Die Kritiker

«24 Hours – Two Sides of a Crime»

von

In einer belgischen Kleinstadt werden in einer Bankfiliale Geiseln genommen. «24 Hours» erzählt diese Geschichte seinem Untertitel gemäß aus zwei Perspektiven – und diese Serie hat es in sich.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Sophie Decleir als Mercedes De Vos
Lukas De Wolf als Ibrahim El Ghazoui
Jereon Perceval als Arne Michiels
Willy Thomas als Roeland Wagemans
Johan Van Assche als Ivo De Rouck
Titus de Voogdt als Elias De Sutter
Maaike Neuville als Freya van Landschoot

Hinter der Kamera:
Produktion: FBO, Woestijnvis, Telenet, Vier, ZDFneo und Dynamic Television
Drehbuch: Jonas Geirnaert und Julie Mahieu
Regie: Gilles Coullier und Dries Vos
Kamera: David Williamson und Brecht Goyvaerts
Produzenten: Hilde de Laere und Michiel Devlieger
Früh morgens wird die Polizei in einer belgischen Kleinstadt nahe Brüssel von einer Geiselnahme in einer beschaulichen Bankfiliale informiert. Die erfahrene Geiselverhandlungsführerin Mercedes De Vos (Sophie Decleir) lässt diesmal ihren jüngeren und noch nicht wirklich geübten Kollegen Ibrahim (Lukas De Wolf) mit den Verbrechern telefonieren. Sie selbst will im Hintergrund die Strategie des Teams koordinieren. Ruhig, bedacht und professionell, wenn auch etwas fahrig begegnet Ibrahim den völlig unrealistischen Forderungen seiner Gegner und konzentriert sich auf das, was bei einer Geiselnahme immer im Sinne der Polizei ist: Zeit gewinnen und deeskalieren.

Wie der Untertitel der Serie – „Two Side of a Crime“ – bereits ankündigt, wechselt bald die Perspektive: Wir begeben uns ins Innere der Bank, zu den Geiselnehmern. Wer dort einen bis ins Detail ausgeklügelten, hundertfach geprobten und mit größter Disziplin durchexerzierten Plan erwartet, ist auf dem Holzweg. Sicher: Die Verbrecher sind nicht doof, haben ein Konzept, sind auf viele Eventualitäten vorbereitet, aber: Sie sind keine mit allen Wassern gewaschenen kriminellen Genies. Und obwohl sie keine Hemmungen haben, ihren Geiseln Bomben(attrappen?) um den Hals zu legen, sie zu fesseln und zu knebeln, scheinen sie doch aufrichtig besorgt zu sein, jemanden umlegen zu müssen.

Wer die überlange erste Folge dieser Serie in kurzem zeitlichen Abstand zur spanischen Heist-Sensation «Haus des Geldes» von Netflix und Antena 3 sieht, wird einen Kontrast feststellen, der größer kaum sein dürfte und sich nicht nur auf den Gegensatz zwischen dem sonnigen Madrid und dem nasskalten Brüsseler Umland erstreckt. Denn während schon Jahre vor dem Sturm auf die spanische Gelddruckerei ein gewitzter intellektueller Profesor jede Eventualität durchdacht hatte, fehlt in Belgien ein solcher überaus kluger Kopf. Demzufolge müssen die schweren Jungs in Flandern recht viel improvisieren.

Noch gravierender ist jedoch ein Unterschied im Duktus, der sich auch in der Wirkung niederschlägt: In Spanien jagte ein Plot-Twist den nächsten, gerne kurios, sonderbar und hammerhart unrealistisch bis seicht sentimental-erotisch. Im nüchternen Belgien herrscht jedoch mitunter: viel Leerlauf.

Was bei einem anderen Format ein herber Kritikpunkt wäre, ist hier jedoch ein funktionaler wie funktionierender Bestandteil des Konzepts. «24 Hours» erzählt eine Geschichte, die nah an einem tatsächlich vorstellbaren Ereignis liegt, das zudem – freilich nur für nicht unmittelbar Betroffene – eine gewisse Alltäglichkeit an sich hat. Anders als das «Haus des Geldes» beschreibt diese westeuropäische Koproduktion keine erstaunliche Sensation, sondern einen schrecklichen, aber für die allgemeine Lebensrealität nicht unfassbaren Vorgang: Überfall und Geiselnahme in einem kleinen Bankhaus, nicht Sturm auf die streng bewachten Notenpressen.

So ruhig und bedacht wie das Team der belgischen Polizei – trotz aller kurzzeitigen Eskalationen – den Fall abarbeitet, wird die Geschichte auch erzählt. Anstatt sie um spektakuläre Bilder und rasante, packende Entwicklungen herumzuschreiben, nimmt sich «24 Hours» Zeit für ausführliche Betrachtungen der betroffenen Personen auf allen drei Seiten: der Polizisten, der Täter und der Opfer. Trotz – oder vielleicht wegen – dieser unaufgeregten, dabei aber äußerst spannenden, einnehmenden Erzählweise und der unerhörten, aber erstaunlich lebensnahen Geschichte geht von «24 Hours» mindestens eine ähnlich packende Sogwirkung aus wie von den illustren Gelddruck-Gangstern aus Südeuropa – wenn auch mit völlig anderen erzählerischen Mitteln.

ZDFneo zeigt «24 Hours – Two Sides of a Crime» ab Freitag, den 5. Oktober täglich ab 21.45 Uhr. Alle Folgen sind bereits in der ZDF-Mediathek abrufbar.

Kurz-URL: qmde.de/104252
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