Die Crew der Serie
- Serienschöpfer: Anna Winger, Jörg Winger
- Chefautorin: Anna Winger
- Executive Producer: Anna Winger, Jörg Winger, Sebastian Werninger, Ulrike Leibfried
- Regie: Florian Cossen, Arne Feldhusen
- Kamera: Matthias Fleischer, Kristian Leschner
'Normalzuschauer' verrissen die Serie, weil irgendwelche winzigen Kleinigkeiten in der Kostümgestaltung oder den Bildhintergründen nicht vollauf akkurat der Realität der frühen 80er-Jahre entsprechen würden, und ignorierten derweil sämtliche Vorzüge der Serie. Und mit guten Quoten konnte sich RTL über diese Erbsenzählerei auch nicht hinwegtrösten: «Deutschland 83» fiel mit Anlauf auf die Nase. Das ambitionierte Projekt, innerhalb von drei Staffeln über die Zusammenführung Deutschlands zu sinnieren, schien gestorben.
Aber zum Glück kam es anders: «Deutschland 83» wurde bei Amazon zu einem Erfolg, und nach einigen Verhandlungen wurde bestätigt, dass die Serie dort weitergehen soll – mit einer Zweitauswertung bei RTL. Nun, drei Jahre später, ist es endlich so weit. Auch die Welt innerhalb der Historienserie hat sich weitergedreht. Die zweite Staffel heißt nun «Deutschland 86», spielt konsequenterweise drei Jahre nach der ersten Season und zeigt den Sozialismus, wie er hinter dem Eisernen Vorhang und speziell in der DDR ausgelebt wurde, am Scheideweg. Die Schulden bei der BRD steigen in schwindelerregende Höhen, die Lebensmittelproduktion hält beim besten Willen nicht mit dem Bedarf Schritt und Moskau zeigt Ost-Deutschland nunmehr die kalte Schulter. Internationaler Handel, vor allem mit einträglicher Ware wie Waffen, soll die DDR retten. Vorwürfe, man würde nun Kapitalismus betreiben und die eigenen Ideale verraten, schüttelt man mit stoischem Gesichtsausdruck hinfort.
Kein Wendepunkt in der Geschichte des geteilten Deutschlands ohne Agent Martin Rauch (Jonas Nay): 1983 nach Südafrika verbannt, gelingt er nun dank seiner Tante, HVA-Agentin Lenora Rauch (Maria Schrader), zurück ins Feld. Seine Mission, für die er sich als Waffenhändler ausgeben muss, führt ihn von Südafrika nach Angola, Libyen und Paris bis hin nach West-Berlin und schließlich zurück in seine heimische DDR. Diese Reise konfrontiert unseren Protagonisten mit erbarmungslosen Stellvertreterkriegen, dem Kampf gegen die Apartheid und dem Aufheulen des Terrors in Westeuropa – sowie, natürlich, mit den internen Querelen der DDR-Ranghöchsten. Und erneut reiben sich Martins persönliche, ethische Überzeugungen mit den politischen Bemühungen seiner Vorgesetzten …
Das Showrunner- und Ehepaar Anna & Jörg Winger meistert in «Deutschland 86» einen überaus kniffligen Balanceakt: Einerseits wünscht man sich von einer thematisch dichten, dramatischen Serie wie «Deutschland», dass sie ihre Handlung konsequent und im besten Sinne 'stur' weitererzählt, ungeachtet jeglicher Herausforderungen hinter den Kulissen. Andererseits wäre es wohl niemandem zu verdenken, sollte ihr oder ihm nach drei Jahren Pause die Story von «Deutschland 83» nicht mehr präsent in Erinnerung sein. Was also tun? Den Erzählfluss zwischen Staffel eins und zwei brechen, um eine ungelenke Rekapitulation einzubauen? Einfach weitermachen, als seien nur ein paar Monate vergangen?
