Filmfacts: «Suspiria»
- Start: 15. November 2018
- Genre: Horror
- Laufzeit: 152 Min.
- FSK: 16
- Kamera: Sayombhu Mukdeeprom
- Musik: Thom Yorke
- Buch: David Kajganich
- Regie: JLuca Guadagnino
- Darsteller: Dakota Johnson, Tilda Swinton, Mia Goth, Doris Hick, Malgorzata Bela, Chloë Grace Moretz, Angela Winkler
- OT: Suspiria (USA/IT 2018)
Die beiden Frauen tragen einen Film, der so ganz anders ist als die Vorlage und daher nicht wirklich als klassisches Remake bezeichnet werden kann. Die Prämisse einer deutschen Tanzschule, in der finstere Hexenmächte am Werk sind, bleibt dieselbe. Doch alles, aber wirklich alles an «Suspiria 2018» folgt gänzlich anderen Prioritäten als das erzählerisch nahezu irrelevante, sich voll und ganz auf seine künstlerische Gestaltung verlassene Original. Das ist gut, denn so kann Guadagnino seinem Film einen echten Mehrwert abgewinnen; doch gleichzeitig sind seine Ambitionen so groß, dass er hin und wieder selbst über sie stolpert.
Was geschieht in der Tanzschule?
Die junge Amerikanerin Susie Bannion (Dakota Johnson) kommt 1977 zum renommierten Markos Tanzensemble nach Berlin. Während Susie unter der revolutionären künstlerischen Leiterin Madame Blanc (Tilda Swinton) außergewöhnliche Fortschritte macht, freundet sie sich mit der Tänzerin Sara (Mia Goth) an. Als Patricia (Chloë Grace Moretz), ebenfalls Mitglied des Ensembles, unter mysteriösen Umständen verschwindet, kommt der Psychotherapeut der jungen Tanzschülerin, Dr. Josef Klemperer (Tilda Swinton alias Lutz Ebersdorf), einem dunklen Geheimnis auf die Spur. Auch Susie und Sara ahnen, dass sich hinter der Fassade von Madame Blanc und ihrer Tanzschule unbarmherzige Hexen verbergen.
Obwohl «Suspiria» aus dem Jahr 1977 gern in einem Atemzug mit prägenden Giallo-Filmen genannt wird, trifft diese Genreeinordnung allenfalls auf die optische und akustische Aufmachung zu. Mit seinen satten Farben, in denen das Rot immer wieder ganz besonders hervorsticht (und zwar nicht nur, weil Dario Argento damals ordentlich Blut hat spritzen lassen), und dem zum Kult avancierten, einprägsamen (Synthie-)Score von Goblin, mit dem die italienische Rockband noch heute durch die Welt tourt, funktionierte «Suspiria» damals wie heute vorzugsweise über die audiovisuellen Reize. Ganz anders Luca Guadagninos Version: Zwar steckt auch in seinem «Suspiria» eine penibel organisierte Bildsprache; jede Szene ist genau durchchoreographiert, jedes Kostüm, jeder Make-Up-Strich unterstreicht die Charakterzüge der einzelnen Figuren. Und mit der Platzierung der Geschichte in die Zeit des deutschen Herbstes haben auch die entsättigten Grau- und-Brauntöne, aus denen nur sehr vereinzelt dunkelrote Lippen oder Kleidungsstücke hervorstechen, ihren genauen Platz im inszenatorischen Konzept.
Keine Frage: Auch wenn man «Suspiria» mit der Bezeichnung „Style over Substance“ Unrecht tun würde, ist es auch 40 Jahre später wieder vor allem die technische Seite, die an «Suspiria» fasziniert. Doch die üppige Laufzeit von 152 Minuten deutet es bereits an: Auf Basis des Drehbuchs von David Kajganich (schrieb auch das Skript zu «A Bigger Splash») strebt Luca Guadagnino nach mehr als einem auf Oberflächenreize konzentrierten Schocker. Mit der Verlagerung ins Berlin der späten Siebzigerjahre wird dieser «Suspiria» zu einer filmischen Parabel auf die düstersten Dekaden deutscher Geschichte.
