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«Total Control – Im Bann der Seelenfänger»: Jeder kann Sekten verfallen

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Die A&E-Dokumentation «Total Control – Im Bann der Seelenfänger» mit Esther Sedlaczek zeigt auf, wie leicht Menschen totalitären Ideologien verfallen können.

Im Rahmen des weltweiten Programmschwerpunkts «Twisted Faith», den sich die Sender der A+E-Networks gesetzt haben, zeigt der deutsche Bezahlsender A&E eine neue Eigenproduktion: In der Dokumentation «Total Control – Im Bann der Seelenfänger» wird der Frage nachgegangen, wie leicht Menschen von Fanatikern, Autokraten und Populisten geblendet und verführt werden können. Außerdem geht es darum, welche Parallelen sich zwischen Totalitarismus und extremen Glauben sowie zwischen verschiedenen Extremgruppen ziehen lassen – das Spektrum der Dokumentation reicht von Neo-Nazi-Gruppierungen und religiösem Terror bis hin zu Sekten.

Sportjournalistin und TV-Moderatorin Esther Sedlaczek führt, um diesen Fragen nachzugehen, in «Total Control – Im Bann der Seelenfänger» Gespräche mit Aussteigern und Opfern, darunter einem früheren Scientologen, einem Ex-Neonazi, al-Qaida-Aussteigern und einem Stasi-Opfer. Quotenmeter.de gegenüber erklärt sie, weshalb sie sich dazu entschlossen hat, an diesem Format mitzuwirken: "Das Thema ist einfach wahnsinnig spannend. Ich habe den nötigen Raum erhalten, viel Zeit mit den einzelnen Protagonisten zu verbringen und einen umfassenden Einblick zu erhalten." Sedlaczek und das Kamerateam haben "mit jedem der Interviewpartner mindestens einen Tag verbracht", wie die Moderatorin erläutert. "So kamen tiefgründige Gespräche zustande, in denen wir komplex über sie und ihre Vergangenheit gesprochen haben. Gerade für mich als Sportjournalistin war das eine Herausforderung, die mich gereizt hat."

Autor, Regisseur und Produzent Emanuel Rotstein, der obendrein Director of Production bei A+E Networks Germany ist, sagt über die Zusammenarbeit mit Esther Sedlaczek: "Ich habe mich über einen sehr langen Zeitraum intensiv auf diese Doku vorbereitet – und dann kommt mit Esther Sedlaczek eine Vollblutjournalistin zum Dreh. Mit zehn, zwölf Seiten Fragenkatalog und alles an Hintergrundinfos, was sie über die Interviewpartner gefunden hat. Das war eine sehr gute, aber auch ungewohnte Erfahrung." Rotstein führt weiter aus: "Nach so viel Planung von meiner Seite aus war es letztlich Esther, die durchgängig den Interviewtag geführt hat. Sie hat die Interviewpartner grandios an die Hand genommen und auch in einem gewissen Sinne geknackt: Manche sprachen zwar vorher schon über ihre Vergangenheit. Aber Esther ist es gelungen, ihnen im Gespräch ihre Menschlichkeit zurückzugeben und dennoch auch Neues von ihnen zu erfahren."

Zu diesem Zweck musste Rotstein sich beim Dreh zurückhalten, wie er festhält: "So etwas erreichst du als Regisseur nur, wenn du die Journalistin vor der Kamera in Ruhe lässt. Du kannst nicht dauernd dazwischenquaken und den Gesprächsfluss stören. Esthers Herangehensweise in den Gesprächen war es, nicht zu werten, sondern den Menschen unvoreingenommen gegenüberzutreten. Ohne Schuldzuweisung oder mahnenden Zeigefinger kommst du zu tieferen Erkenntnissen. Wir wollten keine didaktische, sondern eine emotionale Doku, die zeigen soll, welche Personen das sind, die den Seelenfängern verfallen sind."

Esther Sedlaczek beschreibt ihre vorderste Aufgabe bei den Interviewdrehs zu «Total Control – Im Bann der Seelenfänger»: "Am wichtigsten war es, die Interviewpartner so abzuholen, dass sie ganz offen mit ihrer eigenen Vergangenheit umgehen. Das war unfassbar spannend, nicht nur als journalistische Herausforderung, sondern auch, weil ich so die Möglichkeit erhalten habe, ein Stück weit in diese Welten abzutauchen. Soweit dies als Außenstehender möglich ist." Weiter sagt sie: "Mindestens ebenso wichtig war es aber, die Menschen, mit denen ich mich getroffen habe, auch Mensch sein zu lassen. Ich bin aus keinem einzigen Gespräch rausgegangen und habe mir gedacht: 'Der war aber unsympathisch.' Ich habe vor allen großen Respekt entwickelt. Weil sie nach ihren Taten die Stärke bewiesen haben, raus zu finden und nun ihre Vergangenheit zu reflektieren."

Man muss ja jetzt nicht für jeden Terroristen Offenheit entwickeln, keinesfalls. Aber man muss die Menschen dahinter erkennen und offen für jene sein, die sich gewandelt haben.
Esther Sedlaczek
Die Journalistin erklärt: "Sie haben sich jetzt die Aufgabe gesetzt, Leute über Verführer zu unterrichten, ihnen bewusst zu machen, worauf man achten muss, um sich nicht für etwas einfangen zu lassen. Man muss ja jetzt nicht für jeden Terroristen Offenheit entwickeln, keinesfalls. Aber man muss die Menschen dahinter erkennen und offen für jene sein, die sich gewandelt haben."

