«Das schönste Mädchen der Welt»-Fakten
- Regie: Aron Lehmann
- Drehbuch: Judy Horney, Lars Kraume
- Produktion: Peter Eiff, Theodor Gringel, Timm Oberwelland, Sebastian Zühr
- Musik: Robin Haefs, Djorkaeff, Boris Bojadzhiev
- Kamera: Andreas Berger
- Schnitt: Ana de Mier y Ortuño
- Kinostart: 6. September 2018
In «Fack ju Göhte» und «Fack ju Göhte 2» werden schon harmlose Normalos als nervige Streber deklariert und die Leistungsverweigerer, Mobber, Störenfriede und eitlen Selbstdarsteller zum neuen Normal und zu Helden hochstilisiert. Lernen ist scheiße, lesen voll out und irgendwie auch gay und so, und selbst wenn Herr Müllaaah voll gemein zu ihr sein kann, ist der ja irgendwie auch echt fast so wie die Chantal und so … «Fack ju Göhte» und «Fack ju Göhte 2» schlagen sich mehrmals auf die Seite der Mobber sowie Pöbler und rüpeln sich in knalligen Neonfarben auf irgendeinem Weg an die Popularitätsspitze – nicht nur des deutschen Jugendkinos, sondern des modernen deutschen Kino generell.
Dann kommt «Fack ju Göhte 3» und schließt die Trilogie mit einem Film ab, der sich einen Arm ausreißt, um irgendwie die Botschaft rüber zu bringen, dass auch andere Jugend-Subkulturen als die der Chantals und Dangers dieser Welt ihre Daseinsberechtigung haben, man sich vielleicht für sein Abitur auch mal ins Zeug legen könnte und Mobbing ja mal echt wirklich voll nicht okay ist. Und diese redlichen Bemühungen werden während der Promophase einfach mal wieder mit dem Hintern eingerissen, indem PR-Partner des Films in sozialen Netzwerken Kritikerinnen und Kritiker beschimpfen, die dem "FinalFack" keine makellose Review geben. Na, ganz großes Kino!
Zum Glück haben wir das Elend aber endlich hinter uns, und ein neuer Challenger ist im Ring. Wobei das echt kein fairer Wettbewerb ist. Die qualitative Krone boxt er «Fack ju Göhte» mit links und im Halbschlaf vom Schädel. Ob er kommerziell in die selben Höhen emporsteigt, wird sich dagegen zeigen müssen und ist angesichts der Rekordzahlen der «Fack ju Göhte»-Reihe extrem unwahrscheinlich. Aber vielleicht gibt es ja noch etwas Gerechtigkeit auf der Welt. Dann würde die (bislang) beste deutsche Jugendkomödie dieses Jahrzehnts auch zur erfolgreichsten werden: «Das schönste Mädchen der Welt», oder wie ich diesen Geniestreich nenne … das Anti-«Fack ju Göhte»!
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Und ohne je den Moralfinger zu erheben, sondern stets aus dem narrativen Momentum heraus, rechnet «Das schönste Mädchen der Welt» mit Mobbern und Mitläufern ab – ganz ohne rührseligen "Ich erkläre euch, wie toll Liebe und Toleranz sind"-Monolog der Marke «Wonder Woman», «Guardians of the Galaxy Vol. 2» oder «Valerian – Die Stadt der tausend Planeten». Statt sich über "Eierköppe" lustig zu machen und Ausdrucksfähigkeit als "voll nerdig «Big Bang Theory»" zu bezeichnen, lädt «Das schönste Mädchen der Welt» dazu ein, über die Cleverness und Wortgewandtheit des Filmhelden Cyril zu staunen.
Und, nein, das ist kein Rhetoriker-Eiergekraule wie im zwar teils cleveren, trotzdem kreuzbraven «Die brillante Mademoiselle Neila». Cyril, toll gespielt von Aaron Hilmer («Einsamkeit und Sex und Mitleid»), hat selber Eitelkeiten, Frustrationen und andere Macken – und bricht aus seinem schüchternen Naturell aus, sobald er mit Hoodie und Goldmaske bewaffnet in ein Rap-Battle steigt. Dort nutzt er seinen Verstand und seine Wortgewandtheit für derbe, schlagfertige Diss-Attacken, bei denen es seinen Kontrahenten die Sprache verschlägt. Für einen noch schüchternen, weniger eloquenten Mitschüler (sehr lustig: «Der Club der roten Bänder»-Star Damian Hardung) wiederum spielt er Ghostwriter umwerfend schöner, gewitzter Liebes-Raps, um die Neue in der Klasse zu umgarnen, die titelgebende Roxy (Luna Wedler, «Flitzer»).
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Gewissermaßen steht «Das schönste Mädchen der Welt» also in der Tradition von «10 Dinge, die ich an dir hasse», wo Julia Stiles schauspielerisch ähnlich auftrumpfen darf wie hier Luna Wedler. Der Vergleich zwischen «Das schönste Mädchen der Welt» und «10 Dinge, die ich an dir hasse» kommt übrigens auch aus einem weiteren Grund nicht von ungefähr. So, wie der Kultfilm von 1999 auf dem Shakespeare-Stück «Der Widerspenstigen Zähmung» basiert und es scheinbar mühelos modernisiert und aufgepeppt hat, nimmt sich «Das schönste Mädchen der Welt» einen anderen Klassiker zum Vorbild, nämlich «Cyrano de Bergerac» von Edmond Rostand. Nur dass nun keine Liebesbriefe, sondern romantische WhatsApp-Nachrichten (sowohl als Text als auch als Sprachnachricht) verschickt werden.
- © Tobis
Um zum Schluss zu kommen: «Das schönste Mädchen der Welt» gelingt, was über «Fack ju Göhte» behauptet wird, ich aber nie nachvollziehen konnte – und dann joggt er noch ein paar Ehrenrunden. Die Dialoge sind authentisch, statt völlig mit Teenie-Sprachphänomenen überfrachtet. Unsere Vorbilder Cyril und Roxy sind eine Spur eloquenter als einige ihrer Klassenkameraden, aber auch sie nutzen völlig natürlich Anglizismen, Jugend-Akronoyme und anderes Vokabular aus dem modernen Schüler-Soziolekt. Es gibt perfekt sitzende Seitenhiebe auf Deutschlands Schulnotlage ("Früher hattest du drei Bekloppte in der Klasse, heute drei, die es nicht sind!", schnauzt Heike Makatsch als genervte Lehrerin), aber man verrennt sich nicht in Dauerholzhammer-Demontage. Und statt in Dauerrüpeleien auszuarten, dosiert «Das schönste Mädchen der Welt» seine herben Momente perfekt, so dass sie sitzen wie ein gut platzierter linker Haken.
Ein enorm engagierter Cast, starke Musik und ein cleveres Drehbuch, das zeitgemäß ist und dennoch nicht so krass dem aktuellen Zeitgeist entliehen ist, dass es schon morgen wieder veraltet ist, machen «Das schönste Mädchen der Welt» somit zu einer dringenden Kinoempfehlung. Nicht nur für die Kernzielgruppe, die sich im Alter der Hauptfiguren befindet. Denn das hier sollte das Massenphänomen werden, das die «Fack ju Göhte»-Trilogie war!
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