«Deutschland 86» geht einen sehr eleganten Kompromiss ein, der sich nahtlos in die Erzählstruktur fügt: Zur Strafe für sein Handeln in «Deutschland 83» wurde Martin in eine südafrikanische Schule "geparkt", abgeschnitten von der Heimat und der Weltpolitik. Als die DDR-Regierung einen Kurswechsel beschließt, wird Martin dank Vetternwirtschaft aus seiner statischen Lage geholt – und dadurch, wie er auf den neusten Stand gebracht wird, erhält das Publikum ganz beiläufig einen Crashkurs in Sachen «Deutschland 83». Der "Wir haben eine Mission, für die wir einen fähigen, aber zur Not verzichtbaren Agenten brauchen"-Aufhänger könnte in ähnlicher Form auch für den Einzelfilm oder die Auftaktstaffel einer Spionageserie herhalten – funktioniert jedoch genauso gut als stimmige Fortführung von «Deutschland 83». Und dass die Story von «Deutschland 86» internationaler ist als die der Vorgängerstaffel, ist eine dramaturgisch sinnvolle, die Fallhöhe vergrößernde Zuspitzung der Ereignisse – und es trägt dem Serienerfolg im Ausland Rechnung.
Stilistische Brüche gibt es trotzdem zwischen den beiden Staffeln – was aber in diesem Fall neutral zu verstehen ist: Anders als das wie aus einem Guss inszenierte «Deutschland 83» lässt «Deutschland 86» seinen Regisseuren etwas Freiraum, ihren eigenen Flair durchschimmern zu lassen. Auf dem Regiestuhl nahmen Florian Cossen («Mitten in Deutschland: NSU - Die Ermittler, Nur für den Dienstgebrauch») und Arne Feldhusen («Magical Mystery») Platz, die ihren einzelnen Episoden einen Hauch Individualität verleihen – ohne die Serie dadurch inkohärent werden zu lassen. Während Cossen etwa in Episode zwei mehrmals visuelle Filmreferenzen einbaut und Lavinia Wilson als Zahnärztin Brigitte Winkelmann im «Die Reifeprüfung»-Stil mit Jonas Nay flirten lässt, verleiht Arne Feldhusen im Staffelauftakt Nays ersten Undercoverauftrag nach drei Jahren Pause eine fast schon «Stromberg»-hafte Situationskomik.
Im Fokus liegt aber weiterhin das Zeitkolorit – und der ständige Vergleich mit dem Heute. Die Serie zieht viel dramatische Ironie daraus, dass schon 1986 Braunkohle als überholt und gefährlich bezeichnet wird oder daraus, welche verblendete Selbstsicherheit viele ranghohe DDR-Entscheidungsträger an den Tag legen. Mitunter übertreibt es «Deutschland 86» mit den "Niemand ist allein in der DDR!"-Scheuklappen, die das Figurenpersonal im DDR-Handlungsfaden so trägt, doch die nuancierten Performances von Anke Engelke als kaltschnäuzige Stasikassenwartin und Sylvester Groth als ranghohes HVA-Mitglied Walter Schweppenstette gleichen das wieder aus. Auch Florence Kasumba überzeugt als Kämpferin gegen die Apartheid, und Lavinia Wilson verdient sowieso mehr Aufmerksamkeit von deutschen Film- und Fernsehschaffenden – das unterstreicht auch ihre Performance in «Deutschland 86».
Mit Fortschreiten der Staffel verdichtet sich dann die Handlung und Nay, der zunächst noch vom Rest des Casts überschattet wird, kann wieder als komplexer Serienheld glänzen – der dieses Mal auch mehr handfeste Action zu durchstehen hat. Dieses Mehr an Schaueffekten hat aber nicht zu bedeuten, dass «Deutschland 86» seichter ist als die Vorgängerstaffel. Denn wie die Wingers dieses Mal minutiös recherchierte, wahrlich nicht zur Allgemeinbildung zählende Fehltritte der DDR in die Staffelhandlung weben und damit auch das Heute reflektieren, ist bei aller künstlerisch freien, narrativen Verdichtung ebenso spannend wie erhellend.