Diese versuchte Verknüpfung zwischen zeitlosem Hexenterror und dem echten Terror draußen auf den Straßen von Berlin geht vor allem deshalb auf, weil die Macher sie dem Zuschauer nur so um die Ohren hauen. Das ist dann auch direkt der größte Kritikpunkt an «Suspiria», denn Guadagnino scheut sich nicht, routiniert alle paar Minuten Nachrichtenschnipsel aus Radio und Fernsehen einzustreuen, in denen er das Geschehen in der Tanzschule mit dem der Welt in Zusammenhang bringt. Der Tanz, an dem die Schülerinnen arbeiten, heißt dann zum Beispiel auch folgerichtig „Volk“ und die Hintergrundgeschichten diverser Nebenfiguren sind mal mehr, mal weniger mit deutscher Historie verknüpft, die für sie alle Traumen mit sich gebracht haben. Das ist alles sehr aufdringlich und prügelt selbst dem letzten unwissenden Zuschauer ein, was er auch ohne allzu offensichtliche Symboliken sehr schnell verstanden hätte.
Gleichwohl muss man festhalten, dass «Suspiria» – trotz des deutschen Settings – eben nicht vorwiegend für den deutschen Markt gemacht ist, sondern hierzulande lediglich eine Auswertung erhält (Produktionsländer sind die USA und Italien). Während unsereins die deutsche Geschichte in vielen Aspekten in- und auswendig kennt, ist sie für die Zuschauer in Übersee alles andere als selbstverständlich. Und so empfindet ein Publikum hierzulande die vielen Querverweise möglicherweise als weitaus offensichtlicher, als sie es in Wirklichkeit sind. Trotzdem erinnert die Verknüpfung der Handlungsebene mit der symbolischen Ebene unweigerlich an den nicht minder plumpen «Nocturnal Animals»; in beiden Fällen verkauft der Regisseur etwas Offensichtliches als subtil analytisch und provoziert dadurch mehr als einmal ausgiebiges Augenrollen.
Von Freiburg nach Berlin
Von diesem (zugegebenermaßen sehr großen) Schwachpunkt einmal abgesehen, folgt Luca Guadagnino mit seiner Vision von «Suspiria» einem Trend, den schon Filme wie «Hereditary», «The Witch» und «It Comes at Night» vor einer Weile angekündigt haben: Auch in diesen Filmen ergibt sich der Schrecken nach und nach aus der Situation heraus; typische Schockelemente wie Jumpscares, fiese Fratzen oder jede andere Form von gruseliger Effekthascherei gibt es hier nicht. Was nun dazu verleiten könnte, all diese Filme innerhalb des Genres zu relativieren, sie vielleicht eher einem „Horrordrama“ zuzuordnen, fungiert vielmehr als Wegweiser, der uns dazu veranlassen sollte, zu hinterfragen, was das Genre überhaupt ausmacht. «Suspiria» ist ohne Zweifel ein hochatmosphärischer Film, der Unbehagen schürt und mit jeder seiner unzähligen Minuten immer weiter an der Spannungsschraube dreht – und den Grundgedanken des Horrorkinos dadurch voll und ganz erfüllt.
Gleichzeitig verhalten sich all diese Projekte aber auch wie eine Antithese zu «Conjuring» und Co. Gemeinsam haben aber zumindest «Suspiria» und der sich eher auf den schnellen Schock verlassende Grusel eine gewisse Form der Körperlichkeit. War das Ballett im Original noch klar als die filigrane Disziplin des Tanzsports zu erkennen, als die sie auch Außenstehenden bekannt ist, weicht diese hier aggressiven Bewegungen, in denen auf den ersten Blick noch nicht einmal eine Rhythmik erkennbar ist. Doch es passt: Die eigentlich so zarte Dakota Johnson gewinnt durch ihre entfesselten Performances an Stärke und Unberechenbarkeit, was einen jederzeit nachvollziehen lässt, weshalb sie von den Ältesten der Tanzschule als eine solche Ausnahmeerscheinung wahrgenommen wird.
