Markus Wenniges
- 1996 - 2000: Studium der Geschichte, Publizistik und Spanisch in Göttingen, Granada und Groningen
- 2000 - 2001: Studium des EU Postgraduate Studiengangs "Euroculture" an der Rijksuniversiteit Groningen, Niederlande
- 2001 - 2002: Praktika und freie Mitarbeit an der Deutschen Botschaft in Mexiko und am Goethe-Institut Madrid
- ab 2003: Reporter, Redakteur und Videojournalist im ZDF. Berichte für Sondersendungen, «auslandsjournal», «heute - in Europa» und «ZDF.reportage»
- ab 2010: Stellvertretender Leiter der Redaktion «auslandsjournal»
- 2015 - 2017: Redaktionsleiter «ZDF-auslandsjournal»
- seit Oktober 2017: Leiter der Redaktion Dokumentationen in der Hauptredaktion Politik und Zeitgeschehen
Wir zeigen in unseren Dokumentationen oft Schicksale und Schicksalsschläge, die natürlich auch mir nahegehen und die ich auch manchmal mit nach Hause nehme. Sorgen versuche ich allerdings so gut es geht im Büro zu lassen. Dabei hilft sehr, dass unsere Redakteurinnen und Redakteure sehr eng und auf Augenhöhe mit den Autorinnen und Autoren unserer Dokumentationen zusammenarbeiten. Das bedeutet, dass uns alle Unterlagen und Recherchen zu den Themen vorliegen. Daraus ergibt sich, dass wir nur darüber berichten, was wir auch zweifelsfrei belegen können. Das als Vorbemerkung zu unserer Arbeitsweise und das lässt mich auch ruhig schlafen. In diesem konkreten Fall war es anders als von Ihnen dargelegt so, dass der Ausbau einer Nahverkehrs-S-Bahn-Strecke geplant ist. Der Filmtext dazu war: „Offiziell soll hier die S-Bahn-Linie 6 erweitert werden, um Verspätungen zu vermeiden, heißt es. Billiger Etikettenschwindel, sagen die Kritiker.“ Denn aus Unterlagen der DB Netz aus dem Jahr 2013, die dem Autoren vorliegen, geht jedoch hervor, dass auf dieser Strecke künftig auch mindestens 91 Güterzüge fahren.“
Schon oft hat sich «ZDFzoom» mit der deutschen Automobilindustrie auseinander gesetzt. Beispielsweise schützte die Bundesregierung jahrelang Volkswagen, obwohl das Land Niedersachsen am Unternehmen beteiligt ist. Haben Sie bei Ihrer Recherche erkennen können, ob die Verantwortlichen die Situation aussitzen wollen?
Auch bei diesem Thema berichtet «ZDFzoom» auf Grundlage der Auswertungen von Dokumenten und gibt sich keinen Spekulationen hin. Der Autor des Films «Geheimakte VW», Hans Koberstein, hat hunderttausende Seiten zur Abgasaffäre in monatelanger Arbeit gesichtet und ausgewertet. Darunter interne E-Mails von VW, des Kraftfahrtbundesamtes und auch aus dem Kanzleramt. Aus diesen Dokumenten wird in dem Film breit zitiert und dann die Schlussfolgerung gezogen: „Ein trudelnder Weltkonzern VW, der die gesamte deutsche Autoindustrie in den Abgrund reißen könnte. Eine Bundesregierung, die das verhindern will. Der Fall VW hat das Zeug zur Staatsaffäre.“ Diese Schlussfolgerung legt weniger ein Aussitzen der Situation als ein schützendes Eingreifen als Motiv nahe.
Bei Ihren Recherchen bekommen Sie oftmals keine offiziellen Interviews mit ranghohen Politikern. Hindert Sie das bei der Arbeit?
Unsere Recherchen behindert das zunächst erst einmal nicht. Grundsätzlich ist es für jede journalistische Arbeit gut, wenn Kritik an einer Vorgehensweise mit dem dafür Verantwortlichen besprochen werden kann. Das gilt für ein Thema aus der Privatwirtschaft genauso wie für Themen aus Kultur und Politik. Wenn wir aber auf unsere offiziellen Anfragen für ein Interview nur Absagen erhalten, ist dies, meiner Ansicht nach, nicht im Sinne unseres Auftrags und des Anspruchs unserer Zuschauer. Aus Medienbefragungen wissen wir, dass die Zuschauer erwarten, dass die kritischen Punkte eines Themas an die Verantwortlichen herangetragen werden. Insofern sind wir mit der zweiten Variante, der schriftlichen Antwort, immer nur begrenzt zufrieden, weil die Chance der dezidierten Nachfrage ausbleibt.
