Gastspiele im Kino
Denkwürdige Micky-Comics, die tonal auffallen (Auswahl)
- Ein Fall für Micky: Dänisch verantwortete Detektiv-Geschichten mit Micky, die Anleihen an Film Noir haben. In Deutschland in einer kurzlebigen eigenen Taschenbuchreihe ausgewertet, danach sporadisch im "Lustigen Taschenbuch"
- Mickey Mouse Mystery Magazine: Zwölfteilige, horizontal erzählte, italienische Comicreihe, die Micky aus Entenhausen rausführt und ihn komplexe Kriminalfälle anpacken lässt. In Deutschland im "Lustigen Taschenbuch Premium" ausgewertet
- X-Mickey: Italienische Comicreihe in 30 Teilen, die Micky in eine Monsterwelt führt und dort lustig-makabre Abenteuer erleben lässt. In Deutschland im "Lustigen Taschenbuch Premium" ausgewertet
- Kampf der Zauberer: Fantasy-Saga mit Zauberer-Versionen von Micky, Donald und Goofy. In Deutschland in der Reihe "Lustiges Taschenbuch Collection" ausgewertet
Mit Micky in der Rolle des gebeutelten Bob Cratchit kam dem Firmen-Maskottchen einer der emotionaleren Parts zu – schließlich sieht man ihn in einer schrecklichen Zukunftsvision um sein verstorbenes Kind trauern. Was für ein emotionaler Schlag in die Magengrube – nicht nur für Micky-Fans. Weitere Rollen gingen unter anderem an Dagobert Duck, der als raffgieriger Ebenezer Scrooge zu sehen ist, Goofy, der den Geist des früheren Scrooge-Geschäftspartners Jacob Marley gibt und Jiminy Grille, Riese Willi und Kater Karlo, die jeweils als Geister der Weihnacht verwendet werden. Mickys ewiger, studiointerner Konkurrent um die Herzen des Publikums, Donald Duck, wurde mit kaum mehr als einem Cameo abgespeist.
Der Kurzfilm wurde von Disney 1983 als Vorfilm zu weihnachtlichen Wiederaufführungen seiner Trickklassiker eingesetzt und erhielt eine Academy-Award-Nominierung. Wenige Jahre danach trat Micky Maus zudem als Laudator bei der Oscar-Verleihung auf – und er teilte sich in Robert Zemeckis' sensationeller Film-noir-Komödie «Falsches Spiel mit Roger Rabbit» eine Szene mit einem argen Konkurrenten: Bugs Bunny, dem inoffiziellen Chef der Warner-Cartoontruppe.
1990 folgte nach dem Vorbild von «Mickys Weihnachtserzählung» ein weiterer Kurzfilm in Länge einer Trickserien-Episode: «Der Prinz und der Bettelknabe». Die 25-minütige Adaption der gleichnamigen Mark-Twain-Geschichte zeigt Micky in sogleich beiden Titelrollen und wurde von Disney in zahlreichen Ländern als Vorfilm zu «Bernard und Bianca im Känguruland» aufgeführt. Der Cartoon findet wieder mehr Platz für Goofy und Donald, zudem ist es die allerletzte durchweg traditionell hergestellte Kino-Trickproduktion Disneys – spätere Filme verwenden den digitalen Kolorisationsprozess CAPS.
1995 fand Micky Maus erneut zurück auf die Leinwand: Der turbulente Cartoon «Micky Monstermaus» erhielt unter anderem eine Oscar-Nominierung und erarbeitete sich den inoffiziellen Titel des am hitzigsten aufgenommenen Micky-Cartoons der Disney-Historie. Micky Maus, Liebling fast aller Kinder und Markenzeichen eines Weltkonzerns, tobt durch eine visuell zappenduster gehaltene Horror-Hommage, in der sein Gehirn mit dem eines Monsters ausgetauscht wird? Selbst Kritiker reagierten gespalten, schrieben wahlweise von einer sensationellen Rückkehr zu alter Maus-Form oder von einem Frevel – die Reaktionen empfindlicher Kinder und sensibler Eltern können sich an dieser Stelle wohl alle selber ausmalen.
Kein Wunder, dass «Micky Monstermaus» von Disney anschließend stiefmütterlich behandelt wurde und abseits kurzlebiger europäischer Comicreihen erst einmal ein erneuter Verharmlosungskurs rund um Micky Maus eingeschlagen wurde: Eine offizielle Video- respektive DVD-Veröffentlichung musste in den USA fast ein Jahrzehnt warten, in Deutschland ist der 1996 zusammen mit «Der Goofy Film» uraufgeführte Cartoon nie wieder offiziell ausgewertet worden.
