Ich will nicht so weit gehen und behaupten, dass Richard Madden als Schauspieler im falschen Beruf ist. Aber nach den ersten zwanzig Minuten der britischen Blockbuster-Serie bin ich überzeugt, dass er in einer anderen Funktion ein noch größerer Gewinn für die Gesellschaft sein könnte. Ich kann mir beispielsweise vorstellen, wie er, mit einem Megaphon und seiner ruhigen, besonnenen Stimme bewaffnet, vor einem dieser englischen Backsteinhäuser steht, wo sich jemand, dem das Leben übel mitgespielt hat, zum Sprung bereit macht, und Madden den armen Schlucker konsequent, aber bedächtig vom Abgrund zurück in Sicherheit lotst. Ebenso wäre er der perfekte Mann, um in jenen brenzligen Situationen zu intervenieren, in denen Männer in Strumpfmasken mit einer Magnum vor verängstigen Bankkunden herumfuchteln, um die Tunichtgute in seinem freundlichen, aber verbindlichen Schottisch zum Aufgeben zu bewegen und gleichzeitig die Geiseln mit angenehmen Durchhalteparolen einzulullen: Das wird schon alles, ich bin ja da.
So ähnlich zieht einen nämlich seine Serie «Bodyguard» in den Bann, wo er Sergeant David Budd, einen von zahlreichen Kriegseinsätzen im Irak und in Afghanistan traumatisierten Personenschützer im Dienst Ihrer Majestät, spielt. Sergeant Budd bringt gerade die letzten Meilen einer längeren Zugreise hinter sich, um seine Kinder zurück zu ihrer Mutter zu bringen, als ihm ein Mann nahöstlicher Herkunft auffällt, der sich seltsam benimmt. Als er – auch in seiner Freizeit freilich ein vorbildlicher wachsamer Bürger – den Bahnschutz auf seine Beobachtung aufmerksam macht, teilt man ihm mit, dass für die Strecke eine Terrorwarnung herausgegeben wurde. Als Sergeant Budd die Toiletten abklappert, trifft er auf Nadia (Anjli Mohindra), einen Sprengstoffgürtel um den Hijab gewickelt und den Zünder in der Hand.
Aber Nadia steht die Angst ebenso ins Gesicht geschrieben wie ihm. Die Weste habe ihr ihr Mann angelegt, gibt sie zu verstehen, und jetzt wolle sie nur noch da raus. Sergeant Budd hat nun zwei Aufgaben: die Sprengstoffattentäterin davon abzuhalten, in einem unverhofften Moment des Wahnsinns doch noch auf den Zünder zu drücken, und die eilig herbeigeeilten Polizisten daran zu hindern, sie einfach zu erschießen, um das Problem zügig zu lösen. Ihm gelingt beides – danach ist er intern ein Held, auch wenn seine Identität aus Sicherheitsgründen vor der breiten Öffentlichkeit geheim gehalten wird.
Die Beförderung folgt auf dem Fuße: Budd wird neuer Personenschützer von Innenministerin Julia Montague (Keeley Hawes), einer sicherheitspolitischen Hardlinerin (und Amber-Rudd-Verschnitt?), die in der Vergangenheit keine Gelegenheit ausließ, um britische Soldaten an Militäreinsätzen im Nahen Osten und in Zentralasien zu beteiligen – so wie Budd, der dort Dinge erlebt hat, die kein Mann je erleben sollte. Seine Freunde aus Kriegstagen sind rabiater: Einer von ihnen hat schon einmal durchklingen lassen, er würde einfach die Augen schließen und den Abzug betätigen, wenn er jemals einem dieser Politiker-Dreckschweine begegnen würde, die ihn aufs Schlachtfeld beordert haben.
Andere angelsächsische Formate haben vorgemacht, wie sich aus solchen Konstellationen hintergründige, packende Thriller erzählen lassen: «Homeland» aus den USA leitete mit einer psychisch angeschlagenen, aber disziplinarisch eisernen und intellektuell leistungsstarken Heldin den Trend ein, bevor wenige Jahre später die inhaltlich ebenso kluge und politisch ähnlich differenzierte «Honourable Woman» aus dem Vereinigten Königreich nachgezogen hat.
«Bodyguard» reiht sich als politischer Stoff mit packender Thriller-Dramaturgie gut in diese Tradition ein, ist modern erzählt, mit einem starken Focus auf seine gebeutelte Hauptfigur und einem erstaunlichen Gespür für Dramatik: Allein die Eröffnungssequenz, in der Sergeant Budd einer Jihadistin ausredet, sich in einem vollbesetzten Zug in die Luft zu sprengen, nimmt gute zwanzig Minuten ein und hält durchgehend ihre Dynamik aufrecht, keine Sekunde ist überflüssig, keine Wendung unnötig, kein Ereignis unglaubwürdig.
Gleichzeitig erzählt die Serie metaphorisch das Trauma einer Generation junger Angelsachsen, die von ihren Regierungen aus politisch oft nicht klar erklärbaren Umständen und mit wenig konkreten Zielsetzungen in den Orient geschickt wurden, um dort den Westen zu verteidigen. Derweil zeigt «Bodyguard» – je nach Interpretation und Haltung im politischen Meinungslager – die Gründe, warum das notwendig ist, oder die Folgen der militaristischen Abenteuer: Terror im Schienenverkehr, ein Anschlag auf eine Grundschule, ein Attentat auf eine Ministerin.
Ihre eigene Meinung lässt die Serie dabei nicht im Unklaren: Sie erzählt den Krieg als unnötige Ursache von Leid, Politiker als zwar im Privaten nicht unsympathische, im Kern aber doch nicht minder machthungrige Persönlichkeiten, die individuelle Schicksalsschläge von Personen, die sie nur als Namen auf Todeslisten kennen werden, hinnehmen, um ihre eigenen politischen Ambitionen zu fördern. Damit bleibt «Bodyguard» jedoch weit hinter seinen intellektuellen Möglichkeiten zurück, während «Homeland» und «The Honourable Woman» nur zwei Vorzeigebeispiele für moderne politische Thriller-Serien sind, denen diese Auseinandersetzung wesentlich tiefgehender, klüger und hintersinniger gelungen ist.
Trotz der zweifellos beeindruckenden Thriller-Erzählung und dem versierten Spiel seines Hauptdarstellers trübt dieser Umstand den Gesamteindruck doch wesentlich: «Bodyguard» kann vieles – aber nichts, was «Homeland» nicht auch kann. Und was «Bodyguard» missglückt, ist «Homeland» nur umso vortrefflicher gelungen. Einzig: Wenn jemand von der Detonation seines Sprengstoffgürtels abgehalten werden muss, wäre es doch besser, Sergeant Budd zu rufen als Carrie Mathison.
«Bodyguard» ist bei Netflix verfügbar.
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