Wenn man «ZDFzoom» regelmäßig verfolgt, bekommt der Zuschauer den Eindruck, dass Politik und Wirtschaft sich gegenseitig schützen und der Bürger in vielen Dingen, wie der Bahn, der Kfz-Markenwerkstätten oder der Riester-Rente das Opfer ist. Können Sie sich vorstellen, dass einige Wähler aus Verdruss lieber die Alternative für Deutschland (AfD) wählen, da sie mit dem bisherigen Parteienspektrum jegliche Hoffnung verloren haben?
Ist die AfD eine Protestpartei? Über die Frage ließe sich sicher lange sprechen und streiten. Wir jedenfalls sehen es als eine unserer Hauptaufgaben an, Verstrickungen zwischen Politik und Wirtschaft aufzudecken. «ZDFzoom» hat bereits im ersten Jahr der Doku-Reihe, 2011, den Film gesendet «Die heimlichen Strippenzieher», in dem das System des Lobbyismus dargestellt wurde. Das zeigt, wie wichtig wir das Thema nehmen. Auch in vielen nachfolgenden Filmen, zum Beispiel zur Automobilwirtschaft, aber auch zu Finanzthemen, spielt der Aspekt der Beeinflussung immer wieder eine Rolle und wird dementsprechend aufgegriffen. Aus den Zuschriften und Reaktionen unserer Zuschauer wissen wir, dass dieser Effekt des Aufklärens, des „Augen-öffnens“ sehr geschätzt wird.
Ein monokausaler Zusammenhang mit Politikverdrossenheit oder Wahlentscheidungen, lässt sich daraus aus meiner Sicht aber nicht ableiten. Aber nochmal weil ich es für absolut essenziell halte: Wir fragen: Was ist falsch gelaufen, wer ist verantwortlich, was kann geändert werden? Mit diesen Fragen schauen wir den Mächtigen, egal welcher Couleur, auf die Finger und nehmen Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kritisch unter die Lupe. Das ist es, was «ZDFzoom» ausmacht und das ist meiner Meinung nach einer der Punkte, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für eine lebendige Demokratie so wichtig machen.
Zuletzt machten die Ausschreitungen in Chemnitz Schlagzeilen, bei denen rund 8.000 Menschen auf die Straße gingen. Oftmals werden viele dieser Personen als Rechte oder Neo-Nazis betitelt, aber kann dies sein, wenn die AfD derzeit zwischen 15 und 18 Prozent im Bundestrend liegt?
Wir betreuen in unserer Redaktion seit diesem Sommer auch das monatliche Talkmagazin «dunja hayali». In der September-Ausgabe haben wir uns eingehend mit den Ereignissen in Chemnitz beschäftigt und Dunja Hayali hat sich vor Ort während der Kundgebung, in welcher Vertreter von AfD und Pegida gemeinsam auftraten, selbst ein Bild gemacht und mit den Menschen gesprochen. Im Talk im Studio saßen dann Katrin Göring-Eckardt und Jörg Meuthen. Hierbei und aus den vielen und vielfältigen Zuschauerreaktionen wurde deutlich, dass die Frage, welche Worte wir für Phänomene oder Personen benutzen, in diesem Kontext besonders intensiv diskutiert wurde. Natürlich ist es gefährlich, zu pauschalisieren und nicht genug zu differenzieren, genauso gefährlich ist es meiner Meinung aber auch, wenn die Diskussionen um Begrifflichkeiten vom eigentlichen Thema ablenken und Probleme wegdifferenziert werden sollen.
Der deutsche Osten hat schon mehrfach seine Identität verloren: Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg, beim Mauerbau und zuletzt bei der Wiedervereinigung – jeweils zogen viele Menschen in den Westen der Republik. Im Westen kamen türkische, italienische und griechische Gastarbeiter ins Land, der Bologna-Prozess fördert den Austausch von europäischen Studenten. In der S-Bahn oder im Fitnessstudio höre ich viele unterschiedliche Sprachen, nehme dies allerdings nicht als Bedrohung hin. Ist dies auch ein Problem, das die Menschen im Osten haben?
