Hingeschaut

'Schmisos' «Champions Corner»: Wie ein Stadionbesuch mit Augenbinde

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Mit «Champions Corner» schuf Sky Sport News den Gegenentwurf zu Sport1‘ «Fantalk» und versucht in kleinerer Runde die fehlenden Live-Bilder möglichst gut zu kompensieren. Gelingt das?

Millionen von Fußballfans in Deutschland schauen in dieser Champions-League-Saison in die Röhre. Grund dafür ist Sky, das sich von der UEFA endgültig alle Übertragungsrechte der europäischen Königsklasse bis 2021 sicherte. Wollen Fußballliebhaber also die Partien live verfolgen, führt kein Weg an einem Pay-TV-Abo vorbei. Doch ab dieser Saison will Sky auch Sportfans abholen, die sich keinen Vertragsabschluss beim Bezahlsender leisten. Die Champions-League-Spieltage werden von Sky Sport News zu echten Events aufgemotzt. Moderationen und Vorberichte sowie Analysen nach den Spielen treten beispielsweise hinter der Bezahlschranke hervor und werden erstmals frei empfangbar zu sehen sein. Das eigentliche Herzstück eines jeden Champions-League-Dienstags und -Mittwochs soll für Free-TV-Zuschauer allerdings «Champions Corner» werden – zumindest, wenn es nach Sky geht.

Der seriösere Gegenentwurf zum «Fantalk»?


Das neue Talk-Format, das jeweils ab 20.45 Uhr an jedem Champions-League-Spieltag beginnen soll, weckte nämlich vorab einige Assoziationen zu einem Platzhirsch im Free-TV. Die Idee, Champions-League-Spiele ohne die Live-Bilder zu begleiten und stattdessen nur darüber zu sprechen, stammt nämlich von Sport1, das um diese Prämisse seit 2009 seinen «Fantalk» betreibt, der in der vergangenen Saison häufig um die 500.000 Zuschauer unterhielt. Würde «Champions Corner» auch nur in Reichweite dieser Marke kommen, könnte es zum erfolgreichsten Format von Sky Sport News aller Zeiten werden. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich «Champions Corner» allerdings als der auf etwas mehr Seriösität bedachte Gegenentwurf zum kernigen und launigen Fantalk, der neben seiner Ansiedlung in einer Essener Kneipe auch stets meinungsstarke Charakterköpfe einlädt. Komplementärpositionierung lautet also die Devise bei Sky. Damit sind die Zielgruppen des «Fantalks» und von «Champions Corner» nicht genau die gleichen.

Meinungsstark und launig kann «Champions Corner»-Moderator Florian Schmidt-Sommerfeld zwar auch, allerdings gastieren beim Sky Sport News-Format je nur drei Personen und zwei davon sind fest eingeplant. Bei einem festen Gast handelt es sich um Ex-Bundesligatrainer Mirko Slomka, beim anderen um die beIn-Sports Journalistin Margot Dumont, die sonst in Frankreich tätig ist. Schon an dieser Besetzung lässt sich ablesen, dass «Champions Corner» seiner Ankündigung als Talk- und Analyseformat gerecht werden will und dabei auf den Reigen an Ex-Fußballern oder lediglich fußballaffinen Prominenten verzichten will, den sonst der «Fantalk» unter Billigung von einer Prise Fußball-Populismus bei Sport1 auffährt .

Soll es doch mal unterhaltsamer und weniger analytischer werden, stellt der rotierende dritte Gast das Zünglein an der Waage dar. Zur Premiere der Sendung nahm diesen Part Sky-Kommentator Wolff Christoph Fuss ein, der in der 135-minütigen Sendung auch gleich die Rolle des Unterhalters einnahm. Doch bei einer kleineren Runde liegt die Verantwortung für eine unterhaltsame Gesprächsleitung umso mehr beim Host. Während die Sport1-Kollegen Helmer und Co. den größeren «Fantalk»-Runden vornehmlich die Bälle zuspielen, muss sich der junge „Schmiso“ selbst mehr in die Analysen, Diskussionen und Meinungen einbringen, um den Gesprächsfluss am Leben zu halten.