Zum Kindergärtner und zurück zum Frechdachs
Die doppelte Rückkehr in Videospielform
Mit dem hoch ambitionierten Wii-Exklusivtitel «Epic Mickey» (oder «Micky Epic», wie es in Deutschland heißt) wollte die Walt Disney Company das Saubermannimage Mickys korrigieren: Der von Videospiellegende Warren Spector entworfene Plattformer steckt voller genereller Disney- und spezieller Micky-Maus-Referenzen und zeigt wieder einen frecheren, abenteuerlustigen Micky, so wie man ihn zuletzt abseits einiger europäischer Comics kaum noch zu sehen bekam. Zudem holte sich Disney für das Videospiel die Rechte an Oswald the Lucky Rabbit zurück. Trotz Verkaufszahlen, die hinter den Erwartungen zurückblieben, erhielt der 2010 veröffentlichte Titel zwei Jahre später ein Sequel.Im selben Jahr wie «Neue Micky Maus Geschichten» erschien zudem die Videopremiere «Mickys fröhliche Weihnachten», ein Episodenfilm mit Micky, Donald und Goofy, der im Jahre 2004 eine computeranimierte Quasi-Fortsetzung erhielt: «Mickys turbulente Weihnachten». Obwohl die Reaktion seitens der Fangemeinde bezüglich der CG-Versionen des klassischen Disney-Figureninventars durchwachsen ausfiel, vertiefte Disney seine Bemühungen, Micky Maus und Co. in 3D-Ästhetik zu popularisieren. Darüber hinaus unternahm man einen inhaltlichen Kurswechsel: 2004 begann die Produktion an einer reinen Vorschulserie rund um die Maus, auf deren Rücken das Medienimperium Disney errichtet wurde – «Micky Maus Wunderhaus». Zahlreiche ältere Disney-Fans nahmen den 2006 erfolgten Start des Formats alles andere als auf die leichte Schulter:
Micky sollte zwar stets Junge und Junggebliebene erreichen, und Lehrbücher sowie Lernspielzeug war auch nie tabu. Dass Micky aber in einer kostengünstigen, detailarmen CG-Serie Farben, Formen und simpelste Mathematik erklärt, hatte so seine Kritiker. Doch die Serie hatte bei der sehr, sehr jungen Kernzielgruppe enormen Erfolg – und sie brachte keine Eltern gegen sich auf. Bis 2016 entstanden also 125 Folgen sowie Tonnen an Merchandise im «Micky Maus Wunderhaus»-Look, außerdem folgte ein bis heute laufendes Spin-Off mit Micky und Co. als Rennfahrer. Der Vorschulerfolg knüpft emotionale Bande mit jungen Kindern, hat aber auch so seine Nebenwirkungen: Man stärkt so die Assoziation "Micky Maus = harmlose Kindersache".
- © Disney
Maus vorm Haus
Sieben Jahre nach dem Start von «Micky Maus Wunderhaus» sorgte eine neue TV-Produktion für eine Kurskorrektur: Im Sommer 2013, ein paar Monate vor Mickys 85. Geburtstag, feierte eine neue Reihe an Kurzfilmen ihre Premiere. Die für den Disney Channel produzierte Serie «Micky Maus» verpasste Micky eine Art Relaunch: Micky sollte fortan als gutmütiger Tunichtgut mit Schneid und charmanter Frechheit aufgenommen werden. Unter der Leitung des «Dexters Labor»-Machers Paul Rudish entstand mit diesem Ziel im Sinn eine Trickreihe, die an die Turbulenz der allerersten Micky-Cartoons erinnert, dies aber an moderne Sensibilitäten anpasst.
Dazu passt auch der Look: Micky bekam sein altes, weißes Gesicht mit schwarzen Augen zurück, ist aber zackiger gezeichnet. Die Cartoons sind zum Bersten voll mit wildem Chaos, scheuen sich auch nicht vor derben Kapriolen – und selbst wenn Goofy und Donald gelegentlich eine Rolle spielen, bleibt dieses Mal Micky im Mittelpunkt des Geschehens. 80 Kurzfilme und zwei längere TV-Specials sind bereits erschienen – und die hier etablierte Micky-Version wird sogar in einer US-Themenparkattraktion verewigt. Glückwunsch, Micky: Mit 90 Jahren bist du, nach vielen Umwegen, wieder ganz der Alte, und dennoch siehst du fesch dabei aus.