Wir haben hier in unserer Redaktion gerade ein sehr spannendes Doku-Projekt im Jahr 28 nach der Wende verantwortet. Die Dokumentation trägt den Titel «Vereint und doch nicht eins?» und wurde am 3. Oktober um 19.30 gesendet. Darin geht es über weite Strecken darum, welche Erlebnisse und Entwicklungen die Stimmungslage vieler Ostdeutscher geprägt haben. Ob die Abwicklung durch die Treuhand damals oder die real auch heute immer noch niedrigeren Bruttolöhne – es gibt die objektiven Fakten, die die Unterschiede zwischen Ost und West klar zu Tage treten lassen.
Der Soziologie-Professor Raj Kollmorgen von der Hochschule Görlitz spricht in diesem Zusammenhang von einer „dauerhaften Enttäuschungskurve“, die sich bei vielen Menschen in den neuen Bundesländern nach Arbeitsplatz-Verlust, Hartz IV-Reformen, Bankenrettung und der sogenannten Flüchtlingskrise eingestellt habe. Die Dokumentation zeigt aber auch Erfolgsgeschichten von Menschen in Ostdeutschland, für die Kategorien wie West und Ost keine Rolle mehr spielen, die sich als Europäer sehen und für die unterschiedliche Sprachen und Kulturen als Bereicherung und nicht Bedrohung empfunden werden.
Ein Blick auf die Wahlstatistiken der Bundestagswahl 2017 in Sachsen und Thüringen zeigt, dass in den Städten Leipzig, Dresden, Chemnitz sowie Jena, Weimar und Erfurt der Anteil der AfD-Stimmen deutlich niedriger als der Landesdurchschnitt war. Demzufolge tut sich besonders die Bevölkerung auf dem Land mit dem Thema Flüchtlinge schwer?
Ich tue mich generell schwer damit, die Wahlerfolge oder Umfragewerte der AfD allein mit Schwierigkeiten mit dem Thema Flüchtlinge zu erklären oder diesbezüglich eine singuläre Kausalität herzustellen. Und wenn man auf das Thema „Integration von Geflüchteten“ schaut, bin ich der Meinung, dass man nicht pauschal sagen kann, dass dies im ländlichen Raum per se problematischer ist. Wir haben uns gerade vor wenigen Wochen in der «ZDFzoom»-Dokumentation «Neue Heimat, fremdes Land – Flüchtlinge in Deutschland» mit diesen Themenkomplexen beschäftigt. In ländlichen Regionen ist es sicherlich schwieriger, bedingt durch eine niedrigere Siedlungsdichte und größere räumliche Entfernungen, ein ausreichendes, bedarfsgerechtes und differenziertes Integrationsangebot zu gewährleisten.
Andererseits belegen empirische Studien, dass Zuwanderer in ländlichen Regionen ihr Leben in der Regel nicht als schwieriger empfinden, als in Großstädten. Die Nähe und Intensität des Zusammenlebens können sich günstig auf die Integration auswirken, indem Alteingesessene und Zugewanderte im Alltag viel häufiger aufeinandertreffen sowie miteinander kooperieren, als dies oft in Großstädten der Fall ist. Der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagte Ende 2016 „Die größere Verbundenheit der Alteingesessenen auf dem Land kann die Integration sowohl erschweren als auch erleichtern.“ Ich bin vor dreieinhalb Jahren aufs Land gezogen und habe sehr ähnliche und in den allermeisten Fällen sehr positive Erfahrungen in dieser Hinsicht gemacht.
Zum Schluss noch eine Frage zum Auflockern: Das ZDF besitzt nicht mehr die Rechte an der UEFA Champions League – können Sie und «ZDFzoom» in der kommenden Saison zu mehr Einsätzen kommen?
In den vergangenen Jahren ist «ZDFzoom» aufgrund von Champions League- Spielen am Mittwoch öfter ausgefallen. Allerdings hatten wir auch den Vorteil, immer mal wieder direkt nach spannenden und quotenstarken Fußballspielen zu senden, und damit ein anderes, größeres und jüngeres Publikum mit unseren Themen zu erreichen. Beides fällt jetzt weg. Die frei gewordenen Plätze füllen wir mit dem neu hinzugekommen Talk-Magazin «dunja Hayali», was bedeutet, dass wir nicht weniger Dokumentationen senden, als in den vergangenen Jahren. Da wir als Redaktion auch für Dokumentationen auf Sonderplätzen verantwortlich sind, ist sogar das Gegenteil der Fall und wir haben unseren Output schon im laufenden Jahr erheblich gesteigert.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
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