Eigentlich fiel es lange Zeit nicht schwer, Netflix diese Aussagen zu glauben, die natürlich auch zur Imagebildung des Unternehmens beitragen, das sich gern als Spielwiese kühner TV-Pioniere inszeniert. Die Abrufzahlen einzelner Formate zählen tatsächlich weniger bei einem Angebot, das (noch) keine Werbezeiten verkauft, sondern sich durch Abonnementzahlungen refinanziert und daher in erster Linie darauf bedacht ist, entweder Formate zu produzieren, die als Verkaufsargument für ein Abonnement dienen oder eine solche Fülle an Produktionen bereitzustellen, dass sich Neukunden aufgrund des reichen Angebots für monatliche Zahlungen entscheiden. Lange lief dieses Geschäftsmodell prächtig. Netflix hatte den Pioniersvorteil, sah sich in den meisten Ländern im Wesentlichen nur Amazon Prime ausgesetzt und boomte fröhlich vor sich hin.
Maßnahme eins: Masse statt Klasse
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Obwohl viele Serienfans 2018 nur von den großen Netflix-Produktionen mitbekamen, hieß das Motto insgeheim Masse statt Klasse. Es war der erste Schritt im Plan von Netflix, sich für den großen Streaming-Krieg zu rüsten, den der Dienst für 2019 erwartet. Die Anzahl an Serien sollte aufrechterhalten bleiben und das Angebot möglichst autark gemacht werden, während die lizensierte oder fremdproduzierte Ware nach und nach heimlich aus dem Angebot verschwindet. Hintergrund sind die Ankündigungen von Disney und Warner, Ende 2019 eigene Streaming-Dienste an den Start zu bringen. Fans werden dann vergeblich nach Star Wars, Harry Potter, High School Musical, Batman oder Marvel suchen, da diese Produktionen sich exklusiv bei den Diensten der produzierenden Mutterkonzerne tummeln werden.
Die vielen Absetzungen seitens Netflix lassen sich daher auf unterschiedliche Weise erklären. Serien wie «American Vandal» oder die 90er-Jahre-Nostalgie-Serie «Everything sucks!» ließen sich nicht mehr halten, weil sie mittlerweile tatsächlich zu spitz sind für Netflix, das es sich nicht mehr leisten kann, die Abrufzahlen außer Acht zu lassen. Die Absetzung der Marvel-Serien hat derweil auch den Hintergrund, dass Marvel-Inhaber Disney Netflix das Leben immer schwerer macht. Ob die tatsächlich zunehmend unbeliebten Formate «Luke Cage» und «Iron Fist» beim Disney-Dienst wieder das Licht der Welt erblicken, bleibt fraglich. Netflix will man die Helden aber auch nicht überlassen. So hängt die «Defenders»-Reihe, die auch noch «Jessica Jones» und «Daredevil» beinhaltet, jetzt schon etwas in den Seilen. Um die wesentlich besser laufenden Ableger bemüht sich Netflix vorerst aber wohl weiterhin.
Maßnahme zwei: teure Kreative & mehr Nationales
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Leuchtendes Beispiel ist Deutschland, wo Netflix nun schon seit 2014 verfügbar ist. Seitdem entwickelte sich das Unternehmen zu einem Player, der nicht mehr wegzudenken ist und von Serien- und Filmfans geschätzt wird. Mit «Dogs of Berlin» erscheint noch im Dezember die zweite deutsche Netflix-Serie, danach wurde eine Serienadaption von «Die Welle» angekündigt und kürzlich bestellte der Streaming-Service gleich fünf neue Serien. Auch nationale Eigenproduktionen, in denen original nicht Englisch gesprochen wird, sind längst nichts Neues. Mit «Haus des Geldes» kommt sogar eine der beliebtesten Serien des Jahres nicht etwa aus den USA, sondern aus Spanien. Netflix‘ Bemühungen in dieser Richtung fingen im Jahr 2015 mit dem mexikanischen «Club de Cuervos» (Foto) an, danach folgte das französische «Marseille», das aber auch zeigte, dass diese nationalen Produktionen nicht unbedingt von hoher Qualität sein müssen. Aktuell zählt der US-Dienst 23 fremdsprachige Eigenproduktionen. Ende dieses und Anfang des kommenden Jahres kommen die ersten Serien in Türkisch, Hindi und Koreanisch hinzu.
Das erhoffte Ergebnis: selbst große Namen schaffen
Nutzer im eigenen Land abzuholen, wird eine der großen Strategien von Netflix sein, um die Oberhand gegenüber den startenden neuen Streaming-Diensten zu behalten. Nur sekundär spielen auch neue Vorschriften der EU eine Rolle. Wie im linearen Fernsehen auch, forderte der Länderbund nämlich eine Quotenregelung, wobei mindestens 30 Prozent aller Produktionen im Angebot des jeweiligen Landes aus diesem stammen müssen. Diese Regelung kann Netflix allerdings einfach umgehen, indem es billig Rechte von Uralt-Serien oder Flops der einheimischen Sender aufkauft und anbietet, ohne dass besonders viele Nutzer in der Mediathek darüber stolpern würden. Einen wirklichen Effekt haben die EU-Verlautbarungen also nicht.
Ob US-Produktionen oder nationale Leckerbissen – spätestens 2020 wird sich zeigen, wem die Streaming-Vorherrschaft zukommt. Für Netflix spricht, dass der Dienst seiner Konkurrenz um Jahre voraus ist, vorgesorgt hat, seine Nutzer mittlerweile besser kennt und die nationalen Märkte bedienen will. Für Disney oder Warner sprechen die großen Namen, die Netflix künftig fehlen werden. Die Maßgabe von Netflix lautet also, auf lange Sicht eigene große Namen zu schaffen. Diese hießen bis vor Kurzem unter anderem Frank Underwood und Piper Chapman, die mit ihren Formaten bereits abtraten oder dies bald tun. Die neue Netflix-Generation könnte neben englischen auch deutsche, südamerikanische oder asiatische Namen tragen.
