Hingeschaut

«Dingsda»: Formvollendete Gemütlichkeit bei dramatischer Spannungsarmut

von   |  3 Kommentare

Die Neuauflage des einstigen Kultformats besinnt sich auf die gute, alte Zeit des harmlosen Familienfernsehens. Das ist nicht unsympathisch, entspricht aber überhaupt nicht dem Zeitgeist - und läuft damit Gefahr, im Jahr 2018 totgeknuffelt zu werden.

Geschichte von «Dingsda»

  • lief in Deutschland zunächst zwischen 1985 und 1987 im BR, bevor die ARD die Sendung 1988 ins Hauptprogramm hievte und bis 1999 ausstrahlte
  • Moderator war bis 1994 Fritz Egner, der in den letzten Jahren von Werner Schmidbauer ersetzt wurde
  • damals lief die Show nicht am Vorabend, sondern dienstags zur besten Sendezeit um 20:15 Uhr
  • zwischen 2001 und 2002 bemühte sich Thomas Ohrner erfolglos um eine Revitalisierung bei kabel eins
  • stammt ursprünglich aus den USA, wo die Show aber nur von 1982 bis 1983 auf CBS lief - übrigens unter dem Titel «Child's Play», unter dem US-Amerikaner heutzutage eher den blutrünstigen Horrorschocker «Chucky - Die Mörderpuppe» kennen
Auf diesen Freitag dürfte der eine oder andere Show-Verantwortliche des Ersten Deutschen Fernsehens hingefiebert haben, denn mit der Neuauflage von «Dingsda» präsentiert der Sender erstmals überhaupt in diesem Kalenderjahr ein frisches Format für den Vorabend, nachdem man freitags um 18:50 Uhr zuletzt auf weitere Folgen von «Wer weiß denn sowas?» sowie dem «Quizduell-Olymp» gesetzt hatte. Die von Mareile Höppner moderierte Neuauflage der einstigen Kultsendung steht dabei vor der schweren Aufgabe, ein Narrativ zu widerlegen, wonach der öffentlich-rechtliche Sender auf diesem Slot mit bewährten Marken deutlich besser fährt als mit neuen Shows - exakt dieses Phänomen ließ sich in den vergangenen Jahren nämlich stets beobachten, als sich Matthias Opdenhövel ebenso schwer tat wie Michael Antwerpes und Guido Cantz. Nach Sichtung der Auftaktfolge muss man allerdings erhebliche Zweifel am Hitverdacht anmelden, denn der Transfer des Kultes in die Neuzeit des Fernsehens gelingt leider nur unzureichend.

Das Konzept des Formats ist schnell erklärt: Zwei Promi-Duos duellieren sich um ein Preisgeld in Höhe von 3.000 Euro, das sie für wohltätige Zwecke spenden. Sie müssen in mehreren Runden Begriffe erraten, die in Einspielfilmen von Kindern im Alter zwischen vier und acht Jahren erklärt werden, wobei es bei jeder richtigen Antwort Punkte auf das eigene Konto gibt - wer am Ende des Tages mehr Zähler auf dem Konto weiß als das gegnerische Duo, gewinnt die Sendung und damit auch das Geld.


Wohlfühlfernsehen bei konsequenter Spannungsverweigerung


Dabei lässt sich die Sendung vor allem zu Beginn extrem viel Zeit dabei, reichlich wenig Punkte an die Duellanten zu verteilen: Zunächst nämlich sind die Teams abwechselnd dran und dürfen sich die Umschreibungen der Kinder komplett anhören, bevor sie sich nach einer anschließenden Beratungszeit auf einen Begriff festlegen müssen. Das und Höppners früh getätigte Äußerung, dass «Dingsda» doch "absolutes Wohlfühlfernsehen" sei, deutet bereits an, was die Show kann und auch will: Harmlose, reduzierte und auf den leichten Spaß ausgelegte Unterhaltung anbieten, die ein wenig aus der Zeit gefallen scheint und doch im Grundgedanken vereint ist mit dem wohl größten Erfolg, den der Sender in der jüngeren Vergangenheit auf die Beine gestellt hatte: «Wer weiß denn sowas?». Insofern trifft es sich gut, dass Höppner auf Kai Pflaumes Unterstützung im Vorfeld bauen kann und beide Sendungen von UFA Show & Factual produziert werden.

