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Als Donald-Duck-Typ nehme ich seither eine (meist augenzwinkernde) Antipathiehaltung gegenüber den kreuzbraven Figuren im Disney-Pantheon ein. Micky Maus ist der Erzfeind, der dem viel wandelbareren und sympathischeren Donald verdienten Platz in den Verkaufsregalen klaut. Und Winnie Puuh ist als Figur ja auf unverschämte Weise brav, lieb, unschuldig und süß! Pah, pfffft, naserümpf! Doch auch ich musste seit jeher dem honiggelben Pulloverträger eines anerkennen: Er und seine Geschichten sorgen für gute, sorgenlose Stimmung.
Zumindest potentiell. Denn für mich gab es stets zwei Versionen von Winnie Puuh. Und nein, ich meine nicht "A.A. Milnes Original und Disneys Auffassung". Selbst wenn sich diese Unterscheidung kulturhistorisch treffen ließe. Ich trenne zwischen dem Puuh für alle und Puuh, dem Kindergärtner. Ersterer ist für mich der "echte Puuh": Er und seine Freunde aus dem Hundert-Morgen-Wald wurden vielleicht primär mit einem Kinderpublikum in Gedanken entworfen … Aber wenn der genügsame Winnie Puuh, das ängstliche Ferkel, der lethargisch-pessimistische I-Ah, der hibbelig-positive Tigger und die gern vergessenen, weiteren Hundert-Morgen-Wäldler mit ihren archetypischen Persönlichkeiten interagieren, kann ein geistreicher, intellektueller Witz durch ihre Zeilen wehen. Das gelang etwa im charmanten «Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh» oder auch im Kurzfilm «Winnie Puuh und I-Ahs Geburtstag». Und natürlich in vielen Milne-Geschichten.
Aber dann gab es auch die Phase, in der Disney seinen Winnie-Puuh-Output von der erwachsenen Pfiffigkeit befreite. «Ferkels großes Abenteuer» und «Heffalump – Ein neuer Freund für Winnie Puuh» etwa sind kaum mehr als Vorschulunterhaltung – und liegen damit weit hinter dem Potential der Hundert-Morgen-Wald-Figuren, die mit ihrer einzigartigen Interaktion ein größeres Publikum erreichen sollten. 2011 korrigierte Disney diesen Kurs glücklicherweise – mit dem vollkommen zu Unrecht an den Kinokassen untergegangenem «Winnie Puuh», einem ebenso liebenswerten wie gewitzten Zeichentrickfilm. Dies war wieder ein oberflächlich kinderorientierter Familienfilm mit viel Reiz für's ältere Publikum.
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Filmfacts: «Christopher Robin»
- Regie: Marc Forster
- Produktion: Brigham Taylor, Kristin Burr
- Drehbuch: Alex Ross Perry, Tom McCarthy, Allison Schroeder
- Story: Greg Brooker, Mark Steven Johnson
- Darsteller: Ewan McGregor, Hayley Atwell, Bronte Carmichael, Mark Gatiss
- Musik: Geoff Zanelli, Jon Brion
- Kamera: Matthias Koenigswieser
- Schnitt: Matt Chessé
- Deutscher Kinostart: 16. August 2018
"Normale" Winnie-Puuh-Geschichten handeln entweder von einem Jungen, der mit seinen Stofftieren spielt (und zuweilen auch mit Waldtieren) oder von (Stoff-)Tieren, mit denen gespielt wird. Und wir sollen uns auch mit den kindlichen Protagonisten identifizieren, also auch völlig in die Fantasiewelt eintauchen. Die Titel- und Identifikationsfigur von «Christopher Robin» ist dagegen ein erwachsener Familienvater, der seine berufstätige, aufgeweckte und gütige Ehefrau sowie die gemeinsame Tochter kaum noch sieht. Nicht, weil er sich nicht für sie interessieren würde. Er hat nicht aus den Augen verloren, was wichtig im Leben ist. Er muss nur gerade eine andere, dringende Verantwortung ins Auge fassen.