«Deutschland 86» ist ab dem 19. Oktober 2018 bei Amazon Prime abrufbar.
Es gibt 9 Kommentare zum Artikel
16.10.2018 16:38 Uhr 1
Nicht die Filmemacher sind das Problem in Deutschland. Es ist der TV Zuschauer. Traurig.
Ich hoffe Deutschland 86 ergeht es auf Amazon Prime besser als seinem Vorgänger im deutschen TV.
16.10.2018 20:03 Uhr 2
16.10.2018 20:10 Uhr 3
Dann ist es aber sehr kurios das dies gerade das Ausland anders sieht und vor allem Serien wie Deutschland 83 oder Babylon Berlin gelobt werden auch wegen ihrer Darsteller
17.10.2018 06:27 Uhr 4
Passender hätte der erste Kommentar nach meinem nicht ausfallen können und er bestätigt nur das, was ich geschrieben habe.
Der deutsche TV Zuschauer weiß nicht, was gutes Niveau ist und wertet dann den wirklich guten Stoff ab - und guckt stattdessen lieber Tatort.
Insbesondere DARK wurde im Ausland, dank Netflix, nochmal besser aufgenommen als in Deutschland. Auf RottenTomatoes (internationale Sammelstelle für Kritiken) hält die Serie eine beachtliche 87% positve Bewertungen, Babylon Berlin und Deutschland 83 haben sogar 100% positive Bewertungen - da sind auch viele internationale Reviews einbezogen.
Die generelle deutsche Meinung zu solchen hochwertigen Produktionen ist schon lange überholt. Treffenderweise wurde Deutschland 83 im Ausland nicht nur deutlich mehr gelobt, sondern lief in Großbritannien sogar erfolgreicher als auf RTL.
17.10.2018 13:02 Uhr 5
Ist einfach das einzige Thema, was „Made in Germany“ im Ausland garantiert funktioniert.
Ich persönlich mags auch. Mag zwar nervig sein, das alles was Deutschland produziert historischen Kontext hat, aber das Ausland wird es kaum verfilmen. Und ich empfinde die deutsche Geschichte als die interessanteste die es gibt. Selbst wenn man nicht komplett detailgetreu bleibt, mag ich es doch.
Das Problem des deutschen Schauspiels ist eine gewisse verwöhntheit und ein kleiner Markt.
Die USA kann für 5 Milliarden Menschen produzieren, Deutschland für 100 Millionen. Die USA war ja lange gewohnt alles einfach komplett neu zu drehen (siehe fack ju göhte) statt zu synchronisieren. Das ändert sich erst gerade.
Der Rest der Welt übersieht Deutschland im Bereich „Film“ oder es lohnt sich nicht das in die synchro zu geben.
Da deutsche mehr Sicherheit wollen und der Markt für deutsche Filme selbst in Deutschland klein ist werden auch wenige Schauspieler. (Sieht man ja, fast jeder deutsche Film ist mit schweighöfer oder Schweiger) Wenige Schauspieler bedeuten eine geringe diversität und der mangelnde Wettbewerb bedeutet ja auch nicht, dass es besser wird und auch dass die Schauspieler besser werden.
Ändert sich auch gerade, die aktuelle Generation schließt keinen Bausparvertrag ab sondern will Freiheit.
Also im Punkt der diversität sollte es besser werden.
Dazu kommt jetzt, dass es günstiger als jemals ist einen Film zu machen. So wirklich hat das noch keiner genutzt (wundert mich eigentlich, der deutsche Film „Darth Maul“ auf YouTube zeigt dass es geht) und die wachsende schauspielerzahl und die billigen Produktionskosten sollten es ermöglichen tolle Filme zu machen.
In anderen Ländern ist es einfacher, aber da ist die synchro auch selten so abartig gut wie in Deutschland. In Italien mag die Schauspielerei schlechter sein, die perfekte synchro (es ist ja dann native) reißt es wieder raus.