Gelungener Doppelpass mit den Pay-TV-Kollegen


Facts zur «Champions Corner»

  • Sender: Sky Sport News
  • Genre: Fußballtalk und -analyseformat
  • Moderation: Florian Schmidt-Sommerfeld
  • Sendezeit: je ab 20.45 Uhr, an Champions-League-Spieltagen jeden Dienstag und Mittwoch
  • Laufzeit: 135 Minuten
  • Gäste: Mirkos Slomka, Margot Dumont (beide fest), je ein wechselnder Gast
Eine Minibar und die Ledersofas, auf denen die Protagonisten der «Champions Corner» Platz nehmen, verschaffen dem Format zwar eine entspannte Atmosphäre, ganz vom künstlichen Studio-Look kann sich der Talk aber nicht lösen. Hier geht der Punkt im Head-to-Head-Vergleich an Sport1, das mit der Kneipenszenerie eine authentischere Atmosphäre schafft. Authentisch ist er aber auch, der „Schmiso“. Treten die Sky-Moderatoren im Rahmen der Vorberichte stets im Jacket auf, fläzt Schmidt-Sommerfeld in Shirt und Cap auf der Couch. Überhaupt bleibt die Kleiderordnung leger. Über einen Verhaspler gleich im ersten Satz, ausgerechnet beim Wort „Champions League“, lässt sich schnell hinwegsehen. Der Moderator mit der Reibeisen-Stimme, die so gar nicht zum jugendlichen Äußeren passt, bleibt entspannt und spannt gekonnt seine Gäste ein.

Sky Sport News ließ sich alles Mögliche einfallen, um die fehlenden Live-Bilder zu kompensieren. Klare Pluspunkte sammelt «Champions Corner» durch das Zusammenspiel mit den hinter der Bezahlschranke verschwundenen Live-Spielen, von denen die Sendung beispielsweise immer mal wieder Live-Kommentare einspielen lässt – allerdings häufig erst im Nachhinein bei entscheidenden Szenen wie beispielsweise einem gehaltenen Elfmeter des Schalker Torhüters Ralf Fährmann. Auch die Idee, Live-Kommentare einzubinden, hatte ursprünglich Sport1, als der Privatsender noch sein Sportradio Sport1.fm unterhielt, mit dem der Privatsender ab und an seine Sendungen fütterte, die Live-Bilder gerade nicht bieten konnten. Und mehr noch: Ganz ohne Live-Bilder muss «Champions Corner» nicht auskommen. Noch beim Einlaufen dürfen Zuschauer die Profis, in diesem Fall von Borussia Dortmund und Club Brugge, beobachten. Sogar die Champions-League-Hymne, die auch die Magie eines Abends in der Königsklasse ausmacht, wird noch abgewartet, ehe es zurück ins Studio geht.

Als weiteres Stilmittel lässt «Champions Corner» den Stadionton eines ausgewählten Spiels im Hintergrund weiterlaufen, um mehr Atmosphäre zu erzeugen. Das funktioniert gut: Neben Fangesängen wird der Zuschauer direkt aufmerksam auf spannende Szenen, die sich in Form raunender bis rufender Fans äußern. Beim «Fantalk» ergibt sich dieses Element durch das Kneipenpublikum. Bei Gelegenheit schaltet die «Champions Corner» live per Ton zu Field-Reporter Marcus Lindemann nach Brügge oder sogar mit Bild zu ausgewählten Kommentatoren, die in der Konferenz gerade durchschnaufen können. Live-Kommentar, Stadionton, Field Reporter – das Format nutzt die Ressourcen, die Sport1 abgehen und spielt stets Doppelpass mit den Pay-TV-Kollegen. Um 22.20 Uhr schallt es dann auch erstmals „Tooor auf Schalke!“ durchs Studio. Auch die aus der Konferenz bekannten Torschreie unterbrechen also bei Abschlusserfolgen der deutschen Teams die Runde und lassen den Talk damit so nahe wie möglich an die Live-Übertragung heranrücken.