Denn der schwer arbeitende Mann mit nervigem Nachbarn ist ein halbwegs wichtiges Tier in seiner Firma, muss allerdings unentwegt ausbaden, dass sein Chef ein arbeitsscheuer, sich einen feuchten Kehricht um seine Angestellten kümmernder Kerl ist, der sein eigenes Metier nicht wirklich versteht und die Firma zu ruinieren droht. Will Christopher Robin seinen Job und das berufliche Wohl seines Kollegiums retten, muss er also doppelt und dreifach arbeiten. Was ungelegen kommt, denn Christopher Robin und seine Frau wollen eigentlich ein Wochenende auf dem Land verbringen, ehe das letzte Wort über die schulische Zukunft ihres Kindes gesprochen wird.
Wirklichkeitsnaher, aus der erwachsenen Lebensrealität entliehener Tobak. Doch Forster erzählt ihn, nach einem Drehbuch von Alex Ross Perry, Tom McCarthy und Allison Schroeder, mit einer altmodisch-magischen Kunstfertigkeit, so dass es eben nicht zu einem niederschmetternden Verrat an der Marke Winnie Puuh verkommt. Und das jüngere Publikum wird dank eines selbst in aller Überarbeitung charismatisch-tapsigen Ewan McGregor als Christopher Robin behände durch den spröden, Puuh-losen Filmeinstieg geleitet. Von Kameramann Matthias Koenigswieser in herbstlichen, ruhigen Farbtönen eingefangen, erzählt «Christopher Robin» daraufhin, wie eben dieser vor der Verzweiflung stehender Mann durch die unverhoffte Rückkehr seines kindlichen Gemüts allmählich wieder das Licht am Ende des Tunnels sieht. Das bietet genug Puuh-ismen, um auch die Jüngeren zu amüsieren.
«Christopher Robin» ist dabei keine weltfremde "Lasst uns einfach nie erwachsen werden!"-Lektion, sondern viel mehr, in bester Puuh-Manier, in aller Schlichtheit brillant: Durchschnaufen, im Nichtstun Inspiration und Kraft schöpfen, und sich nicht von seiner Verantwortung niederknüppeln lassen, denn sonst könnte man sie gar nicht mehr erfüllen. Mit der wiederkehrenden Kindlichkeit Christopher Robins wird sein Film sogar von den weiteren Hundert-Morgen-Wald-Persönlichkeiten durchzogen. Es gibt etwa eine tiggertastische Slapstick-Passage quer durch London und eine gute Prise I-Ah-Sarkasmus, der in seiner Unverdorbenheit nicht einmal erkennt, wie sarkastisch er ist. Das holt natürlich auch die Kleinen ab, und sei es auf einer anderen Ebene als bei den Erwachsenen.
«Christopher Robin» hat bereits jetzt, elf Tage nach seinem US-Kinostart, global mehr eingenommen als der 2011er-«Winnie Puuh», und ist trotzdem mit seinen 62 Millionen Dollar nicht einmal am Starttagergebnis eines «Avengers | Infinity War» angelangt. Es stehen natürlich gewisse Sorgen im Raum: Selbst wenn niemand erwartet hat, dass «Christopher Robin» in wirtschaftliche Marvel-Höhen emporsteigt, bleibt die Frage offen, ob es solche mittelgroßen, melancholisch angehauchten, schlichten Disney-Filme noch lange im Kino zu sehen gibt.
Gut möglich, dass die blockbusterversessenen Disney-Studios so etwas wie «Christopher Robin» künftig einfach auf ihrem Streamingservice parken. Das wäre eine Schande. Aber es bringt wohl nichts, sich nun deshalb aufzuregen. Zumal Wut keinen Platz im Hundert-Morgen-Wald hat. Für Zorn habe ich ja schon meinen Donald. Und ich glaube, auch er wird nicht vor Eifersucht platzen, wenn ich sage, dass «Christopher Robin» zwar kein Film für alle ist, aber einer, der für alle empfehlenswert ist, die an einer Reise vom Hundert-Morgen-Wald nach London interessiert sind. Wer weiß denn schon, ob wir so eine Reise jemals wieder auf der Kinoleinwand machen dürfen?
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