Die Kritiker

«Polizeiruf 110 - Das Gespenst der Freiheit»

von

Forget it, Meuffels, it's the Verfassungsschutz: Der ARD-Sonntagabendkrimi präsentiert diese Woche ein apokalyptisches Sicherheitsszenario.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Matthias Brandt als Hanns von Meuffels
Jasper Engelhardt als Farim Kuban
Joachim Król als Peter Röhl
Kais Setti als Ayhan
Victoria Sordo als Sonja
Ricarda Seifried als Glupschi
Christian Erdt als Kolthoff

Hinter der Kamera:
Produktion: X Filme Creative Pool
Drehbuch: Günter Schütter
Regie: Jan Bonny
Kamera: Nikolai von Graevenitz
Produzent: Michael Polle
Bei Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) sitzt eine junge Frau auf dem Revier. Verängstigt sagt sie aus, vor ein paar Stunden fast das Opfer einer Vergewaltigung, vielleicht eines Mordes geworden zu sein. Glücklicherweise konnten aber noch vier junge Männer einschreiten und den Übergriff abwenden.

Von Meuffels hat die vier Männer bereits verhaften und zurück nach München bringen lassen. Er ist felsenfest davon überzeugt, dass an der Geschichte der jungen Frau vieles faul ist: nicht zuletzt der Umstand, dass der vermeintliche Täter, ein syrischer Flüchtling, mit schwersten Verletzungen in der Klinik liegt und die Nacht vermutlich nicht überleben wird.

Die konkreten Ausführungen, die Meuffels auch später einem der vier jungen Männer mit wohldosierter Theatralik vortragen wird, offenbaren eine ungeheure Brutalität: Der syrische Flüchtling hat mehrere Dutzend Tritte gegen den Kopf und Körper erlitten, sein Gehirn schwamm in einer Suppe aus geronnenem Blut und seine Halswirbel waren ihm schier aus dem Schädel gerissen. Das passt ins Bild: Von den vier jungen Männern sind alle Neonazis, zwei von ihnen vorbestraft, einer mit iranischem Migrationshintergrund: Farim Kuban (Jaspar Engelhardt), ein verlorener Junge, meint Meuffels, und beginnt für ihn trotz aller Ablehnung so etwas wie Sympathie zu empfinden, zusammen mit einem eisernen Willen, ihn aus der Gruppe zu lösen und zurück auf den rechten Weg zu bringen.

Auf Meuffels‘ Anordnung landet die versammelte Mannschaft in Untersuchungshaft. Dort schaltet sich ein älterer Mann namens Peter Röhl (Joachim Król) ein, der von Farim Informationen über seine Neonazi-Gruppe will und im Gegenzug verlockende Vergünstigungen anbietet. Röhl ist vom Verfassungsschutz und verfolgt andere Zielsetzungen als Meuffels, der die U-Haft eigentlich als psychisch effektive Methode verstand, die Gruppendynamik der vier Verbrecher zu beseitigen und einen zum Auspacken zu bringen. Doch auf Röhls Betreiben wird Kuban V-Mann – und in dieser Funktion, mit Röhls tatkräftiger Unterstützung und Anleitung, krimineller als je zuvor.

Nach allem, was aus den NSU-Akten über die deutschen Verfassungsschutzbehörden bekannt ist, könnte dieser Film als Sachverhaltsaufklärung durchgehen. Vor dem Hintergrund der gezeigten Brutalitäten, der Inkompetenz, der dubiosen Motive und effektiven Methoden ist das wohl die erschreckendste Diagnose. Röhl ist ein Profi, und er zieht an Farim Kuban das ganze Programm durch: Anfixen und freundlich sein, gut zureden und Perspektiven eröffnen, dann: unter Druck setzen, eskalieren, zersetzen, erniedrigen.

Fasst man diesen Film als realistisches oder zumindest realitätsnahes Porträt der Strategien und Arbeitsweisen der Verfassungsschutzbeamten in Kontaktmannfunktion auf, ergibt sich die notwendige Schlussfolgerung, dass ihre Methoden mit denen von STASI-Beamten weitgehend identisch sind: nur dass sie nicht demokratische Dissidenten treffen, sondern juristisch und ethisch Schuldige.

Doch das Thema Gerechtigkeit ist nicht das primäre Untersuchungsfeld dieses «Polizeirufs». Vielmehr geht es um Gruppendynamiken in rechtsextremen Milieus und die sonderbaren bis zweifelhaften Methoden, mit denen sich der Staat ihre innere Desorganisation zunutze machen will. Dabei spricht dieser Film zahlreiche Probleme an: die vielen stillen oder gar nahezu offenen Sympathisanten, die Rechtsextreme in den Reihen der Strafverfolgungsbehörden, ob Polizei oder Verfassungsschutz, haben, sowie die Attraktivität des rassistischen Rechtsextremismus‘ für Ausgestoßene, Marginalisierte, Versager und eine gewisse Unterschicht der Oberschicht, die in der Gruppe für den notwendigen intellektuellen Überbau zuständig ist.

„Das Gespenst der Freiheit“ ist in jedem Fall ein einnehmendes, psychologisch erstaunlich elegant geführtes Portrait von diesem Milieu geworden, und von einer Figur insbesondere: Farim Kuban, dem Arier aus dem Nahen Osten, der an vorderster Front in der Nazi-Gruppe mitprügelt, von dem Meuffels glaubt, er wolle „doch nur dazugehören“, und dem Röhl konsequent die Schlinge um den Hals zieht. Nicht immer angenehm ist, dass nicht nur Kommissar Meuffels, sondern auch der Film bisweilen starke Sympathien für diese Figur aufbaut, ihr Gelegenheiten zur Abbitte auf dem Silbertablett serviert und sie insgesamt menschlicher führt als den Rest dieses Nazi-Abschaums.

Das Ende dieses Films kann man derweil verschiedenartig interpretieren, je nachdem, wem man glauben möchte: einerseits als Negierung der besonderen Sympathie für Farim Kuban und als Warnung davor, einen Haufen Nazis nach Brauntönen sortieren zu wollen – die vielleicht sinnigere, aber wohl weniger intendierte Version. Andererseits auch als letzte Grenzüberschreitung des Verfassungsschutzes, in der die aufsummierten Schweinereien zum vollständigen institutionellen Versagen werden.

Das Erste zeigt «Polizeiruf 110 – Das Gespenst der Freiheit» am Sonntag, den 19. August um 20.15 Uhr.

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