Die Handlung
Filmfacts: «Heil»
- Regie, Musik und Drehbuch: Dietrich Brüggemann
- Produktion: Michael Lehmann, Katrin Goetter
- Darsteller: Benno Fürmann, Jacob Matschenz, Liv Lisa Fries, Oliver Bröcker, Daniel Zillmann, Jerry Hoffmann, Anna Brüggemann, Jerry Hoffmann, Heinz Rudolf Kunze und viele, viele mehr
- Kamera: Alexander Sass
- Schnitt: Vincent Assmann
- Veröffentlichungsjahr: 2015
- Laufzeit: 103 Minuten
- FSK: ab 12 Jahren
Das nutzt Sven, der Anführer einer nationalistischen Partei, der sich im Wettstreit mit anderen rechten Gruppen bislang im Hintertreffen sieht und daher dringend ein Erfolgserlebnis braucht, mit Freude aus: Er flößt Sebastian Klein braunes Gedankengut ein, mit dem er von Talkshow zu Talkshow tingelt, wo er für seine "mutigen Aussagen, die man ja mal sagen muss" frenetischen Applaus erntet. Und diejenigen, die ihn nicht bejubeln, streiten sich darüber, wie man ihn kritisieren sollte. Oder sie reden so geschwollen, dass ihnen niemand folgen kann. Und die öffentlich-rechtlichen Medien? Die könnten sich nicht weniger für die Berichte des einzigen freien Journalisten interessieren, der dieser Sache auf der Spur ist. Und der Verfassungsschutz? Buahahaha. Guter Witz …
Die glorreichen Aspekte
Herbst 2018: Die drittstärkste Fraktion im Deutschen Bundestag besteht unter anderem aus Menschen, die den Aufklärungsunterricht in der Schule wieder kippen wollen, die Toleranz als ideologisch motivierte Bevormundungspolitik erachten, den Waffenbesitz vereinfachen möchten und die einen Schießbefehl gegen Flüchtlinge fordern. Die Rede ist von der AfD, die versucht, ihre Hasspolitik damit schönzureden, dass ja auch Juden in der Partei sind. Feigenblatttaktik, die historische Vorgänger hat. Und eine, die bereits 2015 in etwas anderer Form als einer der zentralen Storymechanismen von Dietrich Brüggemanns «Heil» herhielt.
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So zieht es sich durch das gesamte, fiebrige Komödienerlebnis, das Brüggemann mit «Heil» geschaffen hat: Der Autor und Regisseur reiht kopfschüttelnd eine Feststellung über den Kultur- sowie Politzirkus Deutschland an die nächste, und schafft so ein eng geknüpftes Netz aus kleinen Ärgernissen und großen Problemen, die so zu einer erschreckenden Gesamtsituation werden – was Brüggemann jedoch mit dem halsbrecherischen Tempo und der hibbeligen Attitüde einer frenetischen Blödelkomödie anpackt. Das macht Brüggemanns Zusammenstellung von Fehlverhalten-Anekdoten und bedeutungsvollen Alltagsbeobachtungen zugänglicher – wodurch sich seine Aussagen stärker einbrennen als in einem trocken-belehrenden Film. Die diversen Talkshow-Nachstellungen in «Heil» scheinen wie aus einer politsatirischen Neuauflage von «switch reloaded» entflohen – doch gerade dadurch wird erst so richtig deutlich, wie frustriert Brüggemann von der grassierenden Unfähigkeit im Umgang mit rechts ist. Ein spröde-seriöser Film darüber könnte das kaum mit derselben Feuerkraft einfangen.
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Eine Vielzahl der Beobachtungen, die Brüggemann in «Heil» macht, deuten jedoch auf politische und gesellschaftliche Baustellen unterschiedlicher Größe hin. Die Vielzahl an Baustellen, die diese irre Satire ansteuert, mag überwältigend wirken, weshalb manche ihr Fahrigkeit vorwerfen. Aber bedauerlicherweise ist das Chaos in «Heil» notwendig: Dadurch, dass Brüggemann unter anderem auf schlechte Polittalks eingeht, auf sensationsgeile Journalisten und auf Security-Firmen, die der rechten Szene nahestehen, aber auch auf dumm-naive Bürger oder paranoide Tendenzen der Antifa, unterstreicht Brüggemann, wie groß die Spannbreite an Mechanismen ist, die Intoleranz und rechten Hass direkt oder indirekt fördern, und dass der Kampf gegen diese Probleme kein Sonntagsspaziergang, sondern ein Großprojekt darstellt.
Auch deswegen muss «Heil» als süffisante, aufgekratzte Komödie daherkommen – man stelle sich ein ernstes, geradliniges Drama vor, dass dem Publikum zu erklären versucht, dass eigentlich an mehreren Hundert Stellschrauben gedreht werden müsste. Kaum jemand würde sich dieser Gesellschaftskritik stellen wollen. Um eben nicht so panisch rüberzukommen wie Brüggemanns Filmversion der Antifa, die in jedem, der ihr Widerworte gibt sogleich einen Nazi sieht, muss die erschreckende Erkenntnis mit einem Gag-Geschwader geliefert werden.
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«Heil» ist auf DVD erhältlich sowie via Amazon, maxdome, iTunes, Google Play, Videobuster, Microsoft, videociety, Rakuten TV, freenet Video, Sony und Chili abrufbar.
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