (41), ist Geschäftsführende Gesellschafterin der Burkhard Müller Schmuck GmbH, zur Zeit aber Hausfrau.
Wie sehr treibt die soziale Frage die Menschen in Deutschland um? Blickt man auf die Ergebnisse der jüngsten Wahlen und die Themenfelder, die medial seit Monaten und eigentlich schon Jahren vorherrschend sind, kann man zu dem Schluss kommen, dass die Deutschen aktuell kaum andere Sorgen bewegt als die Migration und innere Sicherheit. Doch während die SPD eine Wahlschlappe nach der anderen kassiert, die Linken im soliden Mittelmaß rumdümpeln und soziale Gerechtigkeit auf einschlägigen Nachrichtenplattformen einigermaßen gut versteckt hinter dem neuesten Flüchtlingselend, Horst Seehofers weiteren Masterplänen und irgendeiner Twitter-Tirade von Donald Trump versteckt zur Sprache kommt, durchlebt das deutsche Fernsehen - und allen voran die RTL-Gruppe - einen wahren Sozialdoku-Hype.

Der geht inzwischen so weit, dass nun schon zum zweiten Mal in Folge der Dienstagabend sowohl bei RTL als auch bei RTL II komplett im Zeichen dieser Programmfarbe steht und der Zielgruppen-Marktführer aus Köln in dieser Woche die bereits fünfte frische Sozialdoku innerhalb von nur vier Wochen ausstrahlt. Gleichwohl: So richtig frisch klingt das Konzept von «2 Familien 2 Welten» eigentlich nicht, denn die Idee, eine wohlhabende Familie (in diesem Fall jene von Ex-«Bachelor» und Unternehmer Christian Tews) auf eine Hartz-IV-Familie treffen zu lassen, hatte zuletzt nicht nur Sat.1, sondern im Grunde auch RTL selbst schon - immerhin läuft am späten Abend mit «Reich trifft Arm - Das Sozialexperiment» eine Sendung mit sehr ähnlich gelagertem Konzept. Zumindest gegenüber der senderinternen Alternative kommt der Pilot aber weitaus geerdeter, authentischer und letztlich auch schlichtweg sehenswerter daher.


Nervöser Beginn, spannender Kaufhaus-Besuch


Nach einer noch latent schleppenden Anfangsphase, in welcher hauptsächlich die beiden partizipierenden Familien vorgestellt werden, kommt es nach gut 20 Minuten Netto-Sendezeit zum ersten wirklichen Aufeinandertreffen der beiden Familien - und im Grunde merkt man schon hier, dass man als Freund authentischer dokumentarischer Formate weiter am Ball bleiben kann. Beiden Familien sind ihre Nervosität und ihre ersten Berührungsängste deutlich anzumerken, wobei in dieser Beziehung die tatsächlich in ein völlig neues "Reich" eintretende und überdies weniger medienerfahrene Hartz-IV-Familie doch noch deutlich nervöser wirkt.

Nach der ersten gegenseitigen Besichtigung der Domizile bestehen die weiteren gezeigten Impressionen vornehmlich aus gegenseitigen Einladungen zu Aktivitäten, die zum jeweiligen Alltag der Familien gehören: Im Falle der Tews etwa zu einem Markt, an dessen Obststand man gerne auch mal sechs Euro für ein kleines Schälchen Brombeeren zahlt - im Falle der Schäfer/Freys etwa zum Sozialkaufhaus, das wiederum der Millionärsfamilie kein wirklicher Begriff ist. Und vor allem der Besuch dieses Kaufhauses führt Zuschauer wie Beteiligte vor Augen, wie sehr die Kluft zwischen Arm und Reich auch konstruiert werden kann: Während nämlich die beiden noch sehr kleinen Tews-Kinder sichtlich Spaß und keinerlei Berührungsängste in dem charmanten Second-Hand-Laden haben, bekundet der ältere Teenager-Sohn, dass man diesem Geschäft schon ansehe, dass bei "denen, die hier einkaufen, irgendwas falsch gelaufen sein muss", während Christian selbst Bedenken hat, hier Kleidung zu erwerben, weil die ja "schon jemand getragen hat".