Bei einem Interview hatte Sedlaczek dennoch größere Berührungsängste als bei den anderen: "Dadurch, dass der IS ein sehr aktuelles und präsentes, brisantes Thema ist, gehörte da für mich eine größere Berührungsangst hinzu als bei den anderen Interviews. Ich hatte vorab Sorgen: Wie läuft das ab, wenn man sich trifft? Wie denkt mein Gegenüber über mich? Wie bringe ich ihn dazu, sich mir zu öffnen?" Sorgen, die unbegründet waren: "Aber sobald wir uns getroffen haben, war es schnell gegessen: Wir haben uns zunächst über ganz andere Dinge unterhalten, um miteinander warm zu werden", so Sedlaczek. "Er war auch ein sehr zugänglicher Typ, daher waren meine Sorgen schnell zerschlagen."

Das spiegelt eine der Intentionen ab, die Rotstein mit dieser Doku verfolgt. Der Produzent sagt: "Ich glaube, das Entscheidende ist: Wenn man sich die Menschen hinter den Opfern anschaut, egal ob sie dazu verführt wurden, dem IS beizutreten oder einer Neo-Nazi-Gruppierung, wird einem klar, dass es nicht nur 'die Schwachen', 'die Beeinflussbaren', 'die Ungebildeten' sind. Es sind auch Leute wie wir, nicht aus einer Parallelgesellschaft, sondern aus der Mitte unserer Gesellschaft. Menschen lassen sich schnell von Ideen verführen. Hannah Arendt sagte über totalitäre Systeme: 'Menschen glauben lieber einer gut verpackten Lüge als der Wahrheit ins Auge zu sehen.' Sei es IS, Scientology, das System der DDR, die Weltsicht der Rechtsradikalen."

Daher der beunruhigende Aufschwung der Rechtspopulisten: Sie bieten vermeintliche, noch dazu schlichte Antworten auf komplexe Sachverhalte. Daher müssen wir alle unser kritisches Denken bewahren und den Willen zum komplexen Diskurs. Wir müssen uns auch von Vorurteilen befreien.
Emanuel Rotstein
Rotstein holt weiter aus: "Daher der beunruhigende Aufschwung der Rechtspopulisten: Sie bieten vermeintliche, noch dazu schlichte Antworten auf komplexe Sachverhalte. Daher müssen wir alle unser kritisches Denken bewahren und den Willen zum komplexen Diskurs. Wir müssen uns auch von Vorurteilen befreien. Neulich war ein radikalisierter Jugendlicher in den Schlagzeilen, und ich sehe da nicht einfach einen Attentäter, sondern einen jungen, orientierungslosen Mann, dessen Eltern vermutlich wenig Zeit für ihn hatten, der von positiven Einflüssen abgeschnitten war und im Internet nach Antworten suchte – woraufhin er bei Terroristen Antworten erhielt." Rotstein fasst zusammen: "Es fehlt an gesellschaftlichen Angeboten für Jugendliche, um abzuwehren, dass sie in solche Richtungen abdriften.Wir brauchen mehr Anreize, um sich allgemeiner zu bilden, sportlich aktiv zu werden oder sonst wie Anschluss zu finden."

Eine weitere Aussage der Doku sieht Sedlaczek in folgendem Aspekt: "Im Vorfeld der Doku haben mir mehrere Leute gesagt: 'Sowas kann mir nicht passieren.' Und während der Herstellung der Dokumentation habe ich unentwegt vorgeführt bekommen: Das stimmt eben nicht. Man kann ganz schnell abdriften und auf einmal Überzeugungen vertreten, die man wenige Jahre zuvor nicht hatte. Wilfried Handl hat mir im Interview auf die Frage, wer in einer Sekte landen kann, gesagt: 'Alle, die nicht schon in einer sind.' Daher haben wir diese Doku gemacht, um Bewusstsein dafür schaffen."

Laut Emanuel Rotstein gibt es außerdem einen pragmatischen Grund, weshalb der deutsche Sender A&E den internationalen Schwerpunkt «Twisted Faith» mit dieser Doku ergänzt: "Bei der Thematik 'Sekten' haben einige von uns intern angefangen zu gähnen. 'Das ist so 90er, die Frage nach der Bedrohung durch Scientology ist völlig verstaubt. Die gibt es doch gar nicht mehr so wirklich.' Denkste. Das Thema ist keineswegs verstaubt." Rotstein führt fort: "Und, was wichtiger ist, sind die Erkenntnisse über die Anziehungskraft der Sekte. Da lassen sich Parallelen zum radikalen Islam oder zu der rechtsradikalen Szene finden. Wir hoffen somit, mit unserer Doku das Thema "Sekte" für das hiesige Publikum greifbarer zu machen."

«Total Control – Im Bann der Seelenfänger» ist am 19. November 2018 um 21 Uhr auf A&E als TV-Weltpremiere zu sehen.

Kurz-URL: qmde.de/105289
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