Umdenken im Horrorkino
Selbiges ist auch für Dakota Johnson selbst zu hoffen: Nachdem diese sich vor allem zu Beginn der «Fifty Shades of Grey»-Trilogie weit unter ihren Möglichkeiten gezeigt hat und ihre sehr charmante Peformance in der unterschätzten Komödie «How To Be Single» weitgehend ohne Beachtung blieb, zeigt sie in «Suspiria» nicht bloß, dass sich die zwei Jahre Tanztraining, die sie extra für ihre Rolle auf sich nahm, ausgezahlt haben, sondern auch, was für eine besonders in kleinen Gesten ausdrucksstarke Schauspielerin in ihr steckt. Johnson ist in der Lage, gleichzeitig mitzureißen und ob ihrer Unnahbarkeit abzustoßen; ihre Susie ist ein bis in die letzte Sekunde überhaupt nicht einschätzbarer, aber gerade deshalb so faszinierender Charakter. Dem kann nur die hier in drei Rollen auftretende Tilda Swinton halbwegs Einhalt gebieten. Die beiden Frauen sind vor allem im Zusammenspiel ein Ereignis, das Swinton in ihrem Alter Ego Lutz Ebersdorf auch allein weiterführt.
(Fast) bis zur Unkenntlichkeit geschminkt, performt sie hier außerdem in glaubhaftem Deutsch, was sie für Ahnungslose erst recht nahezu unsichtbar macht. Doch was Swinton gelingt, gelingt bei Weitem nicht allen: Als dreisprachige Produktion aus englisch, deutsch und französisch hat sich Luca Guadagnino ohnehin ein aufgrund der bemühten Authentizität sehr schwieriges Unterfangen ausgesucht, in dem die Schauspielerinnen nicht immer zufriedenstellen. Viel zu oft hört man einfach, dass hier vor deutscher Kulisse nicht wirklich Deutsche miteinander kommunizieren.
Während Guadagnino das Setting also hin und wieder ein wenig zum Verhängnis wird, holt er aus einer der vielen Abwandlungen des Originalstoffes so viel heraus, wie möglich: Indem in «Suspiria 2018» von Anfang an offengelegt wird, dass sich hinter den Leiterinnen der Ballettakademie Hexen verbergen (im Original wurde der Spukt erst im Finale aufgelöst), hat der Regisseur viel mehr Möglichkeiten, mit den Andeutungen des Übernatürlichen zu spielen. Eine sehr rabiate Szene, in der eine junge Frau wie von Geisterhand durch einen Tanzsaal geschleudert wird, bis so ziemlich jeder Knochen in ihrem Körper gebrochen ist (eine der wenigen wirklich brutalen Momente), schockiert auf genauso positive Weise wie die vielen surrealistischen Traummontagen, in der sich ein angsteinflößendes Bildmotiv an das nächste reiht. Guadagnino platziert in seinem Film immer weder vereinzelte Schockmomente, ohne dabei auf das schnelle Hochschrecken vom Kinosessel abzuzielen, sondern auf den lang anhaltenden Schlag in die Magengrube.
Kameramann Sayombhu Mukdeeprom («Call Me By Your Name») stellt sich für dieses Vorhaben ganz in den Dienst des Projekts und hält auch in den schmerzhaftesten Momenten voll drauf, während Radiohead-Frontman Thom Yorke «Suspiria» mit seinen dröhnenden, antirhythmischen Klängen zu einer regelrecht viszeralen Tonspur verhilft. Wie schade ist es da, dass die von Anfang an immer wieder betonte schaurige Schönheit, die «Suspiria» innewohnt, ausgerechnet im mies getricksten Finale komplett flöten geht.
Fazit
Luca Guadagnino hat mit seiner Neuauflage des Hexenhorror-Klassikers «Suspira» vor allem eines geschaffen: etwas völlig Anderes als das Original! Sein Slowburn-Genrefilm ist zu gleichen Teilen eine okkulte Geschichte über eine ahnungslose Tanzschülerin, die in einer Ballettakademie auf einen brutalen Hexenzirkel stößt, als auch eine filmische Parabel auf deutsche Geschichte. Während Optik und Akustik durchgehend begeistern, gelingt die erzählerische Verbindung dieser beiden Ansätze leider nicht immer. Einen Blick sollte man trotzdem allein schon deshalb riskieren, weil Tilda Swinton und Dakota Johnson selten besser waren und es interessant ist, zu sehen, was sich Unterschiedliches mit ein und derselben Vorlage anstellen lässt.
«Suspiria» ist ab dem 15. November in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
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