Nach dem Aufeinandertreffen ist vor der Reflexion


Diese Kommentare bleiben übrigens nicht einfach so im Raum stehen, sondern werden von den beiden Familien im Nachhinein noch aufgearbeitet. Denn der vielleicht beste Kniff dieser Sendung ist die Idee, den beiden Familien schlichtweg das gefilmte Material aus dem insgesamt rund zwei Monaten umfassenden Projekt im Nachhinein zu präsentieren und diskutieren zu lassen. An einigen Stellen merkt man in diesen Momenten, wie der eine oder andere Protagonist sichtlich beschämt zurückrudert und die aus der Situation heraus getätigten Äußerungen in ein besseres Licht zu rücken versucht - was wiederum auch viel darüber aussagt, wie selbstverständlich Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten (oder generell über die "Out-Group") geneigt sind, übereinander herzuziehen, wenn man es diesen nicht direkt ins Gesicht sagen muss.

Ferner interessant: Im Laufe der Folge entwickelt sich schon eine Art Eigendynamik dahingehend, dass die Familie bzw. in erster Linie das Ehepaar Tews beginnt, in die Rolle des Lebensberaters und Almosengebers zu schlüpfen, das immer öfter Mitleid mit dem Gegenüber empfindet und meint, ihm etwas Gutes tun zu müssen. Insofern sind Aktionen wie Tews-finanzierte Umstyling-Maßnahmen und die Erteilung eines Auftrags an das nach Selbständigkeit strebende Oberhaupt der Hartz-IV-Familie schon etwas kritisch zu beurteilen, denn von einer Begegnung auf Augenhöhe ist im Laufe der Folge immer weniger zu spüren.

Kleiner Quotentipp: Wie gut läuft «2 Familien 2 Welten» in der Zielgruppe (14-49 Jahre)?
Herausragend, ich erwarte 15% oder mehr.
8,2%
Ziemlich gut, zwischen 12,5% und 15% sind drin.
34,9%
Mittelprächtig, aber noch zweistellig.
32,2%
Nicht einmal zweistellig, erwarte nur etwas mehr als 8%.
11,6%
Desolat, wird nicht mal 8% einfahren.
13,0%


Fazit: Sehenswert, aber gewöhnlicher als «Zahltag!»


Davon abgesehen bietet «2 Familien 2 Welten» aber solide, angenehme und durchaus sehenswerte zwei Stunden Abendunterhaltung und gehören zu den besseren Vertretern der Culture-Clash-Dokusoaps, die sich in der Vergangenheit wie Gegenwart ja durchaus auch schon einige Male damit begnügten, Reiche als eben jene verwöhnte Schnösel und Arme als eben jene zahn- und hirnlose Asis zu präsentieren, die ohnehin schon dem platten Klischeebild entsprechen. Wer es differenzierter mag, ohne jedoch allzu sehr in die Tiefenstruktur der sozialen und kulturellen Faktoren einzutauchen, die sozioökonomischen Disparitäten zugrunde liegen und aus denen die unterschiedlichen Lebensstile und Denkweisen resultieren, kann sich am Dienstagabend gerne bei RTL heimisch fühlen.

Der Zweistünder fordert sein Publikum nicht in nennenswerter Weise, unterhält es aber ordentlich und verkauft es nicht für dumm. Für den deutschen Fernsehmarkt ist er somit eine kleine, feine Randnotiz, der man nicht wirklich böse sein mag, der allerdings anders als «Zahltag!» das Potenzial zum großen Hit weitgehend fehlt. Dafür ist die Grundidee schon zu angestaubt und die Umsetzung lässt vom reflexiven Element der gemeinsamen Aufarbeitung des Erlebten zu sehr innovative Elemente vermissen. Konnte man beim «Koffer voller Chancen» noch trefflich darüber streiten, ob und inwiefern die Idee, Hartz-IV-Familien ihre Brutto-Jahresbezüge von rund 30.000 Euro auf einen Schlag auszuzahlen, für die Protagonisten mehr Chancen oder Risiken birgt, beschreitet 99pro media eher schon bekannte und längst nicht mehr zu kontroversen Diskursen anregende Pfade. Das macht die Sendung nicht schlechter, aber weniger außergewöhnlich.

RTL zeigt vorerst nur eine Folge von «2 Familien 2 Welten» am Dienstagabend um 20:15 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/102867
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