Es gibt 10 Kommentare zum Artikel
24.11.2018 11:37 Uhr 1
24.11.2018 18:39 Uhr 2
24.11.2018 19:03 Uhr 3
Der Grund, wieso ich Netflix mittlerweile im Vollzeit Abo habe, ist gerade der, dass Netflix mittlerweile so viel gute Serien hat, die sonst der ganze Serienmarkt im linearen Fernsehen nicht bietet.
Klar sind auch viele Produktionen wie Riverdale oder Better Call Saul keine Netflix-Produktionen, aber gerade aus GB kommen viele gute Produktionen, die sich lohnen...
Wichtig wäre eben, dass Netflix sich ranhält Nachfolger für House of Cards und Orange zu finden.
Dass so viele Serien abgesetzt werden, finde ich übrigens nicht schlimm. Netflix hat auch beispw. mit Narcos Top Produktionen, die für ein oder zwei Staffeln absolut toll laufen und dann weniger interessant werden.
Sprich, man muss für mich auch nicht alles unnötig in die Länge ziehen.
WÜnsche Netflix dennoch viel Glück, weil es einer der wenigen Dienste der letzten Jahre ist, die ich wirklich richtig richtig fair finde...
24.11.2018 19:04 Uhr 4
Gerade ein STreaming Anbieter bietet dir aber eine chance auf so eine Garantie deutlich mehr, als das normale Fernsehen.
Siehe das von dir genannte Orange (welches eine Abschlusstaffel bekommt) oder aber auch Sense8 (welches einen Abschlussfilm spendiert bekommen hat) .
24.11.2018 19:26 Uhr 5
Stimmt, aber..eine Abschlussstaffel ist meist ein zusammengeschmissener Quatsch um die Stränge irgendwie abzuarbeiten. Ich sage mal *hustLost*, *hustBabylon5*, *hustDS9* *Space above and beyond*. Bei *Alcatraz* ist dem Zuschauer nicht einmal dieser Luxus gegönnt worden.
Bin mal auf Sky gespannt, wie lange die das Boot über Wasser halten.
24.11.2018 19:27 Uhr 6
Und wie soll man sonst eine Serie beenden, wenn Abschlusstaffeln für dich Mist sind?
24.11.2018 19:50 Uhr 7
Und wie soll man sonst eine Serie beenden, wenn Abschlusstaffeln für dich Mist sind?
Das ist Sache der Drehbuchautoren.
Man sieht doch schon wann die Sache out of steam geht, entweder inhaltlich, oder finanziell.
Da muss dann halt der Hipster von seinem hohen Ross runter und frühzeitig von horizontaler auf lineare Erzählweise gehen. Dann kann man auch mit Anstand aus der Nummer raus.
Ich denke mal Staffel3 von Babylon wird auch eher linear.....
25.11.2018 01:32 Uhr 8
Nun ja, es gibt auch genug positive Beispiele. In Bezug auf Oldies: Desperate Housewives oder Dr. House, Fringe ist mit seiner halben 5. Staffel ein Beispiel dafür, dass Abschlussstaffeln sehr sinnvoll genutzt werden können, bezüglich aktuelleren Serien lässt sich das versöhnliche Ende von Unreal erwähnen.
Alles natürlich Geschmackssache, jedoch sollte (womöglich im Gegensatz zu einem Abschlussfilm) eine komplette Abschlussstaffel vernünftigen Autoren mehr als ausreichen, um Stories ein rundes Ende zu schreiben. Fraglich, ob es bei Lost einen qualitativen Unterschied gemacht hätte, wenn das Ende später gekommen wäre.
Viele Serien sind ohnehin auf unbestimmte Staffelanzahlen ausgelegt, da kommt jedes Ende mehr oder weniger überraschend und fühlt sich gleich "zusammengeschustert" an. Anders sieht das natürlich bei Serien wie Bates Motel, The Fall oder Eine Reihe Betrüblicher Ereignisse aus, die von vorneherein auf eine bestimmte Länge ausgelegt sind, in den Fällen kann eine verfrühte Abschlussstaffel (soweit sie denn schlecht geschrieben ist) in die Hose gehen, da sie entgegen des ursprünglichen Sendungskonzeptes entsteht. Das auch ein künstliches Strecken einer Serie mit eigentlich vordefinierter Laufzeit scheitern kann, lässt sich anhand des massiven Qualitätsverlustes bei Under The Done betrachen - wie gesagt, natürlich Geschmackssache.
So oder so sind schlechte Serienenden wohl weniger darin begründet, das Geschichten sich innerhalb einer abschließenden Staffel von mindestens 6 Stunden (8x45min) nicht zuende erzählen lassen können, sondern an mangelnder Qualität der Drehbücher.
Wirklich frustrierend sind m.M.n. Absetzungen ohne(!) Abschlussstaffeln/ -filme.
25.11.2018 08:50 Uhr 9
26.11.2018 20:38 Uhr 10
Aber gerade Sense8 hat auch erst nach massivsten Fan Protesten einen Abschlussfilm bekommen.
Netflix macht sich bei mir schon extrem unbeliebt und ich habe auch immer weniger Lust mir etwas neues dort anzusehen- eben genau aus dem Grund, dass man ohne mit der Wimper zu zucken Serien ohne richtiges Ende absetzt.