Lässiger Host, X-Faktor Gäste


Florian Schmidt-Sommerfeld, sonst nur vornehmlich Kommentator, groovt sich schnell in die Moderation seines ersten Studioformats ein, führt lebendig durch die Sendung und animiert seine Sitznachbarn zum Mitmachen. Während Mirko Slomka eher durch Analysen und Insiderwissen aus der Fußballbranche glänzt und Fuss durch seine gewohnt gelassene Authentizität und markige Sprüche auffällig wird, sucht Margot Dumont nach der ersten Folge noch ihre Rolle. Zunächst bringt sich die Deutsch-Französin erst ein, wenn sie direkt angesprochen wird, lässt ihren männlichen Kollegen so den Vortritt. Von ein paar Sprachstolplern abgesehen, taute Dumont danach zunehmend auf, womit die Reporterin ihr Fachwissen schon in der Auftaktsendung unter Beweis stellte. Womöglich hilft sie dem Talk, der durch nur vier Teilnehmer ja so von deren Redefreude lebt, sobald sie sich im Format noch wohler fühlt.

Der Inhalt bleibt im vorab Erwartbaren. Wenn es mal aufregender wird in den Champions-League-Stadien, teilweise in mehreren gleichzeitig, bemüht sich das Quartett den Überblick zu behalten, die Sendung nicht chaotisch werden zu lassen. Nicht immer gelingt der Blick auf alle Spiele. Dumont, die am nähsten am Bildschirm sitzt, muss ab und an den fleischgewordenen Ergebnisticker geben. Ansonsten bezieht sich die Runde regelmäßig auf die Geschehnisse im Spiel, wobei der Fokus mit dem Duell zwischen Brügge und Dortmund auf einem Spiel liegt. Und wenn mal gar nichts passiert, dann wird es Zeit für Hintergründe und das Gesamtbild. So weit, so bewährt – ab und an ergänzen Grafiken und Statistiken zu ausgewählten Spielen den stets durchs Bild laufenden Ergebnisticker. Um die 80. Spielminute herum fällt Schmidt-Sommerfeld dann auf, das Social Media etwas zu kurz gekommen sei. Diesen Lapsus benennt der 28-Jährige klar und auf sympathische Art und Weise. Denn „Social Media ist die Zukunft“, das weiß selbst der 14 Jahre ältere Fuss. Auch auf die ausbaufähige Touchpad-Monitor-Koordination kommt die Viererrunde im ersten Sendungsfazit zu sprechen. Doch sei's drum, denn nach Ablauf der ersten 90 Minuten Champions League in dieser Saison blickt Sky Sport News auf einen Neustart zurück, dem viel gelungen ist, ehe das Format in die Nachberichte übergeht, die sowohl Interviews als auch erste Highlights der Spiele enthalten.

So nah wie möglich am Geschehen


Letztlich stellt sich «Champions Corner» wie vorab angenommen als Programm heraus, das Kontraste zum «Fantalk» bietet – und das bewusst. Damit bedient die „Schmiso“-Sendung teilweise auch andere Interessen als die Sport1-Konkurrenz, womit sich festhalten lässt: Ab dieser Champions-League-Spielzeit ist für jeden fußballbegeisterten Free-TV-Zuschauer ein guter Kompromiss vorhanden. Beim «Fantalk» mit höherem Kult-Faktor ist besser aufgehoben, wer bei einem Bierchen Public Viewing in der Kneipe nachempfinden will, wer auf einen lebendigeren, lauteren, zuweilen auch chaotischeren, aber auch etwas unterhaltsameren Live-Spiel-Ersatz Lust hat.

Wer dafür trotz fehlender Bilder möglichst nah an den Spielen sein will, sollte dagegen «Champions Corner» wählen, das die Vorteile der Pay-TV-Übertragungen, darunter Stadionton, Live-Kommentare oder direkte Eindrücke vom Spielfeldrand, in einer Light-Variante präsentiert. Mit Schmidt-Sommerfeld hat der Sky-Neustart einen Charakterkopf gefunden, der Lust auf mehr macht, wobei abzuwarten bleibt, ob der Talk nicht durch die noch etwas blassen festen Gäste und vor allem durch den wechselnden Gast leiden könnte, der sich sicherlich nicht immer so einfügt wie der abgeklärte Wolff Fuss.

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