Epilog
So sehr der Disney-Konzern dieser Tage Micky Maus auch feiern mag. Mit Sonderheften, neuen Merchandise-Kollektionen, einem großen US-Fernsehspecial und einem Thementag im Disney Channel: Mickys 90. Geburtstag hat für den Konzern gewisse auch einen leicht bitteren Nachgeschmack. Denn jedes neue Jahr, das Micky Maus und seine Lebensgefährtin Minnie hinter sich bringen, bringt sie einen Schritt näher an eine Deadline, die der Walt Disney Company alles andere als gefallen dürfte. Nach aktuell geltendem US-Recht läuft am 1. Januar 2024 das Copyright auf den ersten Auftritten dieser Figuren ab. Im Vorfeld von Mickys 96. Geburtstag könnte sich also das Geschäft mit Micky-Maus-Produkten nachhaltig verändern.
Man darf die Folgen dessen allerdings nicht überschätzen: Frühe Micky-Maus-Cartoons sind beispielsweise in Russland bereits seit Jahren Public Domain, dennoch existiert keine Flut an Non-Disney-Micky-Filmen. Und dadurch, dass Disney nicht nur Urheberrechte auf Micky Maus hat, sondern sich die Figur zudem als Warenzeichen schützen lässt, sollte niemand die Luft anhalten und darauf warten, dass am 18. November 2024 Warner Bros. sowie Universal Pictures mit ihren jeweils eigenen Micky-Maus-Kinofilmen zum Angriff auf Disney blasen, ähnlich wie alle Studios, denen danach beliebt, das Recht darauf haben, einen Sherlock-Holmes-Film zu produzieren.
De facto könnten jedoch, sofern die Urheberschutzgesetze in den USA nicht bis 2024 geändert werden, alle, denen danach ist, ab dann Geld mit Neuveröffentlichungen von «Steamboat Willie» machen. Und Jahr für Jahr würden immer mehr Micky-Klassiker in die Public Domain wandern. Disney würde also das alleinige Anrecht darauf verlieren, mit Mickys Frühwerk Geld zu verdienen – und einige Zeit später würden auch andere Disney-Schöpfungen wie Goofy oder Donald Duck in die Gemeinfreiheit übergehen.
- © Disney
Vor diesem Hintergrund ist es schon auffällig, wie Disney bereits Mickys 90. Geburtstag aufzieht: Das offizielle Plakat zu den Micky-Festivitäten bezeichnet den Mäuserich als ein "True Original", Sonderausgaben deutscher Disney-Comicreihen, die sich voll und ganz Micky widmen, machen mit dem Aufdruck "Das Original" auf sich aufmerksam. Und während der Halloween-Saison 2018 im Disneyland Paris mündete ein zweimal täglich abgehaltenes Spektakel, das Parade und Show zugleich war, und das gleichzeitig Halloween und Mickys Jubiläum zelebrierte, in einen feierlichen Song über Micky Maus. Der, wie die Lyrics besagen, "the original one" ist.
Kurzum: Disney fährt nun den Kurs, die Feierlichkeiten rund um Mickys Jubiläum dafür zu nutzen, Grenzen in den Köpfen des Publikums abzustecken. "Micky gehört uns, unser Micky ist er einzig wahre Micky", sagen die Labels aus. Reine Vorsichtsmaßnahme? Vielleicht. Die Copyright-Gesetzeslage ist ein emsig debattiertes Thema und das Ablaufdatum für Urheberrechte wurde im Rahmen des Sonny Bono Copyright Term Extension Act (den viele US-Juristen scherzhaft Mickey Mouse Protection Act nennen) schon einmal um 20 Jahre nach hinten geschoben. Möglich, dass dies wiederholt und wiederholt und wiederholt wird.
Und selbst, wenn die Urheberrechte ablaufen: So lange ehemals unter dem Copyright stehende, fiktive Figuren eine "sekundäre Bedeutung" aufweisen und von der Allgemeinheit "unmittelbar mit ihrer Quelle verbunden werden", qualifizieren sie sich weiterhin für Trademark-Rechte. Das besagt jedenfalls das Urteil im Fall Frederick Warne & Co. v. Book Sales Inc, wie die Nova Southeastern University 2014 festhielt. Da hilft die große Disney-Jubiläumskampagne durchaus. Und selbst dieser Artikel hier dürfte insofern Disney und deren wieder frecher gewordenem Maskottchen Micky Maus in die Karten spielen. Gern geschehen.
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