Thoma und seine Kritik am Fernsehen
Die wichtigsten Aussagen des Interviews können Sie auch hier noch einmal nachlesen.Nun ist es alles andere als neu, dass Thoma gerne unangenehme Wahrheiten ausspricht. Auch in seinem jüngsten Interview hat der inzwischen 79-Jährige mit Sicherheit richtige Punkte benannt. Mit einigen seiner Aussagen scheint Thoma allerdings übers Ziel hinausgeschossen zu sein. Quotenmeter.de hat sich fünf diskussionswürdige Zitate aus dem Horizont-Interview mit Helmut Thoma herausgesucht - und geprüft, wie stichhaltig diese sind.
Thomas These Nr.1: „RTL lebt, wenn man es genau nimmt, von der sogenannten Prime Access Time. Da sind sie stark, aber das ist lauter altes Programm: «Explosiv», «Exclusiv», «GZSZ» (…). Mit dem Erfolg dieser Formate werden auch andere neue Formate in die Höhe getrieben.“
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Während «RTL aktuell» und «GZSZ» für überragende Quoten stehen, fahren die Magazine und «Alles was zählt» zumeist solide bis gute Marktanteile ein. Für den Tagesmarktanteil eines Senders ist ein funktionierender Vorabend zwar wichtig, wirklich entscheidend ist aber die Primetime. Dass RTL von der von Thoma benannten „Prime Access Time“ lebt, ist also nicht vollkommen richtig.
Noch zweifelhafter ist allerdings Thomas Behauptung, nach der der Erfolg des Vorabends auch andere RTL-Formate in die Höhe treibe. Hier scheint fast das Gegenteil der Fall zu sein. Während der Vorabend seit Jahren eine überraschend hohe Konstanz beweist und «GZSZ» derzeit sogar erfolgreicher unterwegs ist als noch vor einigen, schwächeln viele Primetime-Formate bei RTL. Der stärkste Tag der Kölner in der Primetime ist traditionell der Samstag mit seinen Castingshows, die es aus eigener Kraft auf tolle Quoten bringen. «Life» läuft vorab sehr viel schwächer.
Thomas These Nr.2 „Im privaten Fernsehen teilen sich zwei große Gruppen den gesamten Kuchen auf, ProSiebenSat.1 und RTL haben 86 Prozent Marktanteil im Privatfernsehen.“
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Dem gesamten Privatfernsehen bleiben somit knapp 60 Prozent des Marktes - doch sind ProSiebenSat.1 und RTL hier wirklich derart dominant wie Thoma behauptet? Bei 14,9 Prozent Marktanteil lagen alle ProSiebenSat.1-Sender im August, während die Kanäle der Mediengruppe RTL auf 19,3 Prozent gelangten. Auf den gesamten Fernsehmarkt bezogen beanspruchen die beiden großen Sendergruppen „nur“ rund ein Drittel für sich. Betrachtet man dagegen den privaten Fernsehmarkt - wie auch Thoma es macht - kommen RTL und ProSiebenSat.1 unseren Berechnungen zufolge auf rund 60 Prozent. Das ist zweifellos eine stattliche Zahl, die aber deutlich unter Thomas 86 Prozent liegt.
Allerdings sieht die ganze Rechnung schon etwas anders aus, wenn man nur auf die 14- bis 49-Jährigen schaut. Hier sicherten sich ProSiebenSat.1 und RTL zuletzt knapp 60 Prozent Marktanteil - wohlgemerkt auf den gesamten Markt bezogen. Beschränkt man sich nun lediglich auf den privaten Markt beim jungen Publikum, dürfte man Thomas 86 Prozent zumindest schon sehr viel näher kommen. Ob die Zahl exakt so stimmt, können wir aufgrund fehlender Daten nicht zweifelsfrei überprüfen.
Thomas These Nr. 3: „Wenn wir es genau betrachten, ist es in Deutschland heute so, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten praktisch eine Art Altenheimversorgung darstellen; bei den Jungen, 14- bis 29-Jährigen, sind sie marginalisiert.“
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Etwas besser sieht es für die öffentlich-rechtlichen Kanäle übrigens bei den 30- bis 49-Jährigen aus, hier sind es immerhin 6,3 Prozent für Das Erste bzw. 6,4 Prozent fürs ZDF, die im September bislang zu Buche standen. Bei den ganz jungen Zuschauern können ARD und ZDF fast nur noch punkten, wenn eine Sportübertragung ansteht. Wenige Marken wie die 20 Uhr-Ausgabe der «Tagesschau,» die in allen Altersgruppen bis hin zu den ganz jungen Menschen sehr gefragt ist, stellen eine Ausnahme dar.
Thomas These Nr. 4: „ProSieben wiederholt bis zu 200-mal eine Folge von «Big Bang Theory», sonst ist kaum etwas vorhanden“
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Dass sonst "kaum etwas vorhanden" sei, ist seitens Thoma relativ unpräzise formuliert. Fakt ist, dass auch ProSieben in der jüngeren Vergangenheit nicht von deutlichen Quoteneinbußen verschont geblieben ist, die auch einem in Teilen innovationslosen Programm geschuldet sind. Immerhin hat der Sender in Aussicht gestellt, in der kommenden Saison deutlich mehr in Eigenproduktionen investieren zu wollen als zuletzt. Vor allem am Dienstag und am Samstag darf sich das Publikum auf mehr frische Ware freuen.
Thomas These Nr. 5: „Netflix ist ein Phänomen, aber ich weiß nicht, ob es sich auf Dauer hält.“
Natürlich ist diese Aussage weder richtig noch falsch. Wie sich der TV- und Streamingmarkt entwickelt, kann niemand vollkommen absehen. Es gibt allerdings einige Indizien, die dafür sprechen, dass Thoma die Bedeutung von Netflix und Co unterschätzt. Fakt ist, dass sich das Fernsehen bis heute über sehr hohe Reichweiten freuen darf, weil viele Ältere weiterhin fleißig einschalten. Zahlreiche Menschen unter 30 (die verglichen mit den Best Agern und Rentner eine Minderheit in der Bevölkerung abbilden), fühlen sich aber bei Netflix, Amazon und YouTube zu Hause. Dem klassischen Fernsehen haben sie teilweise den Rücken zugekehrt. Die Branche hat längst erkannt, dass Handlungsbedarf besteht.
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Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
24.09.2018 08:44 Uhr 1
24.09.2018 10:14 Uhr 2
24.09.2018 10:29 Uhr 3