Filmfacts: «Utøya 22. Juli»
- Start: 20. September 2018
- Genre: Thriller/Drama
- Laufzeit: 92 Min.
- FSK: 12
- Kamera: Martin Otterbeck
- Musik: Wolfgang Plagge
- Buch: Siv Rajendram Eliassen, Anna Bache-Wiig
- Regie: Erik Poppe
- Darsteller: Andrea Berntzen, Aleksander Holmen, Solveig Koløen Birkeland, Brede Fristad
- OT: Utøya 22. juli (NOR 2018)
Soviel sei den folgenden Zeilen vorweggenommen: Genau das ist Poppe gelungen. Doch die technische Raffinesse von «Utøya 22. Juli» kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das mit Elementen des Horror- und Actionfilms inszenierte Überlebensdrama auf der einen Seite voll von bitterem Zynismus ist und der Film auf der anderen nicht mehr zu bieten hat, als eben das Nachempfinden einer Katastrophe. Beides widert an.
Und plötzlich fallen Schüsse...
Die 18-jährige Kaja (Andrea Berntzen) verbringt mit ihrer jüngeren Schwester Emilie ein paar ausgelassene Ferientage in einem Sommercamp auf der norwegischen Insel Utøya. Es gibt Streit zwischen den Schwestern und Kaja geht alleine zu dem geplanten Barbecue. Angeregt diskutieren die Jugendlichen über aktuelle politische Entwicklungen, als plötzlich Schüsse fallen. Erschrocken suchen Kaja und die anderen Schutz im Wald. Rasend kreisen ihre Gedanken. Was passiert um sie herum? Wer sollte auf sie schießen? Kein Versteck scheint sicher. Doch die Hoffnung auf Rettung bleibt. Und Kaja setzt alles daran, Emilie zu finden. Während die Schüsse nicht verstummen wollen.
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Das ist alles zweifelsohne sehr effektiv. Wenn hier gefühlt direkt neben einem die Pistolenkugeln einschlagen, duckt man sich zwangsläufig immer wieder ausweichend, bis man die von den Opfern kurz vor ihrem Tod durchlebte Panik irgendwann tatsächlich zu erahnen glaubt. Dass Poppe dies mithilfe eines Kinofilms gelingt, ist ohne Zweifel beeindruckend. Doch da ist ja auch noch die zweite, die erzählerische Ebene, die es einfach nicht zulässt, einen Film wie «Utøya 22. Juli» guten Gewissens schauen zu können.
Effektiv, aber mit sehr zweifelhafter Intention
Schon bei der Charakterzeichnung der fiktiven Hauptfigur Kaja kommt Poppe von der noblen Intention weg, einfach nur „zu zeigen, wie es war“. Das Skript von Siv Rajendram Eliassen und Anna Bache-Wiig («Lifjord – Der Freispruch») macht die zweifelsfrei intensiv von Newcomerin Andrea Berntzen verkörperte junge Frau zur fast außerweltlichen Heldin, bloß um sie im Schlussakt einem derben, gezielt auf den Überraschungseffekt setzenden Twist zu opfern. Dieser derart kalkulierte Schockeffekt steht symptomatisch dafür, wie sehr «Utøya 22. Juli» in seiner gesamten Wahrnehmung doch darauf abzielt, den Zuschauer aktiv zu schockieren; nicht durch die Ereignisse an sich, sondern durch die effekthascherische Inszenierung. So arbeitet Erik Poppe bisweilen gar mit Jumpscare-ähnlichen Motiven, schürt Ekel durch gezielt in den Fokus gerückte Blutwunden oder spielt direkt mit den Erwartungen des Zuschauers, um sie im nächsten Moment für den schnellen Schock zu unterwandern.
All das sind Dinge, die man einem Regisseur und Drehbuchautor (Poppe konzipierte die Story selbst) bei anderen Projekten hoch anrechnen würde. Doch im Falle von «Utøya 22. Juli» ist all das nicht bloß fehl am Platz, Poppe widerspricht sich dadurch auch noch vehement selbst. Und so mag man mit dem Kauf eines Kinotickets zwar auf fragwürdige Weise nachempfinden können, wie man so einen Amoklauf wohl am eigenen Leib erlebt, doch Poppe scheint das nicht zu reichen und reichert die Szenerie filmisch mit genretypischen Motiven an, um das Ganze – wenn schon, denn schon – auf eine unangenehm dramatische Spitze zu treiben.
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Anhand kleiner Details versucht Erik Poppe verzweifelt, darauf aufmerksam zu machen, dass er vor ebendiesen den angebrachten Respekt hat; etwa wenn er den Namen des Attentäters selbst in der finalen Texteinblendung nicht nennt, was im Anbetracht von Behring Breiviks tragischer Berühmtheit absolut sinnlos ist; erst recht, da bei den Leinwandereignissen sonst so gut wie jedes zeitliche und ortsbasierende Detail beibehalten wurde. Doch letztendlich ist «Utøya 22. Juli» nicht mehr als filmischer Katastrophentourismus. Sich so etwas Makaberes mit gutem Gewissen anzusehen, widerstrebt zumindest uns ganz entscheidend.
Fazit
So intensiv sich «Utøya 22. Juli» aus handwerklicher Sicht auch präsentiert, ist die Nachstellung des Terrorattentats auf der norwegischen Insel ein pietätloses Machwerk, das Erik Poppe mit nobler Intention begonnen haben mag, diese aber irgendwann verloren haben muss.
«Utøya 22. Juli» ist ab dem 20. September in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
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