In Deutschland kann man nichts ausgleichen, weil die Sachen perfekt sind. Also muss man direkt ein perfektes Level erreichen. Da wird dann auch ein mittelmäßiger Schauspieler nicht geduldet.
Dazu kommt dass Amerika so viel produziert, dass wir eh nur die guten Sachen bekommen. Und selbst damit kann man unser Programm noch füllen. Gibt also kaum Anreize etwas zu riskieren und eigene Filme zu produzieren.
Die Meinung der deutschen über deutsche Filme tut ihr übriges. Allein die riesige Werbetrommel für Babylon hat geholfen, dass die Jugend einschaltet. Mag sein dass sich meine Generation gerne beschissene YouTube Sachen anschaut, aber bei deutschen Serien in der ard hört es dann auf. Das bekommt den Stempel „es ist bestimmt scheiße“ und dann hat sich das erledigt.
Also ich freue mich auf mehr (ich liebe die Serie) und auch mehr im historischen Kontext. Ich liebe sowas und denke Deutschland hat hier einen unfassbaren Vorteil mit seiner Geschichte.
17.10.2018 13:53 Uhr 6
Mit D86 versuche ichs dann einfach nochmal. ^^
Naja, liegt meinem Empfinden nach eher daran, dass die beiden Zeug wegproduzieren bis zum Gehtnichtmehr und sich eben leider auch an den immer gleichen Schauspielern bedienen. Ich glaube zumindest nicht, dass wir da einen Mangel auf dem Markt haben. Wenn dann eher das Problem, dass die immer gleichen Leute für die fast immer gleichen Rollen besetzt werden.
Wir haben in Deutschland ja eine ziemlich einzigartige Theaterkultur mit wirklich überdurchschnittlich guten Schauspielern, die sicher nichts dagegen hätten ab und an mal einige Flocken mehr an einem Filmset zu verdienen.
Ich würde da eher wieder die olle "Deutschland war bisher zu unmutig"-Karte spielen und das u.a. mit Gewöhnung und dem demographischen Wandel begründen.
Da braucht man aber auch ein paar Wahnsinnige für, die ihr komplettes Geld und einen großen Teil ihrer Lebenszeit in solch ein Projekt buttern. Und bei aller Liebe zur Freiheit :arrow: da kann man lange suchen. :mrgreen: Darth Maul war da schon eine absolute Ausnahme und ein Risiko.
17.10.2018 14:57 Uhr 7
Das scheint aber Teil des Problems zu sein, liest man immer wieder. Theaterschauspiel und Filmschauspiel sind sehr unterschiedlich, die Ausdrucksform, die Sprache, Gestik, Mimik usw.
Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet, aber für mich wirken viele deutsche TV/Film Produktionen genau so. Wie Kammerspiele, wie eine Aufführung und zwar auch dann, wenn der Film eigentlich was ganz anderes sein will.
17.10.2018 15:47 Uhr 8
Und findet sich doch mal ein Anker scheitert es dann an der Finanzierung. Die tv Sender winken schon gleich ab bei nicht 0815 Standard Buch und auch an der neuen Hoffnung der Branche, die Streaming Anbietern wie netflix oder Amazon aber auch sky kommst du sehr schlecht heran.
18.10.2018 13:00 Uhr 9
Das liegt aber weniger an den Schauspielern. Klar, ist Theater eine andere Nummer, aber die können sehr wohl auch Film. Meistens sind die Leute dann einfach schlicht nicht gut gecastet oder der Regisseur macht was falsch. Ist ja nicht so, dass die Leute gebucht werden und dann erst am ersten Drehtag auf der Matte stehen und anfangen zu spielen. Da trifft man sich schon vorher, spielt Teile des Drehbuchs und geht die Charaktere durch (gerade mit den Leuten, die viele Szenen zusammen haben). Also merkt man vorher, ob jemand etwas taugt oder nicht. Das gilt natürlich nicht für kleinere Produktionen.