Cast & Crew
Vor der Kamera:Ada Philine Stappenbeck als Sam
Christoph Luser als Lennard
Lana Cooper als Irina
Barnaby Metschurat als Carl
Katja Flint als Anne Wegner
Hinter der Kamera:
Produktion: Hessischer Rundfunk
Drehbuch und Regie: Petra K. Wagner
Kamera: Johannes Monteux
Unterdessen erfahren wir, wie Lennard (Christoph Luser), der zusammengeschlagene Obdachlose, die letzten Tage vor dem Verbrechen verbracht hatte, und stellen dabei fest, welch bewundernswerte Integrität ihn auszeichnete: Als Sam (Ada Philine Stappenbeck), eine wohnungslose junge Frau, Opfer eines gewaltsamen Übergriffs zu werden drohte, schlug Lennard die Männer mit ein paar gezielten Schlägen in die Flucht. Er nahm Sam unter seine Fittiche und brachte sie in seinen Unterschlupf, das obere Stockwerk eines künftigen Wohngebäudes, das wegen eines Baustopps eine halbwegs behagliche Unterkunft versprach. Die Beiden freundeten sich an und fassten Vertrauen ineinander. Bis Lennard eben plötzlich verschwand…
In der zweiten Hälfte bezieht der Film auch die Täter in sein Panoptikum dieses Verbrechens mit ein und thematisiert die Fassungslosigkeit der Mutter des Jungen ebenso wie dessen (aufgesetzte?) Kaltherzigkeit. Aus diesem Zusammenfluss dreier Betrachtungswinkel entsteht ein einnehmendes Portrait, das anders als das berühmte «Rashomon» keinen erkenntnistheoretischen Ansatz verfolgt, sondern einen ethischen und humanistischen.
«Frankfurt, Dezember ‘17» will dabei konsequent vermeiden, in den Trott eines didaktischen Lehrstücks zu verfallen, sondern der emotionalen Erlebbarkeit der vielen Facetten und Personen die narrative Priorität einräumen. Das Plädoyer für mehr Zivilcourage bleibt ein unterschwelliges – und dadurch wahrscheinlich ein umso wirksameres. Dem spielt auch der größtenteils sehr naturalistische Duktus in die Hände, auch wenn er nicht frei von einer gewissen erzählerischen Inkonsequenz bleibt: An besonders markanten Stellen reißen einige Figuren die vierte Wand ein und kommentieren das Geschehen wie ihre Haltungen. Im Kontext des ethisch-philosophischen Untersuchungsfeldes mag dieser Brecht’sche Verfremdungseffekt denklogisch Sinn machen – doch im Ergebnis verwässert die etwas aufdringliche Meta-Ebene den erzählerischen Kern unnötig.
Besonders gelungen ist dagegen die gekonnte, angenehm subtile Kontrastierung zwischen dem egozentrischen Arzt und dem integeren Penner. Ersterer sieht im Unglück des Letzteren, den er auch in seiner Sprache geringschätzt, ein unspektakuläres Ereignis, dessen Aufklärung die Gefährdung seines Familienglücks nicht wert ist; er sieht weg, er intellektualisiert, er leugnet und streitet ab. Letzterer ist dazu bereit, sein Leben in Gefahr zu bringen, um eine fremde Person aus den Fängen von Verbrechern zu befreien. Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit stehen in keinem proportionalen Verhältnis zum sozialen Status – auch nicht in einem inversen, wie der Fall der Mutter des Täters offenbart, die ihrem Sohn beisteht, ihn für sein Verbrechen aber nicht exkulpiert.
Dramaturgisch mag man diesem Film bisweilen eine gewisse Ziellosigkeit vorwerfen. Doch auch die fügt sich ein in das naturalistische Erzählkonzept, dessen Geschichte kein definitives Ende kennt. «Frankfurt, Dezember ‘17» stellt anhand eines konkreten Ereignisses eine spezifische thematische Frage, aber der Film gibt ihr Raum, sie nicht bemüht stringent, sondern assoziativ und dabei nicht minder verständlich und zielgerichtet zu behandeln. Einen solch unprätentiösen Film sieht man im deutschen Fernsehen selten.
Das Erste zeigt «Frankfurt, Dezember ‘17» am Mittwoch, den 17. Oktober um 20.15 Uhr.
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