Die Kritiker

«WACH»

von

Das kleine Fernsehspiel zeigt einen Film wie einen Exzess. Der ist so einnehmend wie kulturpessimistisch geworden. Doch die Zentrale Frage der Figuren bleibt unbeantwortet: Warum machen die das?

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Jana McKinnon als C.
Alli Neumann als Nike
Dennis Mojen als Jesco
Annika Kuhl als C.s Mutter
Alexander Scheer als Mann im Pornokino
Hanno Koffler als Angreifer
Lary als Einlasserin

Hinter der Kamera:
Produktion: Kim Frank Produktion und ZDF - Das kleine Fernsehspiel
Drehbuch: Kim Frank und Hannah Sioda
Kamera und Regie: Kim Frank
Produzenten: Kim Frank und Marc-Daniel Dichant
C. (Jana McKinnon) und Nike (Alli Neumann), zwei junge Frauen aus sozial weitgehend desolaten Verhältnissen, schließen einen Plan: Sie wollen so lange wie möglich wach bleiben; denn tagelanger Schlafentzug führt bekanntermaßen zu high-ähnlich Euphoriezuständen. Die Rahmenbedingungen sind klar: keine Drogen (zu unberechenbar), keine Typen (ebenfalls zu unberechenbar; außerdem herrscht zwischen den beiden Frauen selbst eine sexuelle Spannung) und kein Draußen, keine Uhrzeiten, keine Hinweise, ob es gerade Tag oder Nacht ist. Nichts, was den Plan stören könnte. Alle diese selbstauferlegten Regeln werden sie in den nächsten Tagen brechen.

«Wach» geriert sich als ein Film wie ein Exzess: Die Kamera ist Teil des Spiels, sie wird von C. und hin und wieder von Nike gehalten, als Teil ihres Experiments, das immer stärker außer Kontrolle gerät, doch dieser Kontrollverlust ist erzählerisch wie handlungsintrinsisch eingepreist, er ist Zweck und Zielsetzung. Assoziativ dazwischen geschnitten werden gerne besonders antiquierte Sequenzen aus amerikanischen Drogenaufklärungsfilmen der Eisenhower-Ära oder phallische Raketenstarts während einer Ménage à trois mit dem smarten und so einfühlsamen wie betuchten Jesco (Dennis Mojen), den sich die Beiden in einem Club aufreißen. Aufmerksamkeit sollen auch die grellgelben oder schrillpinken Schrifttafeln erregen, die turnusmäßig angeben, wie lange die zwei kaputten Mädels schon keine REM-Phase mehr durchlebt haben.

Doch die eigentliche Ambition von «Wach» scheint keine filmische, sondern eher eine soziale zu sein. Die eloquent und in gleichgültig gewordener Ausweglosigkeit vorgetragene kulturpessimistische Haltung von C. wird schon früh als Erklärungsansatz eingeführt, für eine Frage, die erst gegen Schluss immer klarer wird: Wie konnte es so weit kommen? Warum machen die das?

Mit seinem betont naturalistischen Duktus, der Vermeidung von verwässernder Schönfärberei und der gekonnten Kontrastierung von alltäglicher Tristesse und dem Mäandrieren zwischen rauschartiger Euphorie und bitterster Erschöpfungsdepression gelingen diesem Film viele eindrucksvolle Momente. Ebenso gefällt die nuancierte Gegenüberstellung der beiden zentralen Frauenfiguren: Nike sieht schon in minderjährigem Alter keine Hoffnung mehr, dem Elend ihres bisherigen Lebens zu entkommen, während C. zumindest eine persönliche Zukunftsvision aufrechterhalten kann.

Doch die Wirkung dieser Momente bleibt punktuell, und eine Betrachtung dieses Films aus der Makroperspektive fördert nur wenig zutage, was über die konkrete Geschichte dieser beiden Frauen hinausdeuten könnte – eine Ambition, die «Wach» jedoch mit seinem philosophierenden Voice-Over und der betont künstlerischen Montagetechnik zu verfolgen scheint.

Denn auch wenn C.s konsum-averse Ausführungen in sich sinnig und auf hohem intellektuellen Niveau vorgetragen werden, können sie doch nicht als kohärenter Erklärungsansatz für all die Entwicklungen herhalten, die die Figuren in diesem Film durchmachen, während die assoziativ eingefügten Archivaufnahmen von aus heutiger Sicht geradezu infantil bornierten amerikanischen Aufklärungskampagnen das Betrachtungsspektrum um keine relevante Ebene erweitern und vielmehr die österreichische «Sendung ohne Namen» ins Gedächtnis rufen, die mit einer radikaleren Technik auch jenseits ihrer satirischen Ambition deutlich Substanzielleres zu ihren jeweiligen Themen beitragen konnte.

Das ZDF zeigt «WACH» am Montag, den 17. September um 00.05 Uhr. Bei Funk und in der ZDF-Mediathek ist der Film am 17. September ab 20.00 Uhr zu sehen.

Kurz-URL: qmde.de/103791
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