Weiter geht es dann mit einer kurzen Runde, in der beide Teams gleichzeitig spielen und den gesuchten Begriff schneller erraten müssen als der Gegner. Ein wenig absurd geht es dann in der Zocker-Runde zu, in der die Teams Punkte setzen müssen - und schlichtweg welche geschenkt bekommen, wenn sie sich komplett verzockt haben. Spätestens an dieser Stelle dürften sämtliche auf einen einigermaßen ernsthaft geführten Wettstreit hoffende Zuschauer verstanden haben, dass sie hier an der falschen Adresse sind. Tempo kommt nach wie vor ebenfalls keines auf, in homöopathischen Dosen gibt es dieses erst in einer 90-sekündigen Schnellraterunde kurz vor dem großen Finale, in der Umschreibungen schnellstmöglich dem gesuchten Begriff zuzuordnen sind. Für ein wenig Abwechslung bei der ewigen Begriffe-Raterei sorgen kleine Einschübe, in denen die Kinder mit nicht ganz alltäglichen Gegenständen haptisch konfrontiert werden, sich an Pantomime versuchen dürfen und erfolgreiche Popsongs nachsingen.

Eine große Enttäuschung stellt dagegen das große Finale dar, in dem die Sendung überhaupt keine neuen konzeptionellen Impulse mehr setzt, sondern einfach ein weiteres Mal Begriffe nach alter Väter Sitte erklären lässt. Das einzige Element, das hier für Finalspannung sorgen soll, ist die Verzehnfachung der Punktzahl für das richtige Erraten des gesuchten Wortes. Damit hat man das Konzept, mit dem vor allem Fritz Egner (Foto links) etwa ein Jahrzehnt lang seinem Publikum große Freude gemacht hat, ziemlich exakt repliziert - das hat allerdings auch schon mehr als drei Jahrzehnte auf dem Buckel und stammt noch aus einem gänzlich anderen Medienzeitalter. Zumal «Dingsda» schon in den späten 90er- und frühen 2000er-Jahren zunehmend Probleme hatte, sein Publikum zu finden.


Kein Fernsehen für die Moderne: Schauen genug Nostalgiker zu?


Ob das funktionieren kann? Nicht ausgeschlossen, aber doch sehr fraglich. Einerseits kann man zurecht argumentieren, dass es ein Trugschluss ist, dass heimelige, unspektakuläre Feelgood-Unterhaltung made by Pflaume, Elton und Hoecker ganz hervorragend funktioniert, was zum Start auch nicht unbedingt jeder Fernsehkritiker vorhergesehen hatte. Und in der Tat ist es nach wie vor ulkig bis rührend, Kindern dabei zuzusehen, welche ganz eigenen Assoziationen sie zu Begriffen äußern oder wie begeistert sie eine Lava-Lampe anhimmeln. In dieser Beziehung ist BR-Unterhaltungschefin Annette Siebenbürger zuzustimmen, dass Kinder auch in der "nicht einfachen heutigen Zeit immer noch Kinder sind". Dass man diesen Umstand nach wie vor authentisch auf die Mattscheibe projiziert bekommt, macht dieses Comeback sympathisch und liebenswert und verpasst ihm somit auch eine gewisse Existenzberechtigung, die man kaum anzweifeln mag.

Andererseits ist aber auch festzuhalten, dass sich die Neuauflage ziemlich behäbig von einer zwischen nett und belanglos changierenden Spielrunde zur nächsten schleppt, die sich inhaltlich arg ähneln und quasi ausnahmslos keinerlei Spannung aufzubauen vermögen. Inwiefern das zu kritisieren ist, hängt maßgeblich auch davon ab, was man sich von seiner vorabendlichen Fernsehunterhaltung erhofft und inwiefern es einem Zuschauer noch reicht, anachronistisches Fernsehen in visuell modernisierter und personell veränderter Form zu sehen. Aus der Perspektive eines Mittzwanzigers, der «Dingsda» vornehmlich aus Erzählungen Älterer kennt und Formate wie «Gefragt - Gejagt» und «Schlag den...» für die Speerspitze des Entertainments im 21. Jahrhundert hält, ist keine allzu große Begeisterung für dieses eher biedere Harmlos-Format mit hohem Wohlfühl- und Putzigkeitsfaktor zu erwarten. Wer nach Entschleunigung und uneingeschränkt positiven Bildern strebt, mit kompetitiven Ansätzen nicht allzu viel anzufangen weiß und sich parallel zum Abendbrot schlicht berieseln lassen möchte, mag seine Freude haben.

Kleiner Quotentipp: Wie gut läuft «Dingsda» zum Auftakt beim Gesamtpublikum?
Das startet herausragend, 14% und mehr sind drin.
2,8%
Geht gut los, 12-14% halte ich für möglich.
9,7%
Joar, so nett halt: 10-12%.
25,0%
Mau, aber nicht schlecht, bei 8-10% wird es liegen.
36,1%
Mies, weniger als 8% - sowas guckt doch heute keiner mehr.
26,4%


Und genau letztgenannter Gruppe versucht Mareile Höppner hier eine Freude zu machen, indem sie sympathisch und locker durch die Sendung führt, mit ihrer neuen Rolle als Quizshow-Host überhaupt keine Probleme hat, allerdings auch nie wirklich gefordert wird oder nennenswerte eigene Akzente zu setzen versucht. Dass kaum ein Mensch im Studio-Publikum platznimmt, die wenigen "Auserwählten" dafür aber umso gemütlicher auf Couches sitzen dürfen, lässt sich ebenfalls wahlweise problematisieren, weil somit nun wahrlich keine große Stimmung aufkommt, oder gutheißen, weil einmal mehr formvollendete Gemütlichkeit in die heimischen Wohnzimmer rüberschwappt. Das Problem daran ist, dass Spannungsarmut und Temporeduktion zuletzt bei «Sag die Wahrheit» und «Flieg mit mir» auf diesem Sendeplatz zu einigermaßen katastrophalen Flops geführt hatten und bis auf das Grundinteresse an dieser Kultmarke wenig dafür spricht, dass die ARD mit dieser Neuauflage mehr Einschaltimpulse für die breite Masse zu setzen vermag. Doch vielleicht strafen einen die kommenden drei Monate auch Lügen und Pflaume und Höppner reifen zum neuen Traumduo für den Vorabend heran. Unwahrscheinlich, aber denkbar - und ein wichtiger Erfolg für Letztere, die als erste Frau überhaupt ein ARD-Vorabendquiz präsentiert und zuletzt mit «Stadt, Land, Haus» eine böse Bruchlandung am Nachmittag hingelegt hatte.

Das Erste zeigt zunächst zwölf Folgen der Neuauflage von «Dingsda» immer freitags um 18:50 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/104271
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Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
zombiehunter
06.10.2018 14:09 Uhr 1
Ich habe schon bereits bei einer Vorschau die Lust komplett verloren. Man merkte sofort, dass den Kindern jedes einzelne Wort in den Mund gelegt wurde.

Entweder sie lassen den Kindern ihre künstlicherische Freiheit oder sie lassen es besser wieder sein...
P-Joker
06.10.2018 14:55 Uhr 2


Und woran bitte "merkte" man das?
Fernsehfohlen
06.10.2018 15:10 Uhr 3
Ist mir auch ein Rätsel und entspricht überhaupt nicht dem Eindruck, den ich hatte. Man kann meines Erachtens vieles an dieser Neuauflage kritisieren, aber an den ausgewählten Kindern und ihrem Verhalten habe ich nun so gar nichts zu bemängeln gehabt.
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